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Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, I. Semester. I. Band.

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Die Stelle ist ein herrlicher Beleg für den demoralisirenden Einfluß den
damals Jean Pauls Romane auf junge Leute ausübten. In seinen bis¬
herigen Briefen zeigt Louis, auch da wo er cxtravagirt. durchaus die Fähig¬
keit, sich gut und schicklich auszudrücken, und nun verfällt er in diesen blühen¬
den Unsinn! Bekanntlich hat er die Begeisterung für Jenn Paul immer
bewahrt; und in der That findet einige Verwandtschaft statt. Die Mischung
von Sentimentalität und Ironie, die selber sentimental ist, ist bei beiden vor¬
handen, und ein aufmerksamer Leser der Borneschen Briefe wird sich schon
früher gesagt haben, daß seine Bitterkeit oft nichts Anderes ist als versetzte
Sentimentalität.

Im Herbst 1804 kommt Schleiermacher nach Halle, Henriettens ge¬
nauster Freund, und Börne wird ihm dringend empfohlen. "Ich fand
Schleiermachers Physiognomie sehr ironisch, gleich im ersten Augenblick meiner
Bekanntschaft. Ich fragte ihn nachher selbst, ob er wol so wäre? Er ver¬
neinte es, sagte aber zugleich, daß ihn schon viele seiner Bekannten dafür ge^
halten hätten, und Brenna nenne dies sein Wesen eanailleiig. Das Wort
drückt in der That die Sache sehr gut aus".

Zu Weihnachten 1804 begleitete er Schleiermacher ans einige Wochen
nach Berlin, Henriette sowol als Schleiermacher finden ihn affectirt und sa¬
gen ihm das. Nach ihrer Rückkehr nach Halle ist Schleiermacher sehr kalt
gegen ihn; die Gründe fuhrt er in einem Brief an Henriette an, der in den
"Schleiermacher'sehen Briefen" undatirt ist, den Fürst in den April 1806 ver¬
legt, der aber, wenn wir den Zusammenhang der gegenwärtigen Briefe er¬
wägen, in den April 1805 fällt, denn um diese Zeit fällt die Reise nach
Frankfurt, die im Brief erwähnt wird. "Börne ist mir sehr gleichgiltig. Wie soll
man mehr Interesse an einem Menschen nehmen, als er selbst an sich nimmt?
Er fängt gar nichts mit sich selbst an, vertändelt seine Zeit, verfnnmt seine
Studien, ruinirt sich durch Faulheit, und sieht das selbst mit der größten Ge¬
lassenheit an, und sagt mir immer, es wäre ihm nun einmal so, und wenn
er sich zu etwas Anderem zwingen wollte, so wäre es ja dann dock nicht besser.
Wie kann man auf einen Menschen wirken, der sich so den Willen selbst weg-
laisonnirt? Ich weiß nicht, ob er untergehen wird; manche Natur rettet sich
aus diesem Zustand; aber in diesem Zustand ist nichts auf ihn zu wirken und
kein Theil an ihm zu nehmen. Dabei ziert er sich noch und ist falsch . . .
Wie er klagen kann, daß er trübe ist, begreife ich wol, aber nicht, wie Du es
">s Klage aufnehmen kannst. Aller Trübsinn kommt aus seiner Unthätigkeitv
die ihn schlaff macht." -- In einem spätern Bries. den Fürst 10. October
1806 datirt. sagt Schleiermacher: "Mit Börne und mir wäre es nicht gewor¬
den. Er liebt und hätschelt seine Faulheit und Eitelkeit, und will von allen
Menschen entweder gehätschelt werden oder hochmüthig über sie wegsehen. Das


Die Stelle ist ein herrlicher Beleg für den demoralisirenden Einfluß den
damals Jean Pauls Romane auf junge Leute ausübten. In seinen bis¬
herigen Briefen zeigt Louis, auch da wo er cxtravagirt. durchaus die Fähig¬
keit, sich gut und schicklich auszudrücken, und nun verfällt er in diesen blühen¬
den Unsinn! Bekanntlich hat er die Begeisterung für Jenn Paul immer
bewahrt; und in der That findet einige Verwandtschaft statt. Die Mischung
von Sentimentalität und Ironie, die selber sentimental ist, ist bei beiden vor¬
handen, und ein aufmerksamer Leser der Borneschen Briefe wird sich schon
früher gesagt haben, daß seine Bitterkeit oft nichts Anderes ist als versetzte
Sentimentalität.

Im Herbst 1804 kommt Schleiermacher nach Halle, Henriettens ge¬
nauster Freund, und Börne wird ihm dringend empfohlen. „Ich fand
Schleiermachers Physiognomie sehr ironisch, gleich im ersten Augenblick meiner
Bekanntschaft. Ich fragte ihn nachher selbst, ob er wol so wäre? Er ver¬
neinte es, sagte aber zugleich, daß ihn schon viele seiner Bekannten dafür ge^
halten hätten, und Brenna nenne dies sein Wesen eanailleiig. Das Wort
drückt in der That die Sache sehr gut aus".

