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Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, I. Semester. I. Band.

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das Votum des Abgeordnetenhauses wird verhindern, daß Preußen und der deutsche
Bund sich für östreichische Interessen schlage, welche, wie in diesen Blättern
Politisch wie strategisch oft ausgeführt ist, keine deutschen Interessen sind.


P.


Tirol in den letzten zwölf Jahren.

Gläubige Seelen Pflegen, um die Schuld von sich abzuwälzen, den Teu¬
fel als Vater der Sünde zu bezeichnen. In ähnlicher Weise beschönigte man
in der "letzten Zeit hier und da die traurigen Verhältnisse Oestreichs mit der
Phrase der ererbten Uebelstände. Nun ist allerdings das System, nach wel¬
chem man bisher wirthschaftete, uralt und hat nur unter Kaiser Joseph eine
leider zu kurze Unterbrechung erlitten; es jedoch zur vollsten Blüthe getrieben
zu haben, ist jedenfalls unbestrittenes Verdienst der gegenwärtigen Regierung,
und so mögen deren Vertreter sichs anch gefallen lassen, die bittern Früchte zu
Pflücken, welche ihnen der stumme Widerwille oder der laute Haß der Völker
reifte. Die Reaction, wie sie in den letzten zwölf Jahren die deutschen
Provinzen im Allgemeinen verfinsterte, zu schildern, ist unnöthig. Dagegen
dürfte eS nicht ganz unwillkommen sein, wenn mit scharfen und wahren
Zügen dargestellt wird, wie selbst das allergetreuste Tirol, weiches noch Jmmer-
mmm mit einem Hunde verglich, der sogar einen schlechten Herrn anwedelt,
zum lebhaften Ausdruck der Entrüstung getrieben wurde.

Was die ererbten Uebelstünde in Bezug auf Tirol betrifft, so hatte dieses
M'me Linid bereits vor 18^48 daran sehr zu leiden. Nachdem der höchstselige
Kaiser Franz wieder in den Besitz desselben gelangt war, bestätigte er eiligst
alle Einrichtungen der bairischen Regierung, welche das Volk zum Aufstand
getrieben hatten, als seinem Absolutismus förderlich und behielt sie trotz aller
Klagen darüber bei. Es blieb die Conscription, die Stempelsteuer, obwol sie
die Stände der östreichischen Regierung bereits zweimal um schweres Geld
abgekauft hatten, die Grundsteuer wurde erhöht, die Accise neu eingeführt
und zur Unterhaltung der Bauern alljährlich das Marionettenspiel des Land¬
tages mit dem obligaten "Ja" in Scene gesetzt. Es genügt, diese Dinge,
die weltbekannt sind, nur "anzudeuten; das Resultat davon war. daß man
seinen^ eigenen Ruhm beklagte und es bereute, gegen die Baiern je den Stutzen


Grenzl'öden I. 1861. 47

das Votum des Abgeordnetenhauses wird verhindern, daß Preußen und der deutsche
Bund sich für östreichische Interessen schlage, welche, wie in diesen Blättern
Politisch wie strategisch oft ausgeführt ist, keine deutschen Interessen sind.


P.


Tirol in den letzten zwölf Jahren.

Gläubige Seelen Pflegen, um die Schuld von sich abzuwälzen, den Teu¬
fel als Vater der Sünde zu bezeichnen. In ähnlicher Weise beschönigte man
in der »letzten Zeit hier und da die traurigen Verhältnisse Oestreichs mit der
Phrase der ererbten Uebelstände. Nun ist allerdings das System, nach wel¬
chem man bisher wirthschaftete, uralt und hat nur unter Kaiser Joseph eine
leider zu kurze Unterbrechung erlitten; es jedoch zur vollsten Blüthe getrieben
zu haben, ist jedenfalls unbestrittenes Verdienst der gegenwärtigen Regierung,
und so mögen deren Vertreter sichs anch gefallen lassen, die bittern Früchte zu
Pflücken, welche ihnen der stumme Widerwille oder der laute Haß der Völker
reifte. Die Reaction, wie sie in den letzten zwölf Jahren die deutschen
Provinzen im Allgemeinen verfinsterte, zu schildern, ist unnöthig. Dagegen
dürfte eS nicht ganz unwillkommen sein, wenn mit scharfen und wahren
Zügen dargestellt wird, wie selbst das allergetreuste Tirol, weiches noch Jmmer-
mmm mit einem Hunde verglich, der sogar einen schlechten Herrn anwedelt,
zum lebhaften Ausdruck der Entrüstung getrieben wurde.

