Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, I. Semester. I. Band.Sich leinener Betttücher zu bedienen ist keineswegs erlaubt, und dennoch ha¬ Der sittliche Verfall der Klöster konnte nicht verborgen bleiben. Zu¬ Nachdem sich ungefähr hundert Jahre spater das Kloster Hirsau an die Grenzboten 1861, 50
Sich leinener Betttücher zu bedienen ist keineswegs erlaubt, und dennoch ha¬ Der sittliche Verfall der Klöster konnte nicht verborgen bleiben. Zu¬ Nachdem sich ungefähr hundert Jahre spater das Kloster Hirsau an die Grenzboten 1861, 50
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Sich leinener Betttücher zu bedienen ist keineswegs erlaubt, und dennoch ha¬
ben einige pflichtvergessene Mönche auch dieses zu ihrem unnützen Aufwand
hinzugethan, und da die Zahl derselben in den verschiedenen Klöstern sehr
gras; war, so haben sich auch die wenigen guten von den zahlreichen bösen
verleiten lassen. Was aber soll ich von ihren unanständigen Beinkleidern
sagen? Ihre Hosen haben eine Weite von sechs Fuß. Ein einziger ist nicht
zufrieden mit einem Stück Zeug, welches für zwei vollkommen hinreichen
könnte." — Wer würde wol in dieser Schilderung des Erzbischofs das Bild
eines Mönches wiedererkennen?
Der sittliche Verfall der Klöster konnte nicht verborgen bleiben. Zu¬
nächst erregte er bei denjenigen Mitgliedern der Klostcrgeistlichkeit selbst, welche
voll aufrichtiger Frömmigkeit an dem heiligen Gelübde festhielten, Anstoß
und Trauer. Aus ihrem Schoße ging daher um das Jahr 1000 ein Ver¬
such zur Reformation der Klöster hervor; das burgundische Kloster Clugny
gab den ersten Anstoß zu einer Bewegung, welche auch einen großen Theil
der deutschen Klöster ergriff, und deren Zweck eine Wiederaufrichtung der fast
vergessenen Ordensregel und Erneuerung des entsagenden klösterlichen Sinnes
war. ein Streben, das auch von Kaiser Heinrich dem Zweiten nachdrücklich
unterstützt wurde. Dieser nahm der altberühmten, aber auch verwilderten Abtei
Hersfeld einen Theil ihrer Güter, entzog ihr ihre Privilegien und berief einen
zuverlässigen Abt. den Godehard. dahin, um die strenge Mönchsregel wie¬
derherzustellen. Fünfzig Mönche, welche sich derselben nicht fügen wollten,
gingen von dannen, nur drei blieben. Aehnlich erg'ing es mit anderen
Klöstern.
Nachdem sich ungefähr hundert Jahre spater das Kloster Hirsau an die
Spitze siner ähnlichen Reformbewegung gestellt hatte, machte das Kloster
Bursfelde in Hessen in der zweiten Hälfte des fünfzehnten Jahrhunderts den
dritten und letzten Versuch zu einer radicalen Erneuerung des überall gesun¬
kenen klösterlichen Lebens. Ueber diesen besitzen wir ein merkwürdiges Zeug¬
niß in der Chronik eines Mönchs im Peterskloster zu Erfurt, Namens Ni¬
kolaus, aus Siegen gebürtig, eines Mannes von ebenso kindlich frommem
Sinn als beschränktem Urtheil, der seine Stimme mit rührendem Eifer für
die Wiedererweckung der klösterlichen Zucht erhebt. „Was," ruft er, „erhält
die klösterliche Ordnung in ihrer ursprünglichen Form? Die Sorgfalt der
Prälaten, die straffe Zucht, die Strenge der Strafen, das Wiedergutmachen
von Verschuldungen, der fleißige Besuch des Chores, die nützliche Beschäfti¬
gung der Brüder, die Zurechtweisung durch das Capitel und das Schweigen."
Die Wichtigkeit dieser letzten Forderung erläutert er daun um einer andern
Stelle sinnig auf folgende Weise: „Was hält den Wein im Faß? Darauf
antwortet der eine, die Dauben, ein' anderer, die Reisen, aber richtiger setzt
Grenzboten 1861, 50
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