Zu Weihnachten 1804 begleitete er Schleiermacher ans einige Wochen
nach Berlin, Henriette sowol als Schleiermacher finden ihn affectirt und sa¬
gen ihm das. Nach ihrer Rückkehr nach Halle ist Schleiermacher sehr kalt
gegen ihn; die Gründe fuhrt er in einem Brief an Henriette an, der in den
„Schleiermacher'sehen Briefen" undatirt ist, den Fürst in den April 1806 ver¬
legt, der aber, wenn wir den Zusammenhang der gegenwärtigen Briefe er¬
wägen, in den April 1805 fällt, denn um diese Zeit fällt die Reise nach
Frankfurt, die im Brief erwähnt wird. „Börne ist mir sehr gleichgiltig. Wie soll
man mehr Interesse an einem Menschen nehmen, als er selbst an sich nimmt?
Er fängt gar nichts mit sich selbst an, vertändelt seine Zeit, verfnnmt seine
Studien, ruinirt sich durch Faulheit, und sieht das selbst mit der größten Ge¬
lassenheit an, und sagt mir immer, es wäre ihm nun einmal so, und wenn
er sich zu etwas Anderem zwingen wollte, so wäre es ja dann dock nicht besser.
Wie kann man auf einen Menschen wirken, der sich so den Willen selbst weg-
laisonnirt? Ich weiß nicht, ob er untergehen wird; manche Natur rettet sich
aus diesem Zustand; aber in diesem Zustand ist nichts auf ihn zu wirken und
kein Theil an ihm zu nehmen. Dabei ziert er sich noch und ist falsch . . .
Wie er klagen kann, daß er trübe ist, begreife ich wol, aber nicht, wie Du es
">s Klage aufnehmen kannst. Aller Trübsinn kommt aus seiner Unthätigkeitv
die ihn schlaff macht." — In einem spätern Bries. den Fürst 10. October
1806 datirt. sagt Schleiermacher: „Mit Börne und mir wäre es nicht gewor¬
den. Er liebt und hätschelt seine Faulheit und Eitelkeit, und will von allen
Menschen entweder gehätschelt werden oder hochmüthig über sie wegsehen. Das


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[0479] Die Stelle ist ein herrlicher Beleg für den demoralisirenden Einfluß den damals Jean Pauls Romane auf junge Leute ausübten. In seinen bis¬ herigen Briefen zeigt Louis, auch da wo er cxtravagirt. durchaus die Fähig¬ keit, sich gut und schicklich auszudrücken, und nun verfällt er in diesen blühen¬ den Unsinn! Bekanntlich hat er die Begeisterung für Jenn Paul immer bewahrt; und in der That findet einige Verwandtschaft statt. Die Mischung von Sentimentalität und Ironie, die selber sentimental ist, ist bei beiden vor¬ handen, und ein aufmerksamer Leser der Borneschen Briefe wird sich schon früher gesagt haben, daß seine Bitterkeit oft nichts Anderes ist als versetzte Sentimentalität. Im Herbst 1804 kommt Schleiermacher nach Halle, Henriettens ge¬ nauster Freund, und Börne wird ihm dringend empfohlen. „Ich fand Schleiermachers Physiognomie sehr ironisch, gleich im ersten Augenblick meiner Bekanntschaft. Ich fragte ihn nachher selbst, ob er wol so wäre? Er ver¬ neinte es, sagte aber zugleich, daß ihn schon viele seiner Bekannten dafür ge^ halten hätten, und Brenna nenne dies sein Wesen eanailleiig. Das Wort drückt in der That die Sache sehr gut aus". Zu Weihnachten 1804 begleitete er Schleiermacher ans einige Wochen nach Berlin, Henriette sowol als Schleiermacher finden ihn affectirt und sa¬ gen ihm das. Nach ihrer Rückkehr nach Halle ist Schleiermacher sehr kalt gegen ihn; die Gründe fuhrt er in einem Brief an Henriette an, der in den „Schleiermacher'sehen Briefen" undatirt ist, den Fürst in den April 1806 ver¬ legt, der aber, wenn wir den Zusammenhang der gegenwärtigen Briefe er¬ wägen, in den April 1805 fällt, denn um diese Zeit fällt die Reise nach Frankfurt, die im Brief erwähnt wird. „Börne ist mir sehr gleichgiltig. Wie soll man mehr Interesse an einem Menschen nehmen, als er selbst an sich nimmt? Er fängt gar nichts mit sich selbst an, vertändelt seine Zeit, verfnnmt seine Studien, ruinirt sich durch Faulheit, und sieht das selbst mit der größten Ge¬ lassenheit an, und sagt mir immer, es wäre ihm nun einmal so, und wenn er sich zu etwas Anderem zwingen wollte, so wäre es ja dann dock nicht besser. Wie kann man auf einen Menschen wirken, der sich so den Willen selbst weg- laisonnirt? Ich weiß nicht, ob er untergehen wird; manche Natur rettet sich aus diesem Zustand; aber in diesem Zustand ist nichts auf ihn zu wirken und kein Theil an ihm zu nehmen. Dabei ziert er sich noch und ist falsch . . . Wie er klagen kann, daß er trübe ist, begreife ich wol, aber nicht, wie Du es ">s Klage aufnehmen kannst. Aller Trübsinn kommt aus seiner Unthätigkeitv die ihn schlaff macht." — In einem spätern Bries. den Fürst 10. October 1806 datirt. sagt Schleiermacher: „Mit Börne und mir wäre es nicht gewor¬ den. Er liebt und hätschelt seine Faulheit und Eitelkeit, und will von allen Menschen entweder gehätschelt werden oder hochmüthig über sie wegsehen. Das

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341793_110893/479>, abgerufen am 26.08.2024.