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Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, I. Semester. I. Band.

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aus; aber wasfür ein Verbrechen dem jungen Prinzen sonst vorgeschwebt ha¬
ben soll, wird die kühnste Combination nicht ergrübeln.

Das Beispiel ist charakteristisch sür das ganze Buch, denn nicht die offene
Anklage, sondern die verblümte, halb verschwiegene, welche mehr die Phan¬
tasie als den Verstand anregt, macht den Kern desselben aus. Das Beispiel
ist noch in einer andern Weise charakteristisch. Macaulay wählt für seine Per¬
spektive einen sehr gewagten Standpunkt, aber er ist doch so weit Künstler,
daß er nun auch die Figuren, die in diese Perspective fallen, an demselben
Ort läßt. Vom Standpunkt der Humanität des 19. Jahrhunderts aus ver¬
urtheilt er den militärischen Despotismus Friedrichs, aber nun bleibt er
auch dabei stehn; von diesem Standpunkt aus erscheint ihm der militärische
Despotismus Friedrich Wilhelms I. noch viel greulicher, weil er in den For¬
men viel brutaler, in seinem Zweck vollkommen sinnlos war. Herr Klopp
aber wechselt den Standpunkt: gegen Friedrich spielt er den Trumpf der Huma¬
nität aus; Friedrich Wilhelm I. dagegen, so oft er in Conflict mit seinem
Sohn kommt, erscheint als der schlichte brave Mann. Das ist um so auffal¬
lender, da er sonst keine Gelegenheit versäumt, dem gesammten preußischen
Regentenhause so viel schwarze Dinge nachzusagen als möglich. Und was ist der
Grund dieser doppelten Perspective? Friedrich Wilhelm I. war östreichisch
gesinnt, Friedrich war ein Feind Oestreichs. -- Macaulay's Essay war ein
künstlerisches Experiment in ungewöhnlichen Farben, das Buch des Herrn Klopp
ist eine Parteischrift, die nicht auf eine objective Darstellung ausgeht, sondern
die den bewußten Zweck hat, den Helden einer Partei und damit die Partei
selbst in möglichst abschreckenden Licht zu zeigen.

Man sehe sich den Umschlag des Buchs an:, lauter Schriften zur Ver¬
herrlichung Oestreichs und des Katholicismus, meistens von Renegaten ab¬
gefaßt z. B. von Hurter und Gfrörer. Auch Gfrörer sing keineswegs offen
als Katholik an: sein nstes Werk vertrat den sogenannten ghibellinischen
Standpunkt, den Standpunkt, den ein anderer Renegat, Friedrich Schlegel,
erfunden hatte; er sprach sich mit der größten Verachtung über die Bigotterie
Ferdinand des Zweiten, über die Einmischung religiöser Motive in politische
Entschlüsse, mit der allergrößten Verachtung über die deutsche Kleinstaaterei
aus. Es war, so viel wir beurtheilen können, ehrlich gemeint und nicht ohne
Geist geschrieben. Aber das Sprichwort, welches uns warnt, einem den
Finger zu geben ehe wir zugesehen haben, wer er ist, weil er sonst leicht die
ganze Hand nimmt, hat vollkommen recht: Herr Gfrörer bestreut jetzt sein
Haupt mit Asche, schwingt in den Processionen das Rauchfaß und küßt den
Bettelmönchen die Kapuze.

Das soll nicht eine Widerlegung sein; es ist eben nur eine Bemerkung.
Herr Klopp begann mit einer objectiv geschriebenen Geschichte Ostfrieslands.


aus; aber wasfür ein Verbrechen dem jungen Prinzen sonst vorgeschwebt ha¬
ben soll, wird die kühnste Combination nicht ergrübeln.

Das Beispiel ist charakteristisch sür das ganze Buch, denn nicht die offene
Anklage, sondern die verblümte, halb verschwiegene, welche mehr die Phan¬
tasie als den Verstand anregt, macht den Kern desselben aus. Das Beispiel
ist noch in einer andern Weise charakteristisch. Macaulay wählt für seine Per¬
spektive einen sehr gewagten Standpunkt, aber er ist doch so weit Künstler,
daß er nun auch die Figuren, die in diese Perspective fallen, an demselben
Ort läßt. Vom Standpunkt der Humanität des 19. Jahrhunderts aus ver¬
urtheilt er den militärischen Despotismus Friedrichs, aber nun bleibt er
auch dabei stehn; von diesem Standpunkt aus erscheint ihm der militärische
Despotismus Friedrich Wilhelms I. noch viel greulicher, weil er in den For¬
men viel brutaler, in seinem Zweck vollkommen sinnlos war. Herr Klopp
aber wechselt den Standpunkt: gegen Friedrich spielt er den Trumpf der Huma¬
nität aus; Friedrich Wilhelm I. dagegen, so oft er in Conflict mit seinem
Sohn kommt, erscheint als der schlichte brave Mann. Das ist um so auffal¬
lender, da er sonst keine Gelegenheit versäumt, dem gesammten preußischen
Regentenhause so viel schwarze Dinge nachzusagen als möglich. Und was ist der
Grund dieser doppelten Perspective? Friedrich Wilhelm I. war östreichisch
gesinnt, Friedrich war ein Feind Oestreichs. — Macaulay's Essay war ein
künstlerisches Experiment in ungewöhnlichen Farben, das Buch des Herrn Klopp
ist eine Parteischrift, die nicht auf eine objective Darstellung ausgeht, sondern
die den bewußten Zweck hat, den Helden einer Partei und damit die Partei
selbst in möglichst abschreckenden Licht zu zeigen.

