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Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, I. Semester. I. Band.

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Der Ton in der Gesellschaft ist, wenn nicht politische Gespräche ihn stören,
ein sehr angenehmer. Nicht leicht findet man in den vereinigten Staaten so
viel Gastfreundschaft und heitere Geselligkeit als hier. Weder so anspruchs¬
voll wie durchschnittlich die Einwohner von Boston, noch so steif, wie die von
Philadelphia, offen und zutraulich, stimmen sie mit ihrer Art und Weise den
Fremden sofort zur Behaglichkeit. Die Erklärung davon liegt wohl haupt¬
sächlich in dem Umstände, daß die Stadt von englischen Adeligen (1672) ge¬
gründet wurde, denen sich später französische Hugenotten zugesellten.

In commercieller Beziehung ist Charleston der bedeutendste Platz zwischen
Potomac und Mississippi. Nicht nur daß der ganze Exporthandel Südcarolinas
hier seinen Mittelpunkt hat, auch der von Nordcarolina wird indirect durch
diese Stadt vermittelt, und dasselbe gilt zum Theil auch von dem des west¬
lichen Nachbarstaats Georgia. Baumwolle, deren Südcarolina mehr erzeugt,
als irgend ein anderer atlantischer Staat, bildet natürlich den Hauptausfuhr¬
artikel. Weniger gut geeignet ist der Platz als Importhafen. Die Bevölke¬
rung der nächsten Umgebung ist im Vergleich mit der im Norden und Westen
der Union spärlich, und außerdem kann kaum die Hälfte der Einwohner in den
angrenzenden Bezirken als Konsumenten der Haupteinfuhr des Hafens angesehen
werden, da man die Schwarzen fast ohne Ausnahme mit Lebensmitteln, die
in den Nordweststaaten erzeugt werden, beköstigt und sie mit Osnaburg. einem
groben Baumwollenzeug, kleidet, das in den Südstaaten gefertigt wird, sodaß
nicht nur ausländische Fabrikanten, sondern auch die von Neuengland von aller
Concurrenz ausgeschlossen sind. Die dichtere Bevölkerung in den weiter westlich
gelegenen Baumwollenstaaten versorgt sich mit ihren Bedürfnissen vermittelst
ihrer eignen Häfen, z. B. Mohne und Neuorleans, und selbst in Nord- und
Südcarolina hat Charleston nicht das ausschließliche Lieferungsrecht, sondern
theilt es mit den nördlicher sich öffnenden Seehäfen.

Wenn der Platz trotzdem einen bedeutenden Handel treibt, so hat er doch
keineswegs das Aussehen einer wachsenden Stadt. Seit siebzig Jahren hat
sich seine Bevölkerung noch nicht einmal verdoppelt, während sie sich in andern
amerikanischen Städten vervierfacht, in einigen in nur halb so langer Zeit
verzehnfacht hat*). Bon 1810 bis 1320 stieg sie nur von 24,711 auf 24,780.
Zehn Jahre später besaß.Charleston etwas über 30.000 Einwohner. 1840 hatte
sich diese Zahl wieder auf 29,261 vermindert, 1850 betrug sie 42,985. jetzt ist



') So namentlich in den Städten am obern Mississippi, z. B. Se. Louis, dann in denen
"in Ohio, z. B. Louisville und Cincinnati, vor Allem aber in denen um Erie- und Michi-
Vansee, wo Vuffalo binnen 45 Jahren eine Stadt von mehr als 100,000 Einwohnern, Mil-
^auki in noch kürzerer Frist noch volkreicher wurde, und wo an einer Stelle, auf der vor drei
Jahrzehnten noch Indianer den Hirsch jagten, die gewaltigste Stadt des Nordwestens, das von
150,000 Menschen bewohnte Chicago steht.

Der Ton in der Gesellschaft ist, wenn nicht politische Gespräche ihn stören,
ein sehr angenehmer. Nicht leicht findet man in den vereinigten Staaten so
viel Gastfreundschaft und heitere Geselligkeit als hier. Weder so anspruchs¬
voll wie durchschnittlich die Einwohner von Boston, noch so steif, wie die von
Philadelphia, offen und zutraulich, stimmen sie mit ihrer Art und Weise den
Fremden sofort zur Behaglichkeit. Die Erklärung davon liegt wohl haupt¬
sächlich in dem Umstände, daß die Stadt von englischen Adeligen (1672) ge¬
gründet wurde, denen sich später französische Hugenotten zugesellten.

In commercieller Beziehung ist Charleston der bedeutendste Platz zwischen
Potomac und Mississippi. Nicht nur daß der ganze Exporthandel Südcarolinas
hier seinen Mittelpunkt hat, auch der von Nordcarolina wird indirect durch
diese Stadt vermittelt, und dasselbe gilt zum Theil auch von dem des west¬
lichen Nachbarstaats Georgia. Baumwolle, deren Südcarolina mehr erzeugt,
als irgend ein anderer atlantischer Staat, bildet natürlich den Hauptausfuhr¬
artikel. Weniger gut geeignet ist der Platz als Importhafen. Die Bevölke¬
rung der nächsten Umgebung ist im Vergleich mit der im Norden und Westen
der Union spärlich, und außerdem kann kaum die Hälfte der Einwohner in den
angrenzenden Bezirken als Konsumenten der Haupteinfuhr des Hafens angesehen
werden, da man die Schwarzen fast ohne Ausnahme mit Lebensmitteln, die
in den Nordweststaaten erzeugt werden, beköstigt und sie mit Osnaburg. einem
groben Baumwollenzeug, kleidet, das in den Südstaaten gefertigt wird, sodaß
nicht nur ausländische Fabrikanten, sondern auch die von Neuengland von aller
Concurrenz ausgeschlossen sind. Die dichtere Bevölkerung in den weiter westlich
gelegenen Baumwollenstaaten versorgt sich mit ihren Bedürfnissen vermittelst
ihrer eignen Häfen, z. B. Mohne und Neuorleans, und selbst in Nord- und
Südcarolina hat Charleston nicht das ausschließliche Lieferungsrecht, sondern
theilt es mit den nördlicher sich öffnenden Seehäfen.

