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Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, I. Semester. I. Band.

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Zähne, und wenn ein Kind einen Zahn verliert, so muß es, um einen dauer-
haftern neuen zu bekommen, den ausgebrochnen hinter sich werfen und sprechen:
"Da hast Du, Fuchs, einen bemerlten, gib mir dafür einen eisernen." Da
an einigen Orten statt Fuchs Baba gesagt wird, und man anderwärts dem
Fuchs die Function des Kinderbringens, wie sie bei uns der Storch hat, zu¬
theilt, so darf man annehmen, daß der brehelnspendende Fuchs des czechischen
Fuchssonntags nur das als Stellvertreter zurückgebliebne Attribut der Göttin
Baba. der Urmutter der Natur und aller Geburt ist, die in der Heidenzeit beim
Frühlingsfest die Kinder unverhüllt beschenkt haben wird.

Der zweite Fastensonntag, Reminiscere, hat im Brauch und Glauben
des Volks keine besondere Auszeichnung, und vom dritten, Oculi, ist nur zu
erwähnen, daß er bei den Czechen Kychavna Uebele, Niessonntag genannt
wird, da man meint, wer an ihm riefe, könne das ganze Jahr über nicht
krank werden. Dagegen knüpfen sich in den deutschen Strichen Böhmens an
den vierten, in den czechischen an den fünften sehr interessante Reste des alten
Frühlingsfestes, nach welchen jene Sonntage die Namen Todtensonntag und
czechisch Uebele Smrtelna führen.

Schon am Sonnabend vor dem Todtensonntag gingen früher die Mäd¬
chen des Dorfes weißgekleidet in den Wald, um'für die Feier des nächsten
Tages ein Bäumchen zu holen. Unter dem Gesang eines Liedes schnitten sie
eine kleine Tanne oder Fichte ab, schälten unten die Rinde los und ließen
oben die Zweige stehen, die sie mit ausgeblasenen Eiern bedingen und mit
weißen und rothen Bändern schmückten. An der Krone befestigten sie eine
weiße Puppe in Frauengestalt. Mit diesem Bäumchen, welches Lido (Sommer)
hieß, zogen sie am nächsten Morgen im Dorfe von Haus zu Haus, wobei
sie das beim Abschneiden des Bäumchens gesungene Lied wiederholten. Letz¬
teres lautete einst auf Deutsch: "Sommer, Sommer, Sommer, wo warst du
so lange? -- War beim Wasser, war beim Wasser, wusch mir Hände und
Füße. Veilchen, Rose können nicht blühen, bis Perun ihnen hilft."

Umzug und Lied haben sich mit einigen Veränderungen bis auf den heu¬
tigen Tag erhalten. In einigen Gegenden hängt eine weibliche Puppe, welche
den Tod vorstellen soll, am Bäumchen, in andern eine Abbildung des Todes.
In Zwikowec tragen die Kinder nur die Puppe herum. In der Nachbarschaft
von Neustadt an der Mellau wird der Tod erst am Nachmittag nach dem
Segen aus Stroh und alter Leinwand gemacht, dann aufgestellt und von den
jungen Leuten Hand in Hand umtanzt, wozu sie singen: "Todtcnbringerin,
Todtenbringerin, wo bleibst du so lange? Am Wasser, am Wasser wuschest du
dir wol Hände und Füße?" Haben sie genug gesungen und gesprungen, s"
ziehen sie durch den Ort und singen: "Den Tod, den Tod aus der Stadt,
neuen Sommer in die Stadt, lieblich weht der Sommer, grün ist das Getreide-


Zähne, und wenn ein Kind einen Zahn verliert, so muß es, um einen dauer-
haftern neuen zu bekommen, den ausgebrochnen hinter sich werfen und sprechen:
„Da hast Du, Fuchs, einen bemerlten, gib mir dafür einen eisernen." Da
an einigen Orten statt Fuchs Baba gesagt wird, und man anderwärts dem
Fuchs die Function des Kinderbringens, wie sie bei uns der Storch hat, zu¬
theilt, so darf man annehmen, daß der brehelnspendende Fuchs des czechischen
Fuchssonntags nur das als Stellvertreter zurückgebliebne Attribut der Göttin
Baba. der Urmutter der Natur und aller Geburt ist, die in der Heidenzeit beim
Frühlingsfest die Kinder unverhüllt beschenkt haben wird.

Der zweite Fastensonntag, Reminiscere, hat im Brauch und Glauben
des Volks keine besondere Auszeichnung, und vom dritten, Oculi, ist nur zu
erwähnen, daß er bei den Czechen Kychavna Uebele, Niessonntag genannt
wird, da man meint, wer an ihm riefe, könne das ganze Jahr über nicht
krank werden. Dagegen knüpfen sich in den deutschen Strichen Böhmens an
den vierten, in den czechischen an den fünften sehr interessante Reste des alten
Frühlingsfestes, nach welchen jene Sonntage die Namen Todtensonntag und
czechisch Uebele Smrtelna führen.

