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Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, I. Semester. I. Band.

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nachdem er sein Werk in so überraschender Weise durchgeführt, in Neapel ein
Werkzeug in den Händen der Mazzinisten zu werden drohte, sah Cavours über¬
legener Scharfblick, daß die Anarchie in Süditalien das ganze Werk der Eini¬
gung gefährde, und mit entschlossenem Griffe machte er sich durch die Besetzung
des Kirchenstaats zum Meister der Situation, indem er den territorialen Zu¬
sammenhang herstellte und die Belageiung Gaetas, welche nie von Freiwilligen
unternommen werden konnte, den Genietruppen Cialdinis überwies. Wie er
aber hier kühn allen Protesten Trotz bot und auf die moralische Depesche
des Herrn v. Schlcinitz mit überlegener Feinheit antwortete: Preußen werde
ihm einst noch das Beispiel danken, das Sardinien gegeben, so kaltblütig
besonnen widersteht er, auch jetzt dem ungestümen Drängen aus Eroberung
Venetiens. Er weiß die Kräfte genau zu berechnen, er weiß, daß die europäische
Lage einem Angriffe jetzt ungünstig ist, und überläßt es der Verblendung in
der Hofburg, das Werk der innern Auflösung Oestreichs fortzusetzen.

Seine Aufgabe ist jetzt die römische Frage zu einem Resultat zu führe"
und Italien seine Hauptstadt zu geben, und die combinirte Feinheit eines
Cavour und Napoleon wird doch wol die Oberhand über die Pfiffigkeit des
Cardinal Antonelli behalten. Graf Cavour ist nicht das Idol des Volkes
wie Garibaldi, aber Italien anerkennt in ihm den überlegenen Führer, der
allein das möglich gemacht, was geschehen ist. Ihm selbst ist es nicht um
Popularität zu thun; obwol er zu rechter Zeit Revolutionär zu sein weiß, ist
er doch im Herzen ein stolzer Aristokrat. Er verfolgt seine Idee der Einheit und
Freiheit Italiens mit jener kalten Leidenschaft, welche die Mutter aller großen Tha¬
ten ist. Kühn bis zur Verwegenheit, weiß er doch seine Kräfte genau zu berechnen,
er benutzt die Gelegenheit und wendet sie für seine Zwecke an. er weiß aber auch
zu warten, wo es Noth ist. Von gedrungnem, athletischen Körperbau hat er jene
löwenmüßige Kraft, welche MacchiavelU seinen Fürsten wünschte. Seine unerme߬
liche Arbeitskraft gönnt sich kaum vier Stunden Schlummer; was er thut, thut
er ganz und hat doch Zeit für Alles, während der Schlacht von Magcnta unter¬
handelte er über gleichgiltige diplomatische Formalien mit der größten Ruhe.
Cavour ist nicht eigentlich ein Redner, sein Organ ist scharf und unangenehm;
der oratorische Schwung fehlt ihm, aber Niemand weiß eine Sache klarer
auseinanderzusetzen, Niemand ist fertiger zur Erwiederung, Niemand schärfer
und kaustischer im Witz als er, er gleicht in dieser Beziehung Thiers.
Zuerst macht er den Eindruck eines behäbigen Bourgeois, aber obwol er an
der Spitze des dritten Standes in Piemont steht, so merkt man, noch ehe
er geredet, an dem feinen ironischen Lächeln den überlegenen Weltmann, weichen
seine Unterhaltung stets zeigt. Ehrgeizig ist Cavour gewiß, aber wir glauben
weniger persönlich als für ti<Jdeen, welche er versieht. Wenigstens kann i-so
Niemand nachweisen, daß er aus persönlichen Motiven geschwankt; lange ehe


nachdem er sein Werk in so überraschender Weise durchgeführt, in Neapel ein
Werkzeug in den Händen der Mazzinisten zu werden drohte, sah Cavours über¬
legener Scharfblick, daß die Anarchie in Süditalien das ganze Werk der Eini¬
gung gefährde, und mit entschlossenem Griffe machte er sich durch die Besetzung
des Kirchenstaats zum Meister der Situation, indem er den territorialen Zu¬
sammenhang herstellte und die Belageiung Gaetas, welche nie von Freiwilligen
unternommen werden konnte, den Genietruppen Cialdinis überwies. Wie er
aber hier kühn allen Protesten Trotz bot und auf die moralische Depesche
des Herrn v. Schlcinitz mit überlegener Feinheit antwortete: Preußen werde
ihm einst noch das Beispiel danken, das Sardinien gegeben, so kaltblütig
besonnen widersteht er, auch jetzt dem ungestümen Drängen aus Eroberung
Venetiens. Er weiß die Kräfte genau zu berechnen, er weiß, daß die europäische
Lage einem Angriffe jetzt ungünstig ist, und überläßt es der Verblendung in
der Hofburg, das Werk der innern Auflösung Oestreichs fortzusetzen.