Was die ererbten Uebelstünde in Bezug auf Tirol betrifft, so hatte dieses
M'me Linid bereits vor 18^48 daran sehr zu leiden. Nachdem der höchstselige
Kaiser Franz wieder in den Besitz desselben gelangt war, bestätigte er eiligst
alle Einrichtungen der bairischen Regierung, welche das Volk zum Aufstand
getrieben hatten, als seinem Absolutismus förderlich und behielt sie trotz aller
Klagen darüber bei. Es blieb die Conscription, die Stempelsteuer, obwol sie
die Stände der östreichischen Regierung bereits zweimal um schweres Geld
abgekauft hatten, die Grundsteuer wurde erhöht, die Accise neu eingeführt
und zur Unterhaltung der Bauern alljährlich das Marionettenspiel des Land¬
tages mit dem obligaten „Ja" in Scene gesetzt. Es genügt, diese Dinge,
die weltbekannt sind, nur «anzudeuten; das Resultat davon war. daß man
seinen^ eigenen Ruhm beklagte und es bereute, gegen die Baiern je den Stutzen


Grenzl'öden I. 1861. 47
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[0379] das Votum des Abgeordnetenhauses wird verhindern, daß Preußen und der deutsche Bund sich für östreichische Interessen schlage, welche, wie in diesen Blättern Politisch wie strategisch oft ausgeführt ist, keine deutschen Interessen sind. P. Tirol in den letzten zwölf Jahren. Gläubige Seelen Pflegen, um die Schuld von sich abzuwälzen, den Teu¬ fel als Vater der Sünde zu bezeichnen. In ähnlicher Weise beschönigte man in der »letzten Zeit hier und da die traurigen Verhältnisse Oestreichs mit der Phrase der ererbten Uebelstände. Nun ist allerdings das System, nach wel¬ chem man bisher wirthschaftete, uralt und hat nur unter Kaiser Joseph eine leider zu kurze Unterbrechung erlitten; es jedoch zur vollsten Blüthe getrieben zu haben, ist jedenfalls unbestrittenes Verdienst der gegenwärtigen Regierung, und so mögen deren Vertreter sichs anch gefallen lassen, die bittern Früchte zu Pflücken, welche ihnen der stumme Widerwille oder der laute Haß der Völker reifte. Die Reaction, wie sie in den letzten zwölf Jahren die deutschen Provinzen im Allgemeinen verfinsterte, zu schildern, ist unnöthig. Dagegen dürfte eS nicht ganz unwillkommen sein, wenn mit scharfen und wahren Zügen dargestellt wird, wie selbst das allergetreuste Tirol, weiches noch Jmmer- mmm mit einem Hunde verglich, der sogar einen schlechten Herrn anwedelt, zum lebhaften Ausdruck der Entrüstung getrieben wurde. Was die ererbten Uebelstünde in Bezug auf Tirol betrifft, so hatte dieses M'me Linid bereits vor 18^48 daran sehr zu leiden. Nachdem der höchstselige Kaiser Franz wieder in den Besitz desselben gelangt war, bestätigte er eiligst alle Einrichtungen der bairischen Regierung, welche das Volk zum Aufstand getrieben hatten, als seinem Absolutismus förderlich und behielt sie trotz aller Klagen darüber bei. Es blieb die Conscription, die Stempelsteuer, obwol sie die Stände der östreichischen Regierung bereits zweimal um schweres Geld abgekauft hatten, die Grundsteuer wurde erhöht, die Accise neu eingeführt und zur Unterhaltung der Bauern alljährlich das Marionettenspiel des Land¬ tages mit dem obligaten „Ja" in Scene gesetzt. Es genügt, diese Dinge, die weltbekannt sind, nur «anzudeuten; das Resultat davon war. daß man seinen^ eigenen Ruhm beklagte und es bereute, gegen die Baiern je den Stutzen Grenzl'öden I. 1861. 47

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341793_110893/379>, abgerufen am 15.01.2025.