Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, I. Semester. I. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

Furcht davor) der Civilisator der Menschheit. Die Dreitheilung insbesondere
betreffend, so würde der Norden "in so entschiedenes moralisches und materielles
Uebergewicht über den Rest ausgeübt haben, daß an keine Stabilität der Ver¬
hältnisse zu denken gewesen wäre. Das kleine Sardinien hat die ganze Halb¬
insel fortgerissen; ein großes Sardinien würde sie selbst in gewöhnlichen Zei¬
ten dominirt und den diplomatischen Plan ruhigen Ncbeneinanderbestchens
arg durchkreuzt haben.

Herr von Fontvn neigt sich denn auch sichtlich der Lösung durch die
Einigung Italiens zu einem einheitlichen Staate zu. Die Sorge um das
europäische Gleichgewicht läßt ihm aber nicht Ruhe dabei. Er fordert Be¬
dingungen für dasselbe auch von dem einigen Italien.

Der Verfasser verlangt also, daß Italien italienisch sei, daß es Alliirte,
aber keine Herren habe, daß Rom die Hauptstadt, der Papst säcularisirt werde.

Er spricht mit Zuversicht von dem friedlichen Zusammenleben von Papst
und König. Wir halten dies für einen ebenso frommen Wunsch, wie die
Beglückung Italiens durch die Metternichsche Einteilung (um darauf
nachträglich zurückzuweisen). In einem königlichen Rom ist kein Raum
für einen römischen Papst und kein Ort für eine Reformation der römischen
Kirche. Die Frage, wie das Papstthum außer Rom zu constituiren wäre,
führte uns zu weit, lassen wir sie also hier bei Seite.

Das neue Reich soll nun aber seine Nachbarn nicht bedrohn! Bis jetzt
ist das schwache Italien immer von seinen Nachbarn bedroht worden; gegen
sie bedarf es der Concentrirung. Doch hören wir, wer denn der bedrohte
Nachbar sei? Die Türkei. Welch eminenter Widerspruch mit der früheren Forde¬
rung und allen geographischen Begriffen! Um die Türkei zu sichern muß Vene¬
dig östreichisch bleiben!

Wir vermögen nicht in Venetien das Glacis deutscher Sicherheit zu er¬
blicken; aber wir verstehen doch, warum man in Wien und andern Orten es
dafür ausgibt. Es aber als die Vormauer von Constnntinopel anzusehen,
liegt doch etwas gar zu weit ab von dem Wege natürlich gegebener politi¬
scher Combination. Liegt denn nicht Oestreich, Ungarn, Dalmatien zwischen
Italien und der Türkei? Was heißt diese Furcht anders als was wir oben
sagten, daß man Italien im Allgemeinen neutralisiren und es feder Action
ans die politischen Dinge in Europa nah und fern, berauben wolle? Hat man
denn vergessen, (oder ist es etwa die Rancüne dagegen) daß das kleine Pie-
mont in das Rad der Geschichte eingegriffen hat?

Und vermag denn Italien ohne Venedig unabhängig (im Sinne des
Verfassers neutral) zu bleiben, vermag es in kritischen ZeiKn (und auf diese,
nicht ans friedliche kommt es an) sich gegen Oestreich zu halten, wenn dessen
Heere in seinem Herzen stehen? Venedig bei Oestreich ist eine stete Drohung,


6* '

Furcht davor) der Civilisator der Menschheit. Die Dreitheilung insbesondere
betreffend, so würde der Norden »in so entschiedenes moralisches und materielles
Uebergewicht über den Rest ausgeübt haben, daß an keine Stabilität der Ver¬
hältnisse zu denken gewesen wäre. Das kleine Sardinien hat die ganze Halb¬
insel fortgerissen; ein großes Sardinien würde sie selbst in gewöhnlichen Zei¬
ten dominirt und den diplomatischen Plan ruhigen Ncbeneinanderbestchens
arg durchkreuzt haben.

Herr von Fontvn neigt sich denn auch sichtlich der Lösung durch die
Einigung Italiens zu einem einheitlichen Staate zu. Die Sorge um das
europäische Gleichgewicht läßt ihm aber nicht Ruhe dabei. Er fordert Be¬
dingungen für dasselbe auch von dem einigen Italien.

Der Verfasser verlangt also, daß Italien italienisch sei, daß es Alliirte,
aber keine Herren habe, daß Rom die Hauptstadt, der Papst säcularisirt werde.