Seine Aufgabe ist jetzt die römische Frage zu einem Resultat zu führe»
und Italien seine Hauptstadt zu geben, und die combinirte Feinheit eines
Cavour und Napoleon wird doch wol die Oberhand über die Pfiffigkeit des
Cardinal Antonelli behalten. Graf Cavour ist nicht das Idol des Volkes
wie Garibaldi, aber Italien anerkennt in ihm den überlegenen Führer, der
allein das möglich gemacht, was geschehen ist. Ihm selbst ist es nicht um
Popularität zu thun; obwol er zu rechter Zeit Revolutionär zu sein weiß, ist
er doch im Herzen ein stolzer Aristokrat. Er verfolgt seine Idee der Einheit und
Freiheit Italiens mit jener kalten Leidenschaft, welche die Mutter aller großen Tha¬
ten ist. Kühn bis zur Verwegenheit, weiß er doch seine Kräfte genau zu berechnen,
er benutzt die Gelegenheit und wendet sie für seine Zwecke an. er weiß aber auch
zu warten, wo es Noth ist. Von gedrungnem, athletischen Körperbau hat er jene
löwenmüßige Kraft, welche MacchiavelU seinen Fürsten wünschte. Seine unerme߬
liche Arbeitskraft gönnt sich kaum vier Stunden Schlummer; was er thut, thut
er ganz und hat doch Zeit für Alles, während der Schlacht von Magcnta unter¬
handelte er über gleichgiltige diplomatische Formalien mit der größten Ruhe.
Cavour ist nicht eigentlich ein Redner, sein Organ ist scharf und unangenehm;
der oratorische Schwung fehlt ihm, aber Niemand weiß eine Sache klarer
auseinanderzusetzen, Niemand ist fertiger zur Erwiederung, Niemand schärfer
und kaustischer im Witz als er, er gleicht in dieser Beziehung Thiers.
Zuerst macht er den Eindruck eines behäbigen Bourgeois, aber obwol er an
der Spitze des dritten Standes in Piemont steht, so merkt man, noch ehe
er geredet, an dem feinen ironischen Lächeln den überlegenen Weltmann, weichen
seine Unterhaltung stets zeigt. Ehrgeizig ist Cavour gewiß, aber wir glauben
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Niemand nachweisen, daß er aus persönlichen Motiven geschwankt; lange ehe


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[0460] nachdem er sein Werk in so überraschender Weise durchgeführt, in Neapel ein Werkzeug in den Händen der Mazzinisten zu werden drohte, sah Cavours über¬ legener Scharfblick, daß die Anarchie in Süditalien das ganze Werk der Eini¬ gung gefährde, und mit entschlossenem Griffe machte er sich durch die Besetzung des Kirchenstaats zum Meister der Situation, indem er den territorialen Zu¬ sammenhang herstellte und die Belageiung Gaetas, welche nie von Freiwilligen unternommen werden konnte, den Genietruppen Cialdinis überwies. Wie er aber hier kühn allen Protesten Trotz bot und auf die moralische Depesche des Herrn v. Schlcinitz mit überlegener Feinheit antwortete: Preußen werde ihm einst noch das Beispiel danken, das Sardinien gegeben, so kaltblütig besonnen widersteht er, auch jetzt dem ungestümen Drängen aus Eroberung Venetiens. Er weiß die Kräfte genau zu berechnen, er weiß, daß die europäische Lage einem Angriffe jetzt ungünstig ist, und überläßt es der Verblendung in der Hofburg, das Werk der innern Auflösung Oestreichs fortzusetzen. Seine Aufgabe ist jetzt die römische Frage zu einem Resultat zu führe» und Italien seine Hauptstadt zu geben, und die combinirte Feinheit eines Cavour und Napoleon wird doch wol die Oberhand über die Pfiffigkeit des Cardinal Antonelli behalten. Graf Cavour ist nicht das Idol des Volkes wie Garibaldi, aber Italien anerkennt in ihm den überlegenen Führer, der allein das möglich gemacht, was geschehen ist. Ihm selbst ist es nicht um Popularität zu thun; obwol er zu rechter Zeit Revolutionär zu sein weiß, ist er doch im Herzen ein stolzer Aristokrat. Er verfolgt seine Idee der Einheit und Freiheit Italiens mit jener kalten Leidenschaft, welche die Mutter aller großen Tha¬ ten ist. Kühn bis zur Verwegenheit, weiß er doch seine Kräfte genau zu berechnen, er benutzt die Gelegenheit und wendet sie für seine Zwecke an. er weiß aber auch zu warten, wo es Noth ist. Von gedrungnem, athletischen Körperbau hat er jene löwenmüßige Kraft, welche MacchiavelU seinen Fürsten wünschte. Seine unerme߬ liche Arbeitskraft gönnt sich kaum vier Stunden Schlummer; was er thut, thut er ganz und hat doch Zeit für Alles, während der Schlacht von Magcnta unter¬ handelte er über gleichgiltige diplomatische Formalien mit der größten Ruhe. Cavour ist nicht eigentlich ein Redner, sein Organ ist scharf und unangenehm; der oratorische Schwung fehlt ihm, aber Niemand weiß eine Sache klarer auseinanderzusetzen, Niemand ist fertiger zur Erwiederung, Niemand schärfer und kaustischer im Witz als er, er gleicht in dieser Beziehung Thiers. Zuerst macht er den Eindruck eines behäbigen Bourgeois, aber obwol er an der Spitze des dritten Standes in Piemont steht, so merkt man, noch ehe er geredet, an dem feinen ironischen Lächeln den überlegenen Weltmann, weichen seine Unterhaltung stets zeigt. Ehrgeizig ist Cavour gewiß, aber wir glauben weniger persönlich als für ti<Jdeen, welche er versieht. Wenigstens kann i-so Niemand nachweisen, daß er aus persönlichen Motiven geschwankt; lange ehe

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341793_110893/460>, abgerufen am 25.08.2024.