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Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, I. Semester. I. Band.

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Ostern in Böhmen.

Wir verstehe" hier unter Ostern die ganze große Processton von Tagen
und Bräuchen, mit welcher der Glaube der katholischen Kirche die Auferstehung
Christi und der nebenhergehende Aberglaube, das heißt, der Rest des alten
Heidenthums. die Auferstehung der Natur vom winterlichen Tode feiert.
Voraus der Vortrab der Fastensonntage: Jnvocavit, der Herold, Reminiscere,
der Prediger, Oculi, der Pnnierträger, Lätare, der Schalksnarr, dann die
beiden Prinzen Gründonnerstag und Karfreitag, der eine heiter den Reichs¬
apfel, ein buntes El, das Symbol des Lebens, der andere düster das Scep¬
ter, ein Krenz, das Symbol des Todes, in der Hand, dann endlich mit seiner
Strahlenglorie und seinem Gefolge von Engelchören, Heiligen, vermummten
Göttern, heiliges Feuer. Opferkuchen und Zauberkräuter tragenden Dienern
der alte prächtige König Ostern selbst. In protestantischen Ländern ist diese
Procession mit jedem Jahrzehnt nüchterner und ärmer an Gestalten geworden.
In katholischen bewahrt sie noch viel von dem alten Glanz. In Böhmen
hat sie in"f dem platten Lande und in den kleinen Städten zugleich ein natio¬
nales Gepräge, und die alten Götter in dem Festzuge schauen bisweilen noch
"echt deutlich aus ihrer Verhüllung heraus.*)

So gleich beim Ersten in der Reihe, dem Sonntag Jnvocavit. der bei
den Deutschen in Böhmen die alte Fastnacht oder Allermannsfasching, bei den
Czechen aber Lisei Uebele. d. i. Fuchssonntag heißt. In der Nacht vor
demselben reihen die Frauen im Berouner und Rakonitzer Kreis Mohnbrejzeln
auf Reiser und hängen sie im Garten an die Bäume. Vor Sonnenaufgang
werden die Kinder geweckt und ihnen gesagt, daß der Fuchs gekommen und
Vretzeln gebracht. Sie hingen draußen an den Bäumen, wo die Kinder sie.
nachdem sie unter dem Baum ein Gebet gesprochen, sich nehmen könnten.
Mit dem Essen der Bretzeln wird die Vorstellung verbunden, daß dies vor
Zahnweh schützt Nun gilt der Fuchs bei den Czechen überhaupt als Spender der



') Ausführlicheres darüber findet man in der hoche/erschienenen ersten Lieferung des vom
Sttiherrn v. Reinsbcrg-Düringsfeld zusammengestellten ..Festkalenders aus Böhmen (W.en
und Prag. Köder und Markgraf 1861). dem das Obige im Auszug entnommen ist.
Grenzboten I. 1861.
Ostern in Böhmen.

Wir verstehe» hier unter Ostern die ganze große Processton von Tagen
und Bräuchen, mit welcher der Glaube der katholischen Kirche die Auferstehung
Christi und der nebenhergehende Aberglaube, das heißt, der Rest des alten
Heidenthums. die Auferstehung der Natur vom winterlichen Tode feiert.
Voraus der Vortrab der Fastensonntage: Jnvocavit, der Herold, Reminiscere,
der Prediger, Oculi, der Pnnierträger, Lätare, der Schalksnarr, dann die
beiden Prinzen Gründonnerstag und Karfreitag, der eine heiter den Reichs¬
apfel, ein buntes El, das Symbol des Lebens, der andere düster das Scep¬
ter, ein Krenz, das Symbol des Todes, in der Hand, dann endlich mit seiner
Strahlenglorie und seinem Gefolge von Engelchören, Heiligen, vermummten
Göttern, heiliges Feuer. Opferkuchen und Zauberkräuter tragenden Dienern
der alte prächtige König Ostern selbst. In protestantischen Ländern ist diese
Procession mit jedem Jahrzehnt nüchterner und ärmer an Gestalten geworden.
In katholischen bewahrt sie noch viel von dem alten Glanz. In Böhmen
hat sie in»f dem platten Lande und in den kleinen Städten zugleich ein natio¬
nales Gepräge, und die alten Götter in dem Festzuge schauen bisweilen noch
»echt deutlich aus ihrer Verhüllung heraus.*)