Er spricht mit Zuversicht von dem friedlichen Zusammenleben von Papst
und König. Wir halten dies für einen ebenso frommen Wunsch, wie die
Beglückung Italiens durch die Metternichsche Einteilung (um darauf
nachträglich zurückzuweisen). In einem königlichen Rom ist kein Raum
für einen römischen Papst und kein Ort für eine Reformation der römischen
Kirche. Die Frage, wie das Papstthum außer Rom zu constituiren wäre,
führte uns zu weit, lassen wir sie also hier bei Seite.

Das neue Reich soll nun aber seine Nachbarn nicht bedrohn! Bis jetzt
ist das schwache Italien immer von seinen Nachbarn bedroht worden; gegen
sie bedarf es der Concentrirung. Doch hören wir, wer denn der bedrohte
Nachbar sei? Die Türkei. Welch eminenter Widerspruch mit der früheren Forde¬
rung und allen geographischen Begriffen! Um die Türkei zu sichern muß Vene¬
dig östreichisch bleiben!

Wir vermögen nicht in Venetien das Glacis deutscher Sicherheit zu er¬
blicken; aber wir verstehen doch, warum man in Wien und andern Orten es
dafür ausgibt. Es aber als die Vormauer von Constnntinopel anzusehen,
liegt doch etwas gar zu weit ab von dem Wege natürlich gegebener politi¬
scher Combination. Liegt denn nicht Oestreich, Ungarn, Dalmatien zwischen
Italien und der Türkei? Was heißt diese Furcht anders als was wir oben
sagten, daß man Italien im Allgemeinen neutralisiren und es feder Action
ans die politischen Dinge in Europa nah und fern, berauben wolle? Hat man
denn vergessen, (oder ist es etwa die Rancüne dagegen) daß das kleine Pie-
mont in das Rad der Geschichte eingegriffen hat?

Und vermag denn Italien ohne Venedig unabhängig (im Sinne des
Verfassers neutral) zu bleiben, vermag es in kritischen ZeiKn (und auf diese,
nicht ans friedliche kommt es an) sich gegen Oestreich zu halten, wenn dessen
Heere in seinem Herzen stehen? Venedig bei Oestreich ist eine stete Drohung,


