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Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, I. Semester. I. Band.

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schütterung ein so gewaltiges Ergebniß zu Wege gebracht ist, so wird man
der Ueberlegenheit einer Politik, die dazu führte, nicht die Bewunderung ver¬
sagen können, selbst wenn man die Mittel nicht ohne Rückhalt billigen kann,
welche dieselbe verwendete. Ein Blick auf die Persönlichkeit des Mannes, der
mit kurzen Unterbrechungen an der Spitze dieser Politik stand, wird daher
nicht ohne Interesse sein.

Graf Camillo Cavour. 1810 geboren, stammt aus einer alten piemon-
tesischen Familie, seine Mutter war eine Genferin und der Verkehr mit seinen
ausgezeichneten Verwandten und Freunden in Gens mag von bedeutendem
Einfluß auf seine Entwicklung gewesen sein. Er zeigte von Jugend auf eine
große Selbständigkeit und neigte sich wie Azeglio und Balbo den neuen Ideen
zu. Aber wenn Ersterer die Leiden Italiens unter der Fremdherrschaft in Ro¬
manen der Jugend,vorführte und Letzterer sich in politische Speculationen über
die Zukunft seines Vaterlandes verlor, so wandte sich der positive Geist Ca-
vours den exacten Wissenschaften zu, er bereitete sich durch das Studium der
Mathematik auf umfassendere Arbeiten über Finanzwirthschaft und National¬
ökonomie vor und ging, da in Piemont unter dem alten Staatswesen kein
Raum für eine praktische Thätigkeit in seinem Sinne war, ins Ausland,
um sich durch Reisen auszubilden. Er bereiste Großbritannien und schrieb
einen Artikel, der bei englischen Politikern Aufmerksamkeit err'egte, über den
gegenwärtigen Zustand Italiens und seine Zukunft; seine Charakteristik des
jungem Pitt ist vorzüglich. Mehre Jahre verbrachte er dann in Paris, wo
er, anscheinend gesellschaftlichen Zerstreuungen lebend, nichts desto weniger mit
festem Blick seine Interessen verfolgte. Er sah weiter als die damals ge¬
feierten Männer der Juliregierung, die ihrerseits wenig die Zukunft des jun¬
gen Jtalieners ahnten, er durchschaute die Hohlheit des damaligen französischen
Liberalismus, über dessen neutrale Furchtsamkeit er sich oft scharf aussprach,
und im Angesicht der drohenden Anzeichen der vierziger Jahre rief er einst:
"der Tag wird kommen, wo die öffentliche Meinung die parlamentarischen
Majoritätskrämer im Stiche lassen wird". Bei seiner Rückkehr nach Piemont
beschäftigte er sich mit der Verwaltung seiner bedeutenden Güter und half 1842
die ^Woeia^loue ^Msrig. begründen, welche, zur Beförderung des Ackerbaus
und Gewerbfleißes unternommen, nationale und liberale Tendenzen nährte.
Ende 1847, nachdem der König Karl Albert die ersten Reformen gewährt,
gründete er mit gleichgesinnten Freunden die Zeitung RiLorZimMw und ver¬
faßte bald darauf eine Adresse an den König um Gewährung einer Verfassung,
"das einzige Mittel, um die Größe des Thrones und die Stärke der Regie¬
rung mit den wahren Interessen des Landes zu versöhnen."

Als Karl Albert bald darauf das Statut gewährte, trat Cavour in die
Kammer als Abgeordneter ein; aber wie er vor Allen für die Verleihung einer


schütterung ein so gewaltiges Ergebniß zu Wege gebracht ist, so wird man
der Ueberlegenheit einer Politik, die dazu führte, nicht die Bewunderung ver¬
sagen können, selbst wenn man die Mittel nicht ohne Rückhalt billigen kann,
welche dieselbe verwendete. Ein Blick auf die Persönlichkeit des Mannes, der
mit kurzen Unterbrechungen an der Spitze dieser Politik stand, wird daher
nicht ohne Interesse sein.

Graf Camillo Cavour. 1810 geboren, stammt aus einer alten piemon-
tesischen Familie, seine Mutter war eine Genferin und der Verkehr mit seinen
ausgezeichneten Verwandten und Freunden in Gens mag von bedeutendem
Einfluß auf seine Entwicklung gewesen sein. Er zeigte von Jugend auf eine
große Selbständigkeit und neigte sich wie Azeglio und Balbo den neuen Ideen
zu. Aber wenn Ersterer die Leiden Italiens unter der Fremdherrschaft in Ro¬
manen der Jugend,vorführte und Letzterer sich in politische Speculationen über
die Zukunft seines Vaterlandes verlor, so wandte sich der positive Geist Ca-
vours den exacten Wissenschaften zu, er bereitete sich durch das Studium der
Mathematik auf umfassendere Arbeiten über Finanzwirthschaft und National¬
ökonomie vor und ging, da in Piemont unter dem alten Staatswesen kein
Raum für eine praktische Thätigkeit in seinem Sinne war, ins Ausland,
um sich durch Reisen auszubilden. Er bereiste Großbritannien und schrieb
einen Artikel, der bei englischen Politikern Aufmerksamkeit err'egte, über den
gegenwärtigen Zustand Italiens und seine Zukunft; seine Charakteristik des
jungem Pitt ist vorzüglich. Mehre Jahre verbrachte er dann in Paris, wo
er, anscheinend gesellschaftlichen Zerstreuungen lebend, nichts desto weniger mit
festem Blick seine Interessen verfolgte. Er sah weiter als die damals ge¬
feierten Männer der Juliregierung, die ihrerseits wenig die Zukunft des jun¬
gen Jtalieners ahnten, er durchschaute die Hohlheit des damaligen französischen
Liberalismus, über dessen neutrale Furchtsamkeit er sich oft scharf aussprach,
und im Angesicht der drohenden Anzeichen der vierziger Jahre rief er einst:
»der Tag wird kommen, wo die öffentliche Meinung die parlamentarischen
Majoritätskrämer im Stiche lassen wird". Bei seiner Rückkehr nach Piemont
beschäftigte er sich mit der Verwaltung seiner bedeutenden Güter und half 1842
die ^Woeia^loue ^Msrig. begründen, welche, zur Beförderung des Ackerbaus
und Gewerbfleißes unternommen, nationale und liberale Tendenzen nährte.
Ende 1847, nachdem der König Karl Albert die ersten Reformen gewährt,
gründete er mit gleichgesinnten Freunden die Zeitung RiLorZimMw und ver¬
faßte bald darauf eine Adresse an den König um Gewährung einer Verfassung,
»das einzige Mittel, um die Größe des Thrones und die Stärke der Regie¬
rung mit den wahren Interessen des Landes zu versöhnen."

Als Karl Albert bald darauf das Statut gewährte, trat Cavour in die
Kammer als Abgeordneter ein; aber wie er vor Allen für die Verleihung einer


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341793_110893/455>, abgerufen am 24.08.2024.