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Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, I. Semester. I. Band.

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eine andere Frage. Freilich gefielen ihm die Worte, die Begriffe, die Gedan-
ken; er ließ sie gern und leicht über die Zunge gleiten; er weinte auch wol
im Theater bei schönen Stellen, und war gewiß selber sehr bewegt, wenn er
in Versen oder in Prosa eine schöne Stelle niedergeschrieben hatte: aber es
war das jene oberflächliche Erregung, für welche Göthe das vortreffliche Wort
Anempfinder erfunden hat. Seine eigene Seele darf man in diesen schö¬
nen Stellen nicht suchen, aber auch nicht in den schlechten Stellen, denn jene
Geschmeidigkeit im Zersetzen sittlicher Begriffe, die so leicht den Anschein der
Frivolität annimmt und die uns in Friedrichs Briefen in der That nicht sel¬
ten anstößig wird, war eben so von der Amme und dem Schulmeister gelernt
wie jene sentimentalen und salbungsvollen Redensarten. Herr Ouro Klopp
hat eine Menge von Briefsteller excerpirt, um seinen Helden recht schwarz zu
malen. Die folgende hat er nicht angeführt, auf die man überhaupt noch
nicht aufmerksam gewesen ist. Es ist aus einem Brief an D arg et, 10. Mai
1754, über den Unterschied der Deutschen und Franzosen. II est vrg,i, guf
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Die Stelle verdient Erwägung, denn sie ist wahr, nicht blos objectiv, sondern
auch subjectiv, obgleich Friedrich ihr öfters widerspricht. Hinter seiner fran¬
zösischen Larve steht man das altmärkische Gesicht, den Sohn seines Vaters,
den Urenkel des großen Kurfürsten, den Erben der eisernen Markgrafen, die
Mit rauher Hand aber sicherm Blick Zugriffen, wo es nöthig war.

Friedrich war nicht so enthusiastisch, nicht so sentimental, aber auch nicht
so frivol als seine Zunge. Freilich war es ein Unglück für ihn, daß der
Einfluß seines Redens auf einen großen Theil seines Geistes übergegangen
war, aber es gab doch einen Kern in demselben, der frei von diesem Einfluß
und deutsch geblieben war. Es ging ihm wie der ganzen Zeit, die ihre Ideale
außerhalb des wirklichen Lebens, im Reich der schönen Träume suchte. Las¬
sen wir uns von den Redensarten nicht täuschen, so finden wir sogar viel
Aufrichtigkeit; nur muß man sich nicht an die Worte halten. -- Insgeheim
schwebt uns immer die Idee vor, ein großer Mann stelle seinem Leben ein
Princip zum Wohl des Menschengeschlechts und zum Frommen des künftigen
Geschichtsphilosophen, und nach diesem richte er die Grundsätze seines Han¬
delns ein. Das ist noch nie vorgekommen, so lange die Welt steht. Der Ge¬
waltige, der ein Jahrhundert sich unterjocht, wird durch seinen Dämon d. h.
durch die übersprudelnde Kraft seines Geistes getrieben, sich selber zu bethä¬
tigen, und da nur die Kraft sich geltend macht, die zugleich allgemeine Kraft
der Epoche ist, so werden durch diese Selbstbethätigung zugleich die Zwecke
der Vorsehung gefördert. Friedrich hat freilich im Anfang seiner Laufbahn
nicht überlegt, ob das, was er unternahm, zum Frommen Deutschlands und


eine andere Frage. Freilich gefielen ihm die Worte, die Begriffe, die Gedan-
ken; er ließ sie gern und leicht über die Zunge gleiten; er weinte auch wol
im Theater bei schönen Stellen, und war gewiß selber sehr bewegt, wenn er
in Versen oder in Prosa eine schöne Stelle niedergeschrieben hatte: aber es
war das jene oberflächliche Erregung, für welche Göthe das vortreffliche Wort
Anempfinder erfunden hat. Seine eigene Seele darf man in diesen schö¬
nen Stellen nicht suchen, aber auch nicht in den schlechten Stellen, denn jene
Geschmeidigkeit im Zersetzen sittlicher Begriffe, die so leicht den Anschein der
Frivolität annimmt und die uns in Friedrichs Briefen in der That nicht sel¬
ten anstößig wird, war eben so von der Amme und dem Schulmeister gelernt
wie jene sentimentalen und salbungsvollen Redensarten. Herr Ouro Klopp
hat eine Menge von Briefsteller excerpirt, um seinen Helden recht schwarz zu
malen. Die folgende hat er nicht angeführt, auf die man überhaupt noch
nicht aufmerksam gewesen ist. Es ist aus einem Brief an D arg et, 10. Mai
1754, über den Unterschied der Deutschen und Franzosen. II est vrg,i, guf
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Die Stelle verdient Erwägung, denn sie ist wahr, nicht blos objectiv, sondern
auch subjectiv, obgleich Friedrich ihr öfters widerspricht. Hinter seiner fran¬
zösischen Larve steht man das altmärkische Gesicht, den Sohn seines Vaters,
den Urenkel des großen Kurfürsten, den Erben der eisernen Markgrafen, die
Mit rauher Hand aber sicherm Blick Zugriffen, wo es nöthig war.

Friedrich war nicht so enthusiastisch, nicht so sentimental, aber auch nicht
so frivol als seine Zunge. Freilich war es ein Unglück für ihn, daß der
Einfluß seines Redens auf einen großen Theil seines Geistes übergegangen
war, aber es gab doch einen Kern in demselben, der frei von diesem Einfluß
und deutsch geblieben war. Es ging ihm wie der ganzen Zeit, die ihre Ideale
außerhalb des wirklichen Lebens, im Reich der schönen Träume suchte. Las¬
sen wir uns von den Redensarten nicht täuschen, so finden wir sogar viel
Aufrichtigkeit; nur muß man sich nicht an die Worte halten. — Insgeheim
schwebt uns immer die Idee vor, ein großer Mann stelle seinem Leben ein
Princip zum Wohl des Menschengeschlechts und zum Frommen des künftigen
Geschichtsphilosophen, und nach diesem richte er die Grundsätze seines Han¬
delns ein. Das ist noch nie vorgekommen, so lange die Welt steht. Der Ge¬
waltige, der ein Jahrhundert sich unterjocht, wird durch seinen Dämon d. h.
durch die übersprudelnde Kraft seines Geistes getrieben, sich selber zu bethä¬
tigen, und da nur die Kraft sich geltend macht, die zugleich allgemeine Kraft
der Epoche ist, so werden durch diese Selbstbethätigung zugleich die Zwecke
der Vorsehung gefördert. Friedrich hat freilich im Anfang seiner Laufbahn
nicht überlegt, ob das, was er unternahm, zum Frommen Deutschlands und


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341793_110893/81>, abgerufen am 27.08.2024.