6* '
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0053" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/110947"/>
          <p xml:id="ID_114" prev="#ID_113"> Furcht davor) der Civilisator der Menschheit. Die Dreitheilung insbesondere<lb/>
betreffend, so würde der Norden »in so entschiedenes moralisches und materielles<lb/>
Uebergewicht über den Rest ausgeübt haben, daß an keine Stabilität der Ver¬<lb/>
hältnisse zu denken gewesen wäre. Das kleine Sardinien hat die ganze Halb¬<lb/>
insel fortgerissen; ein großes Sardinien würde sie selbst in gewöhnlichen Zei¬<lb/>
ten dominirt und den diplomatischen Plan ruhigen Ncbeneinanderbestchens<lb/>
arg durchkreuzt haben.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_115"> Herr von Fontvn neigt sich denn auch sichtlich der Lösung durch die<lb/>
Einigung Italiens zu einem einheitlichen Staate zu. Die Sorge um das<lb/>
europäische Gleichgewicht läßt ihm aber nicht Ruhe dabei. Er fordert Be¬<lb/>
dingungen für dasselbe auch von dem einigen Italien.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_116"> Der Verfasser verlangt also, daß Italien italienisch sei, daß es Alliirte,<lb/>
aber keine Herren habe, daß Rom die Hauptstadt, der Papst säcularisirt werde.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_117"> Er spricht mit Zuversicht von dem friedlichen Zusammenleben von Papst<lb/>
und König. Wir halten dies für einen ebenso frommen Wunsch, wie die<lb/>
Beglückung Italiens durch die Metternichsche Einteilung (um darauf<lb/>
nachträglich zurückzuweisen). In einem königlichen Rom ist kein Raum<lb/>
für einen römischen Papst und kein Ort für eine Reformation der römischen<lb/>
Kirche. Die Frage, wie das Papstthum außer Rom zu constituiren wäre,<lb/>
führte uns zu weit, lassen wir sie also hier bei Seite.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_118"> Das neue Reich soll nun aber seine Nachbarn nicht bedrohn! Bis jetzt<lb/>
ist das schwache Italien immer von seinen Nachbarn bedroht worden; gegen<lb/>
sie bedarf es der Concentrirung. Doch hören wir, wer denn der bedrohte<lb/>
Nachbar sei? Die Türkei. Welch eminenter Widerspruch mit der früheren Forde¬<lb/>
rung und allen geographischen Begriffen! Um die Türkei zu sichern muß Vene¬<lb/>
dig östreichisch bleiben!</p><lb/>
          <p xml:id="ID_119"> Wir vermögen nicht in Venetien das Glacis deutscher Sicherheit zu er¬<lb/>
blicken; aber wir verstehen doch, warum man in Wien und andern Orten es<lb/>
dafür ausgibt. Es aber als die Vormauer von Constnntinopel anzusehen,<lb/>
liegt doch etwas gar zu weit ab von dem Wege natürlich gegebener politi¬<lb/>
scher Combination. Liegt denn nicht Oestreich, Ungarn, Dalmatien zwischen<lb/>
Italien und der Türkei? Was heißt diese Furcht anders als was wir oben<lb/>
sagten, daß man Italien im Allgemeinen neutralisiren und es feder Action<lb/>
ans die politischen Dinge in Europa nah und fern, berauben wolle? Hat man<lb/>
denn vergessen, (oder ist es etwa die Rancüne dagegen) daß das kleine Pie-<lb/>
mont in das Rad der Geschichte eingegriffen hat?</p><lb/>
          <p xml:id="ID_120" next="#ID_121"> Und vermag denn Italien ohne Venedig unabhängig (im Sinne des<lb/>
Verfassers neutral) zu bleiben, vermag es in kritischen ZeiKn (und auf diese,<lb/>
nicht ans friedliche kommt es an) sich gegen Oestreich zu halten, wenn dessen<lb/>
Heere in seinem Herzen stehen? Venedig bei Oestreich ist eine stete Drohung,</p><lb/>
          <fw type="sig" place="bottom"> 6* '</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0053] Furcht davor) der Civilisator der Menschheit. Die Dreitheilung insbesondere betreffend, so würde der Norden »in so entschiedenes moralisches und materielles Uebergewicht über den Rest ausgeübt haben, daß an keine Stabilität der Ver¬ hältnisse zu denken gewesen wäre. Das kleine Sardinien hat die ganze Halb¬ insel fortgerissen; ein großes Sardinien würde sie selbst in gewöhnlichen Zei¬ ten dominirt und den diplomatischen Plan ruhigen Ncbeneinanderbestchens arg durchkreuzt haben. Herr von Fontvn neigt sich denn auch sichtlich der Lösung durch die Einigung Italiens zu einem einheitlichen Staate zu. Die Sorge um das europäische Gleichgewicht läßt ihm aber nicht Ruhe dabei. Er fordert Be¬ dingungen für dasselbe auch von dem einigen Italien. Der Verfasser verlangt also, daß Italien italienisch sei, daß es Alliirte, aber keine Herren habe, daß Rom die Hauptstadt, der Papst säcularisirt werde. Er spricht mit Zuversicht von dem friedlichen Zusammenleben von Papst und König. Wir halten dies für einen ebenso frommen Wunsch, wie die Beglückung Italiens durch die Metternichsche Einteilung (um darauf nachträglich zurückzuweisen). In einem königlichen Rom ist kein Raum für einen römischen Papst und kein Ort für eine Reformation der römischen Kirche. Die Frage, wie das Papstthum außer Rom zu constituiren wäre, führte uns zu weit, lassen wir sie also hier bei Seite. Das neue Reich soll nun aber seine Nachbarn nicht bedrohn! Bis jetzt ist das schwache Italien immer von seinen Nachbarn bedroht worden; gegen sie bedarf es der Concentrirung. Doch hören wir, wer denn der bedrohte Nachbar sei? Die Türkei. Welch eminenter Widerspruch mit der früheren Forde¬ rung und allen geographischen Begriffen! Um die Türkei zu sichern muß Vene¬ dig östreichisch bleiben! Wir vermögen nicht in Venetien das Glacis deutscher Sicherheit zu er¬ blicken; aber wir verstehen doch, warum man in Wien und andern Orten es dafür ausgibt. Es aber als die Vormauer von Constnntinopel anzusehen, liegt doch etwas gar zu weit ab von dem Wege natürlich gegebener politi¬ scher Combination. Liegt denn nicht Oestreich, Ungarn, Dalmatien zwischen Italien und der Türkei? Was heißt diese Furcht anders als was wir oben sagten, daß man Italien im Allgemeinen neutralisiren und es feder Action ans die politischen Dinge in Europa nah und fern, berauben wolle? Hat man denn vergessen, (oder ist es etwa die Rancüne dagegen) daß das kleine Pie- mont in das Rad der Geschichte eingegriffen hat? Und vermag denn Italien ohne Venedig unabhängig (im Sinne des Verfassers neutral) zu bleiben, vermag es in kritischen ZeiKn (und auf diese, nicht ans friedliche kommt es an) sich gegen Oestreich zu halten, wenn dessen Heere in seinem Herzen stehen? Venedig bei Oestreich ist eine stete Drohung, 6* '

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341793_110893
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341793_110893/53
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341793_110893/53>, abgerufen am 22.07.2024.