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Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, I. Semester. I. Band.

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ein steter Anlaß zu Krieg; es ist ein steter Zwang zur französischen Allianz
und Abhängigkeit -- denn wo eine Allianz nicht frei ist, artet sie in Ab¬
hängigkeit aus. Dieser Zwang ist um so größer, je fester Oestreich in Vene¬
dig etwa durch europäische Garantien gesetzt wird, weil die Hoffnung auf
anderen Wege sich Oestreichs zu erwehren schwindet.

Oestreich als Glied eines vielgetheilten Italiens möchte Frankreichs Ein¬
fluß fern halten, wenn es mit Mäßigung und Wohlwollen zu Werke ginge.
Oestreich im Besitz einer Provinz, die allein losgerissen bleibt von dem einigen
Mutterlande, kann nur durch Gewalt Einfluß erstreben oder haben -- so hätte
denn Italien wieder nur Herren in seinen Feinden oder in seinen Freunden.

Soll und muß Italien eins sein, so bedarf es Venedigs, zu seinem
Schutze und als Bedingung seiner Unabhängigkeit, also auch des europäischen
Gleichgewichts. Das Viereck ist eine Aggression gegen Italien, nicht gegen
die Alpen, nicht gegen den Orient. Allerdings wird Italien im Orient eine
Rolle spielen; jedoch nicht als Eroberer, sondern einfach in gleicher Weise wie
die übrigen Mächte berufen, das allgemeine Dasein wie sein eignes Interesse
zu wahren. Aber es wird diese Rolle als Seemacht zu übernehmen haben,
zu der es sich nothwendig entwickeln wird. Für seine Flotten aber ist ihm
nach Osten nicht Venedig, sondern Ancona als Basis gegeben.

Nicht blos im Orient, sondern im Allgemeinen wird das Gleichgewicht
der europäischen Staaten durch den Zutritt einer Großmacht in mancher Hin¬
sicht geändert und seine Gesetze modificirt werden. Damit aber die Zunge
der Wage zu Ruhe komme, ist die erste Bedingung, daß dieses neue Element
möglichst fertig und abgeschlossen sei. Will man es in seinen natürlichen
Rechten, in den Grundbedingungen seiner politischen Existenz und Selbstbe¬
stimmung verkümmern, so werden daraus nur fortgesetzte Bewegungen hervor¬
gehen, die die Ruhe des Ganzen fortwährend compromittiren.

Die willkürliche Zerstückelung der Nationen, die Theilung dessen, was
vernünftigerweise zusammengehört, ist die Hauptursache des Krieges in unsern
Tagen. Europa sollte sich allseitig Glück wünschen dazu, daß die Umstände
die zerrissenen Theile Italiens wieder zu einem lebensfähigen Staate verewigen,
und die Chancen des Unfriedens, die Ursachen zu Eifersucht, Einmischung,
Selbsthilfe wesentlich vermindern.

Und Oestreich? Wenn Oestreich überall für die Zukunft eine staatliche
Bestimmung hat und sie erfüllen will, so wird es ohne Venedig derselben
besser entsprechen als mit Venedig. Wie Italien ohne Venedig unfrei d. h.
auf Frankreich angewiesen ist, so ist auch Oestreich mit Venedig unfrei d. h.
der natürliche Feind Italiens, und dadurch abgelenkt von seiner Ausgabe im
Osten, der einzigen, welche es im Interesse Europas verfolgen kann.

Die Abtretung Venedigs an Italien bringt hiernach wahrscheinlich zwei


ein steter Anlaß zu Krieg; es ist ein steter Zwang zur französischen Allianz
und Abhängigkeit — denn wo eine Allianz nicht frei ist, artet sie in Ab¬
hängigkeit aus. Dieser Zwang ist um so größer, je fester Oestreich in Vene¬
dig etwa durch europäische Garantien gesetzt wird, weil die Hoffnung auf
anderen Wege sich Oestreichs zu erwehren schwindet.

Oestreich als Glied eines vielgetheilten Italiens möchte Frankreichs Ein¬
fluß fern halten, wenn es mit Mäßigung und Wohlwollen zu Werke ginge.
Oestreich im Besitz einer Provinz, die allein losgerissen bleibt von dem einigen
Mutterlande, kann nur durch Gewalt Einfluß erstreben oder haben — so hätte
denn Italien wieder nur Herren in seinen Feinden oder in seinen Freunden.

Soll und muß Italien eins sein, so bedarf es Venedigs, zu seinem
Schutze und als Bedingung seiner Unabhängigkeit, also auch des europäischen
Gleichgewichts. Das Viereck ist eine Aggression gegen Italien, nicht gegen
die Alpen, nicht gegen den Orient. Allerdings wird Italien im Orient eine
Rolle spielen; jedoch nicht als Eroberer, sondern einfach in gleicher Weise wie
die übrigen Mächte berufen, das allgemeine Dasein wie sein eignes Interesse
zu wahren. Aber es wird diese Rolle als Seemacht zu übernehmen haben,
zu der es sich nothwendig entwickeln wird. Für seine Flotten aber ist ihm
nach Osten nicht Venedig, sondern Ancona als Basis gegeben.