Wenn der Platz trotzdem einen bedeutenden Handel treibt, so hat er doch
keineswegs das Aussehen einer wachsenden Stadt. Seit siebzig Jahren hat
sich seine Bevölkerung noch nicht einmal verdoppelt, während sie sich in andern
amerikanischen Städten vervierfacht, in einigen in nur halb so langer Zeit
verzehnfacht hat*). Bon 1810 bis 1320 stieg sie nur von 24,711 auf 24,780.
Zehn Jahre später besaß.Charleston etwas über 30.000 Einwohner. 1840 hatte
sich diese Zahl wieder auf 29,261 vermindert, 1850 betrug sie 42,985. jetzt ist



') So namentlich in den Städten am obern Mississippi, z. B. Se. Louis, dann in denen
"in Ohio, z. B. Louisville und Cincinnati, vor Allem aber in denen um Erie- und Michi-
Vansee, wo Vuffalo binnen 45 Jahren eine Stadt von mehr als 100,000 Einwohnern, Mil-
^auki in noch kürzerer Frist noch volkreicher wurde, und wo an einer Stelle, auf der vor drei
Jahrzehnten noch Indianer den Hirsch jagten, die gewaltigste Stadt des Nordwestens, das von
150,000 Menschen bewohnte Chicago steht.
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[0425] Der Ton in der Gesellschaft ist, wenn nicht politische Gespräche ihn stören, ein sehr angenehmer. Nicht leicht findet man in den vereinigten Staaten so viel Gastfreundschaft und heitere Geselligkeit als hier. Weder so anspruchs¬ voll wie durchschnittlich die Einwohner von Boston, noch so steif, wie die von Philadelphia, offen und zutraulich, stimmen sie mit ihrer Art und Weise den Fremden sofort zur Behaglichkeit. Die Erklärung davon liegt wohl haupt¬ sächlich in dem Umstände, daß die Stadt von englischen Adeligen (1672) ge¬ gründet wurde, denen sich später französische Hugenotten zugesellten. In commercieller Beziehung ist Charleston der bedeutendste Platz zwischen Potomac und Mississippi. Nicht nur daß der ganze Exporthandel Südcarolinas hier seinen Mittelpunkt hat, auch der von Nordcarolina wird indirect durch diese Stadt vermittelt, und dasselbe gilt zum Theil auch von dem des west¬ lichen Nachbarstaats Georgia. Baumwolle, deren Südcarolina mehr erzeugt, als irgend ein anderer atlantischer Staat, bildet natürlich den Hauptausfuhr¬ artikel. Weniger gut geeignet ist der Platz als Importhafen. Die Bevölke¬ rung der nächsten Umgebung ist im Vergleich mit der im Norden und Westen der Union spärlich, und außerdem kann kaum die Hälfte der Einwohner in den angrenzenden Bezirken als Konsumenten der Haupteinfuhr des Hafens angesehen werden, da man die Schwarzen fast ohne Ausnahme mit Lebensmitteln, die in den Nordweststaaten erzeugt werden, beköstigt und sie mit Osnaburg. einem groben Baumwollenzeug, kleidet, das in den Südstaaten gefertigt wird, sodaß nicht nur ausländische Fabrikanten, sondern auch die von Neuengland von aller Concurrenz ausgeschlossen sind. Die dichtere Bevölkerung in den weiter westlich gelegenen Baumwollenstaaten versorgt sich mit ihren Bedürfnissen vermittelst ihrer eignen Häfen, z. B. Mohne und Neuorleans, und selbst in Nord- und Südcarolina hat Charleston nicht das ausschließliche Lieferungsrecht, sondern theilt es mit den nördlicher sich öffnenden Seehäfen. Wenn der Platz trotzdem einen bedeutenden Handel treibt, so hat er doch keineswegs das Aussehen einer wachsenden Stadt. Seit siebzig Jahren hat sich seine Bevölkerung noch nicht einmal verdoppelt, während sie sich in andern amerikanischen Städten vervierfacht, in einigen in nur halb so langer Zeit verzehnfacht hat*). Bon 1810 bis 1320 stieg sie nur von 24,711 auf 24,780. Zehn Jahre später besaß.Charleston etwas über 30.000 Einwohner. 1840 hatte sich diese Zahl wieder auf 29,261 vermindert, 1850 betrug sie 42,985. jetzt ist ') So namentlich in den Städten am obern Mississippi, z. B. Se. Louis, dann in denen "in Ohio, z. B. Louisville und Cincinnati, vor Allem aber in denen um Erie- und Michi- Vansee, wo Vuffalo binnen 45 Jahren eine Stadt von mehr als 100,000 Einwohnern, Mil- ^auki in noch kürzerer Frist noch volkreicher wurde, und wo an einer Stelle, auf der vor drei Jahrzehnten noch Indianer den Hirsch jagten, die gewaltigste Stadt des Nordwestens, das von 150,000 Menschen bewohnte Chicago steht.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341793_110893/425>, abgerufen am 16.01.2025.