Man sehe sich den Umschlag des Buchs an:, lauter Schriften zur Ver¬
herrlichung Oestreichs und des Katholicismus, meistens von Renegaten ab¬
gefaßt z. B. von Hurter und Gfrörer. Auch Gfrörer sing keineswegs offen
als Katholik an: sein nstes Werk vertrat den sogenannten ghibellinischen
Standpunkt, den Standpunkt, den ein anderer Renegat, Friedrich Schlegel,
erfunden hatte; er sprach sich mit der größten Verachtung über die Bigotterie
Ferdinand des Zweiten, über die Einmischung religiöser Motive in politische
Entschlüsse, mit der allergrößten Verachtung über die deutsche Kleinstaaterei
aus. Es war, so viel wir beurtheilen können, ehrlich gemeint und nicht ohne
Geist geschrieben. Aber das Sprichwort, welches uns warnt, einem den
Finger zu geben ehe wir zugesehen haben, wer er ist, weil er sonst leicht die
ganze Hand nimmt, hat vollkommen recht: Herr Gfrörer bestreut jetzt sein
Haupt mit Asche, schwingt in den Processionen das Rauchfaß und küßt den
Bettelmönchen die Kapuze.

Das soll nicht eine Widerlegung sein; es ist eben nur eine Bemerkung.
Herr Klopp begann mit einer objectiv geschriebenen Geschichte Ostfrieslands.


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[0076] aus; aber wasfür ein Verbrechen dem jungen Prinzen sonst vorgeschwebt ha¬ ben soll, wird die kühnste Combination nicht ergrübeln. Das Beispiel ist charakteristisch sür das ganze Buch, denn nicht die offene Anklage, sondern die verblümte, halb verschwiegene, welche mehr die Phan¬ tasie als den Verstand anregt, macht den Kern desselben aus. Das Beispiel ist noch in einer andern Weise charakteristisch. Macaulay wählt für seine Per¬ spektive einen sehr gewagten Standpunkt, aber er ist doch so weit Künstler, daß er nun auch die Figuren, die in diese Perspective fallen, an demselben Ort läßt. Vom Standpunkt der Humanität des 19. Jahrhunderts aus ver¬ urtheilt er den militärischen Despotismus Friedrichs, aber nun bleibt er auch dabei stehn; von diesem Standpunkt aus erscheint ihm der militärische Despotismus Friedrich Wilhelms I. noch viel greulicher, weil er in den For¬ men viel brutaler, in seinem Zweck vollkommen sinnlos war. Herr Klopp aber wechselt den Standpunkt: gegen Friedrich spielt er den Trumpf der Huma¬ nität aus; Friedrich Wilhelm I. dagegen, so oft er in Conflict mit seinem Sohn kommt, erscheint als der schlichte brave Mann. Das ist um so auffal¬ lender, da er sonst keine Gelegenheit versäumt, dem gesammten preußischen Regentenhause so viel schwarze Dinge nachzusagen als möglich. Und was ist der Grund dieser doppelten Perspective? Friedrich Wilhelm I. war östreichisch gesinnt, Friedrich war ein Feind Oestreichs. — Macaulay's Essay war ein künstlerisches Experiment in ungewöhnlichen Farben, das Buch des Herrn Klopp ist eine Parteischrift, die nicht auf eine objective Darstellung ausgeht, sondern die den bewußten Zweck hat, den Helden einer Partei und damit die Partei selbst in möglichst abschreckenden Licht zu zeigen. Man sehe sich den Umschlag des Buchs an:, lauter Schriften zur Ver¬ herrlichung Oestreichs und des Katholicismus, meistens von Renegaten ab¬ gefaßt z. B. von Hurter und Gfrörer. Auch Gfrörer sing keineswegs offen als Katholik an: sein nstes Werk vertrat den sogenannten ghibellinischen Standpunkt, den Standpunkt, den ein anderer Renegat, Friedrich Schlegel, erfunden hatte; er sprach sich mit der größten Verachtung über die Bigotterie Ferdinand des Zweiten, über die Einmischung religiöser Motive in politische Entschlüsse, mit der allergrößten Verachtung über die deutsche Kleinstaaterei aus. Es war, so viel wir beurtheilen können, ehrlich gemeint und nicht ohne Geist geschrieben. Aber das Sprichwort, welches uns warnt, einem den Finger zu geben ehe wir zugesehen haben, wer er ist, weil er sonst leicht die ganze Hand nimmt, hat vollkommen recht: Herr Gfrörer bestreut jetzt sein Haupt mit Asche, schwingt in den Processionen das Rauchfaß und küßt den Bettelmönchen die Kapuze. Das soll nicht eine Widerlegung sein; es ist eben nur eine Bemerkung. Herr Klopp begann mit einer objectiv geschriebenen Geschichte Ostfrieslands.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341793_110893/76>, abgerufen am 26.08.2024.