So gleich beim Ersten in der Reihe, dem Sonntag Jnvocavit. der bei
den Deutschen in Böhmen die alte Fastnacht oder Allermannsfasching, bei den
Czechen aber Lisei Uebele. d. i. Fuchssonntag heißt. In der Nacht vor
demselben reihen die Frauen im Berouner und Rakonitzer Kreis Mohnbrejzeln
auf Reiser und hängen sie im Garten an die Bäume. Vor Sonnenaufgang
werden die Kinder geweckt und ihnen gesagt, daß der Fuchs gekommen und
Vretzeln gebracht. Sie hingen draußen an den Bäumen, wo die Kinder sie.
nachdem sie unter dem Baum ein Gebet gesprochen, sich nehmen könnten.
Mit dem Essen der Bretzeln wird die Vorstellung verbunden, daß dies vor
Zahnweh schützt Nun gilt der Fuchs bei den Czechen überhaupt als Spender der



') Ausführlicheres darüber findet man in der hoche/erschienenen ersten Lieferung des vom
Sttiherrn v. Reinsbcrg-Düringsfeld zusammengestellten ..Festkalenders aus Böhmen (W.en
und Prag. Köder und Markgraf 1861). dem das Obige im Auszug entnommen ist.
Grenzboten I. 1861.
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[0491] Ostern in Böhmen. Wir verstehe» hier unter Ostern die ganze große Processton von Tagen und Bräuchen, mit welcher der Glaube der katholischen Kirche die Auferstehung Christi und der nebenhergehende Aberglaube, das heißt, der Rest des alten Heidenthums. die Auferstehung der Natur vom winterlichen Tode feiert. Voraus der Vortrab der Fastensonntage: Jnvocavit, der Herold, Reminiscere, der Prediger, Oculi, der Pnnierträger, Lätare, der Schalksnarr, dann die beiden Prinzen Gründonnerstag und Karfreitag, der eine heiter den Reichs¬ apfel, ein buntes El, das Symbol des Lebens, der andere düster das Scep¬ ter, ein Krenz, das Symbol des Todes, in der Hand, dann endlich mit seiner Strahlenglorie und seinem Gefolge von Engelchören, Heiligen, vermummten Göttern, heiliges Feuer. Opferkuchen und Zauberkräuter tragenden Dienern der alte prächtige König Ostern selbst. In protestantischen Ländern ist diese Procession mit jedem Jahrzehnt nüchterner und ärmer an Gestalten geworden. In katholischen bewahrt sie noch viel von dem alten Glanz. In Böhmen hat sie in»f dem platten Lande und in den kleinen Städten zugleich ein natio¬ nales Gepräge, und die alten Götter in dem Festzuge schauen bisweilen noch »echt deutlich aus ihrer Verhüllung heraus.*) So gleich beim Ersten in der Reihe, dem Sonntag Jnvocavit. der bei den Deutschen in Böhmen die alte Fastnacht oder Allermannsfasching, bei den Czechen aber Lisei Uebele. d. i. Fuchssonntag heißt. In der Nacht vor demselben reihen die Frauen im Berouner und Rakonitzer Kreis Mohnbrejzeln auf Reiser und hängen sie im Garten an die Bäume. Vor Sonnenaufgang werden die Kinder geweckt und ihnen gesagt, daß der Fuchs gekommen und Vretzeln gebracht. Sie hingen draußen an den Bäumen, wo die Kinder sie. nachdem sie unter dem Baum ein Gebet gesprochen, sich nehmen könnten. Mit dem Essen der Bretzeln wird die Vorstellung verbunden, daß dies vor Zahnweh schützt Nun gilt der Fuchs bei den Czechen überhaupt als Spender der ') Ausführlicheres darüber findet man in der hoche/erschienenen ersten Lieferung des vom Sttiherrn v. Reinsbcrg-Düringsfeld zusammengestellten ..Festkalenders aus Böhmen (W.en und Prag. Köder und Markgraf 1861). dem das Obige im Auszug entnommen ist. Grenzboten I. 1861.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341793_110893/491>, abgerufen am 24.08.2024.