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Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, I. Semester. I. Band.

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gegengesetzt, aber die absolutistische Partei Europas, welche sich über diese
Festigkeit freute, sah nicht oder wollte nicht sehen, welchen Aufwand von
Gewaltmaßregeln im Innern es bedürfte, damit der König nach außen diese
Stellung behaupten konnte. Er selbst tauschte sich nicht über die Gefahren der¬
selben, aber er glaubte, daß jede Nachgiebigkeit dazu führen werde, der Re¬
volution neue Kräfte zu verleihen, das Metternichsche "nach mir die Sünd-
fluth" ward auch bei diesem treuen Anhänger der östreichischen Politik wahr.
Als er im Mai 1859 starb, standen auf den Listen der Polizei über 180,000
Personen als gefährlich (irttc-vilibili) verzeichnet. Franz der Zweite hätte bei
seiner Thronbesteigung leicht einlenken können, ihn band keine Vergangenheit,
mit der er zu brechen genöthigt gewesen wäre, die Gesandten der Westmächtc
kamen von selbst zurück, er war als wohlwollend bekannt, man erwartete eine
Amnestie und Verbesserung der Verwaltung, die Hoffnungen seines Volkes
wachten noch einmal auf -- sie wurden vollkommen getäuscht. In strenger Ab¬
hängigkeit vom Klerus erzogen, mit Argwohn durch seinen Vater von allen
Acgicrungsgeschäften ferngehalten, scheute der König ängstlich vor jeder ein¬
reisenden Veränderung zurück, er hatte eine fast abergläubische Furcht, an dem
zu rühren, was von seinem Vater stammte, der überkommene Hof desselben
bestärkte ihn darin, und sein Beichtvater predigte ihm strengen Gehorsam gegen
seine Stiefmutter, die verwittwete Königin, welche die Seele des alten Sy¬
stems blieb. So schloß er sich feindlich von jeder Berührung der Ideen ab.
für welche Italien damals den Kampf begonnen. Dem russischen Gesandten,
der ihm bei seiner Thronbesteigung die Glückwünsche des Kaisers Alexander
überbrachte, sagte er: "Was mich betrifft, so weiß ich nicht, was italienische
Unabhängigkeit heißen soll, ich kenne nur eine Unabhängigkeit, die neapoli¬
tanische." Besonders zeigte er ein lebhaftes Mißtrauen gegen Sardinien,
dessen Hand er in jeder Regung zu erkennen glaubte; wenn die Polizei irgend
une neue verdächtige Person festgenommen, so wollte er, daß sein Minister
""e starke Note an den sardinischen Geschäftsträger richte. Diese Disposition
er>g sehr wesentlich zu seiner spätern Jsolirung bei; was auch die weitern
Plane des Grasen Cavour sein mochten, sicher ist es. daß er bei dem Regie¬
rungsantritt Franz des Zweiten nicht daran dachte, demselben feindlich ent¬
gegenzutreten. Die Revue des deux Mondes theilt die Instruction mit.
welche er am 29. Mai dem Grafen von Salmour gab. der sich zur Beglück¬
wünschung des Königs nach Neapel begab, sie enthält die dringendste Auf¬
forderung zu einer Allianz mit Sardinien. Dieselbe ward entschieden zurück¬
gewiesen. "Das Unglück ließ den König einen Mann zu seinem ersten Minister
wählen, der alle Hoffnungen, welche die liberale Partei auf ihn setzte, voll-
ständig täuschte. Filangieri schlug wol hier und da vor. die Willkürlichkeiten
Polizei abzustellen, beruhigte sich aber vollkommen, wenn nichts geschah.
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gegengesetzt, aber die absolutistische Partei Europas, welche sich über diese
Festigkeit freute, sah nicht oder wollte nicht sehen, welchen Aufwand von
Gewaltmaßregeln im Innern es bedürfte, damit der König nach außen diese
Stellung behaupten konnte. Er selbst tauschte sich nicht über die Gefahren der¬
selben, aber er glaubte, daß jede Nachgiebigkeit dazu führen werde, der Re¬
volution neue Kräfte zu verleihen, das Metternichsche „nach mir die Sünd-
fluth" ward auch bei diesem treuen Anhänger der östreichischen Politik wahr.
Als er im Mai 1859 starb, standen auf den Listen der Polizei über 180,000
Personen als gefährlich (irttc-vilibili) verzeichnet. Franz der Zweite hätte bei
seiner Thronbesteigung leicht einlenken können, ihn band keine Vergangenheit,
mit der er zu brechen genöthigt gewesen wäre, die Gesandten der Westmächtc
kamen von selbst zurück, er war als wohlwollend bekannt, man erwartete eine
Amnestie und Verbesserung der Verwaltung, die Hoffnungen seines Volkes
wachten noch einmal auf — sie wurden vollkommen getäuscht. In strenger Ab¬
hängigkeit vom Klerus erzogen, mit Argwohn durch seinen Vater von allen
Acgicrungsgeschäften ferngehalten, scheute der König ängstlich vor jeder ein¬
reisenden Veränderung zurück, er hatte eine fast abergläubische Furcht, an dem
zu rühren, was von seinem Vater stammte, der überkommene Hof desselben
bestärkte ihn darin, und sein Beichtvater predigte ihm strengen Gehorsam gegen
seine Stiefmutter, die verwittwete Königin, welche die Seele des alten Sy¬
stems blieb. So schloß er sich feindlich von jeder Berührung der Ideen ab.
für welche Italien damals den Kampf begonnen. Dem russischen Gesandten,
der ihm bei seiner Thronbesteigung die Glückwünsche des Kaisers Alexander
überbrachte, sagte er: „Was mich betrifft, so weiß ich nicht, was italienische
Unabhängigkeit heißen soll, ich kenne nur eine Unabhängigkeit, die neapoli¬
tanische." Besonders zeigte er ein lebhaftes Mißtrauen gegen Sardinien,
dessen Hand er in jeder Regung zu erkennen glaubte; wenn die Polizei irgend
une neue verdächtige Person festgenommen, so wollte er, daß sein Minister
"»e starke Note an den sardinischen Geschäftsträger richte. Diese Disposition
er>g sehr wesentlich zu seiner spätern Jsolirung bei; was auch die weitern
Plane des Grasen Cavour sein mochten, sicher ist es. daß er bei dem Regie¬
rungsantritt Franz des Zweiten nicht daran dachte, demselben feindlich ent¬
gegenzutreten. Die Revue des deux Mondes theilt die Instruction mit.
welche er am 29. Mai dem Grafen von Salmour gab. der sich zur Beglück¬
wünschung des Königs nach Neapel begab, sie enthält die dringendste Auf¬
forderung zu einer Allianz mit Sardinien. Dieselbe ward entschieden zurück¬
gewiesen. »Das Unglück ließ den König einen Mann zu seinem ersten Minister
wählen, der alle Hoffnungen, welche die liberale Partei auf ihn setzte, voll-
ständig täuschte. Filangieri schlug wol hier und da vor. die Willkürlichkeiten
Polizei abzustellen, beruhigte sich aber vollkommen, wenn nichts geschah.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341793_110893/373>, abgerufen am 15.01.2025.