Schon am Sonnabend vor dem Todtensonntag gingen früher die Mäd¬
chen des Dorfes weißgekleidet in den Wald, um'für die Feier des nächsten
Tages ein Bäumchen zu holen. Unter dem Gesang eines Liedes schnitten sie
eine kleine Tanne oder Fichte ab, schälten unten die Rinde los und ließen
oben die Zweige stehen, die sie mit ausgeblasenen Eiern bedingen und mit
weißen und rothen Bändern schmückten. An der Krone befestigten sie eine
weiße Puppe in Frauengestalt. Mit diesem Bäumchen, welches Lido (Sommer)
hieß, zogen sie am nächsten Morgen im Dorfe von Haus zu Haus, wobei
sie das beim Abschneiden des Bäumchens gesungene Lied wiederholten. Letz¬
teres lautete einst auf Deutsch: „Sommer, Sommer, Sommer, wo warst du
so lange? — War beim Wasser, war beim Wasser, wusch mir Hände und
Füße. Veilchen, Rose können nicht blühen, bis Perun ihnen hilft."

Umzug und Lied haben sich mit einigen Veränderungen bis auf den heu¬
tigen Tag erhalten. In einigen Gegenden hängt eine weibliche Puppe, welche
den Tod vorstellen soll, am Bäumchen, in andern eine Abbildung des Todes.
In Zwikowec tragen die Kinder nur die Puppe herum. In der Nachbarschaft
von Neustadt an der Mellau wird der Tod erst am Nachmittag nach dem
Segen aus Stroh und alter Leinwand gemacht, dann aufgestellt und von den
jungen Leuten Hand in Hand umtanzt, wozu sie singen: „Todtcnbringerin,
Todtenbringerin, wo bleibst du so lange? Am Wasser, am Wasser wuschest du
dir wol Hände und Füße?" Haben sie genug gesungen und gesprungen, s»
ziehen sie durch den Ort und singen: „Den Tod, den Tod aus der Stadt,
neuen Sommer in die Stadt, lieblich weht der Sommer, grün ist das Getreide-


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[0492] Zähne, und wenn ein Kind einen Zahn verliert, so muß es, um einen dauer- haftern neuen zu bekommen, den ausgebrochnen hinter sich werfen und sprechen: „Da hast Du, Fuchs, einen bemerlten, gib mir dafür einen eisernen." Da an einigen Orten statt Fuchs Baba gesagt wird, und man anderwärts dem Fuchs die Function des Kinderbringens, wie sie bei uns der Storch hat, zu¬ theilt, so darf man annehmen, daß der brehelnspendende Fuchs des czechischen Fuchssonntags nur das als Stellvertreter zurückgebliebne Attribut der Göttin Baba. der Urmutter der Natur und aller Geburt ist, die in der Heidenzeit beim Frühlingsfest die Kinder unverhüllt beschenkt haben wird. Der zweite Fastensonntag, Reminiscere, hat im Brauch und Glauben des Volks keine besondere Auszeichnung, und vom dritten, Oculi, ist nur zu erwähnen, daß er bei den Czechen Kychavna Uebele, Niessonntag genannt wird, da man meint, wer an ihm riefe, könne das ganze Jahr über nicht krank werden. Dagegen knüpfen sich in den deutschen Strichen Böhmens an den vierten, in den czechischen an den fünften sehr interessante Reste des alten Frühlingsfestes, nach welchen jene Sonntage die Namen Todtensonntag und czechisch Uebele Smrtelna führen. Schon am Sonnabend vor dem Todtensonntag gingen früher die Mäd¬ chen des Dorfes weißgekleidet in den Wald, um'für die Feier des nächsten Tages ein Bäumchen zu holen. Unter dem Gesang eines Liedes schnitten sie eine kleine Tanne oder Fichte ab, schälten unten die Rinde los und ließen oben die Zweige stehen, die sie mit ausgeblasenen Eiern bedingen und mit weißen und rothen Bändern schmückten. An der Krone befestigten sie eine weiße Puppe in Frauengestalt. Mit diesem Bäumchen, welches Lido (Sommer) hieß, zogen sie am nächsten Morgen im Dorfe von Haus zu Haus, wobei sie das beim Abschneiden des Bäumchens gesungene Lied wiederholten. Letz¬ teres lautete einst auf Deutsch: „Sommer, Sommer, Sommer, wo warst du so lange? — War beim Wasser, war beim Wasser, wusch mir Hände und Füße. Veilchen, Rose können nicht blühen, bis Perun ihnen hilft." Umzug und Lied haben sich mit einigen Veränderungen bis auf den heu¬ tigen Tag erhalten. In einigen Gegenden hängt eine weibliche Puppe, welche den Tod vorstellen soll, am Bäumchen, in andern eine Abbildung des Todes. In Zwikowec tragen die Kinder nur die Puppe herum. In der Nachbarschaft von Neustadt an der Mellau wird der Tod erst am Nachmittag nach dem Segen aus Stroh und alter Leinwand gemacht, dann aufgestellt und von den jungen Leuten Hand in Hand umtanzt, wozu sie singen: „Todtcnbringerin, Todtenbringerin, wo bleibst du so lange? Am Wasser, am Wasser wuschest du dir wol Hände und Füße?" Haben sie genug gesungen und gesprungen, s» ziehen sie durch den Ort und singen: „Den Tod, den Tod aus der Stadt, neuen Sommer in die Stadt, lieblich weht der Sommer, grün ist das Getreide-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341793_110893/492>, abgerufen am 24.08.2024.