Nicht blos im Orient, sondern im Allgemeinen wird das Gleichgewicht
der europäischen Staaten durch den Zutritt einer Großmacht in mancher Hin¬
sicht geändert und seine Gesetze modificirt werden. Damit aber die Zunge
der Wage zu Ruhe komme, ist die erste Bedingung, daß dieses neue Element
möglichst fertig und abgeschlossen sei. Will man es in seinen natürlichen
Rechten, in den Grundbedingungen seiner politischen Existenz und Selbstbe¬
stimmung verkümmern, so werden daraus nur fortgesetzte Bewegungen hervor¬
gehen, die die Ruhe des Ganzen fortwährend compromittiren.

Die willkürliche Zerstückelung der Nationen, die Theilung dessen, was
vernünftigerweise zusammengehört, ist die Hauptursache des Krieges in unsern
Tagen. Europa sollte sich allseitig Glück wünschen dazu, daß die Umstände
die zerrissenen Theile Italiens wieder zu einem lebensfähigen Staate verewigen,
und die Chancen des Unfriedens, die Ursachen zu Eifersucht, Einmischung,
Selbsthilfe wesentlich vermindern.

Und Oestreich? Wenn Oestreich überall für die Zukunft eine staatliche
Bestimmung hat und sie erfüllen will, so wird es ohne Venedig derselben
besser entsprechen als mit Venedig. Wie Italien ohne Venedig unfrei d. h.
auf Frankreich angewiesen ist, so ist auch Oestreich mit Venedig unfrei d. h.
der natürliche Feind Italiens, und dadurch abgelenkt von seiner Ausgabe im
Osten, der einzigen, welche es im Interesse Europas verfolgen kann.

Die Abtretung Venedigs an Italien bringt hiernach wahrscheinlich zwei


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[0054] ein steter Anlaß zu Krieg; es ist ein steter Zwang zur französischen Allianz und Abhängigkeit — denn wo eine Allianz nicht frei ist, artet sie in Ab¬ hängigkeit aus. Dieser Zwang ist um so größer, je fester Oestreich in Vene¬ dig etwa durch europäische Garantien gesetzt wird, weil die Hoffnung auf anderen Wege sich Oestreichs zu erwehren schwindet. Oestreich als Glied eines vielgetheilten Italiens möchte Frankreichs Ein¬ fluß fern halten, wenn es mit Mäßigung und Wohlwollen zu Werke ginge. Oestreich im Besitz einer Provinz, die allein losgerissen bleibt von dem einigen Mutterlande, kann nur durch Gewalt Einfluß erstreben oder haben — so hätte denn Italien wieder nur Herren in seinen Feinden oder in seinen Freunden. Soll und muß Italien eins sein, so bedarf es Venedigs, zu seinem Schutze und als Bedingung seiner Unabhängigkeit, also auch des europäischen Gleichgewichts. Das Viereck ist eine Aggression gegen Italien, nicht gegen die Alpen, nicht gegen den Orient. Allerdings wird Italien im Orient eine Rolle spielen; jedoch nicht als Eroberer, sondern einfach in gleicher Weise wie die übrigen Mächte berufen, das allgemeine Dasein wie sein eignes Interesse zu wahren. Aber es wird diese Rolle als Seemacht zu übernehmen haben, zu der es sich nothwendig entwickeln wird. Für seine Flotten aber ist ihm nach Osten nicht Venedig, sondern Ancona als Basis gegeben. Nicht blos im Orient, sondern im Allgemeinen wird das Gleichgewicht der europäischen Staaten durch den Zutritt einer Großmacht in mancher Hin¬ sicht geändert und seine Gesetze modificirt werden. Damit aber die Zunge der Wage zu Ruhe komme, ist die erste Bedingung, daß dieses neue Element möglichst fertig und abgeschlossen sei. Will man es in seinen natürlichen Rechten, in den Grundbedingungen seiner politischen Existenz und Selbstbe¬ stimmung verkümmern, so werden daraus nur fortgesetzte Bewegungen hervor¬ gehen, die die Ruhe des Ganzen fortwährend compromittiren. Die willkürliche Zerstückelung der Nationen, die Theilung dessen, was vernünftigerweise zusammengehört, ist die Hauptursache des Krieges in unsern Tagen. Europa sollte sich allseitig Glück wünschen dazu, daß die Umstände die zerrissenen Theile Italiens wieder zu einem lebensfähigen Staate verewigen, und die Chancen des Unfriedens, die Ursachen zu Eifersucht, Einmischung, Selbsthilfe wesentlich vermindern. Und Oestreich? Wenn Oestreich überall für die Zukunft eine staatliche Bestimmung hat und sie erfüllen will, so wird es ohne Venedig derselben besser entsprechen als mit Venedig. Wie Italien ohne Venedig unfrei d. h. auf Frankreich angewiesen ist, so ist auch Oestreich mit Venedig unfrei d. h. der natürliche Feind Italiens, und dadurch abgelenkt von seiner Ausgabe im Osten, der einzigen, welche es im Interesse Europas verfolgen kann. Die Abtretung Venedigs an Italien bringt hiernach wahrscheinlich zwei

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341793_110893/54>, abgerufen am 22.07.2024.