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Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, I. Semester. I. Band.

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haben unserer Sprache ein sporadisches Gebiet, zum Theil in weiter Ferne
vom Mutterlande, zugebracht. Von diesem, der deutschen Colonialwelt, ist
in einem, spätern Abschnitt zu reden. Hier kommt es an auf eine Beschrei¬
bung der Sprachgrenze längs dem Saum des . alten deutschen Königslands
und innerhalb desselben; eben das gilt von der Statistik der Dialekte und
Mundarten.

Beginnen wir von Nordwesten! Hier hat unsere Sprache die Ablösung
der niederländischen Töchter zu eigenem sprachlichen Sonderbau nicht als to¬
tale Entfremdung oder Entartung zu beklagen. Zur Annäherung haben min¬
destens die Vläminger Schritte gethan, die. wenn auch aus politischen Grün¬
den von geringem Erfolg, doch von Verwandtschaftsgefühl zeugen. In dem
allezeit doppelzüngig gewesenen Lothringen nimmt das Deutsche raschen Schritts
ab; doch selbst in Metz redet noch ein Viertheil der Einwohnerschaft deutsch
und zwei Drittheile ein deutsches Idiom, das Mois Nkssiu. Diedenhofen
ist trotz seines französischen Namens Thionville noch meistens deutsch, auch in
Toul und Nancy ist unsere Sprache nicht gänzlich ausgegangen. Im Elsaß
hängt das Landvolk mit Zähigkeit an ihr; bei den Städtern aber und der
Beamtenwelt sind französische Einwirkungen, politischer und geschäftlicher Natur,
von .merklichem Erfolg gewesen; das Deutsche, dort unlieblichen Kiangs, steht
dem glatten Französischen gegenüber sehr im Nachtheil. Dennoch hat das
Elsaß Bekenner unserer Sprache in einer nicht geringen Anzahl wackerer Män¬
ner höhern Standes. Diesen zwar ist es nicht sowol um das angestammte
Nationalgut allein, als um das hochgebildete Kleinod unserer Nationalliteratur
zu thun. Vermöge seiner Naturkraft aber hat das Deutsche noch sechs Sieben¬
tel der Landbevölkerung für sich. In der Schweiz reicht es westwärts über
Basel und Solothurn hinaus, dann bis an die Seen von Viel. Murren und
Neuenburg; darauf nach Freiburg, das durch die Saame in eine deutsche
und eine französische Hälfte getheilt wird. Von dem französischen Waadtlande
abgewandt, behauptet das Deutsche die Nordseite und den Kamm der berncr
Alpen und des Se. Gotthard. Südlich davon das obere Wallis und einen
nach dem Monte Rosa spitz auslaufenden Winkel, wo acht Gemeinden,
Jssime ze., zusammen etwa 7000 Köpfe, die deutsche Sprache bewahrt haben.
Die deutschen Schweizer, ovschon in der Regel des Französischen mächtig,
halten auf ihre Sprache selbst im Gebrauch von Ortsnamen, als Virus,
Peterlingen, Neuenburg. Fortschritte macht diese in Graubündten über das
Churwälsche oder Ladinische, das merklich zusammenschrumpft. Nicht so
Tirol, wo sie mit dem Italienischen zusammentrifft. Kraft der Rührigkeit,
Gewandtheit und Schlauheit der Italiener und der Propagandalust des Klerus
dieser Nation ist der Vortheil bei ihr; ihre Sprache schreitet im raschen
Gange über ihre frühere Grenze vor; der Südsaum von Deutschtirol, ramene-


haben unserer Sprache ein sporadisches Gebiet, zum Theil in weiter Ferne
vom Mutterlande, zugebracht. Von diesem, der deutschen Colonialwelt, ist
in einem, spätern Abschnitt zu reden. Hier kommt es an auf eine Beschrei¬
bung der Sprachgrenze längs dem Saum des . alten deutschen Königslands
und innerhalb desselben; eben das gilt von der Statistik der Dialekte und
Mundarten.

Beginnen wir von Nordwesten! Hier hat unsere Sprache die Ablösung
der niederländischen Töchter zu eigenem sprachlichen Sonderbau nicht als to¬
tale Entfremdung oder Entartung zu beklagen. Zur Annäherung haben min¬
destens die Vläminger Schritte gethan, die. wenn auch aus politischen Grün¬
den von geringem Erfolg, doch von Verwandtschaftsgefühl zeugen. In dem
allezeit doppelzüngig gewesenen Lothringen nimmt das Deutsche raschen Schritts
ab; doch selbst in Metz redet noch ein Viertheil der Einwohnerschaft deutsch
und zwei Drittheile ein deutsches Idiom, das Mois Nkssiu. Diedenhofen
ist trotz seines französischen Namens Thionville noch meistens deutsch, auch in
Toul und Nancy ist unsere Sprache nicht gänzlich ausgegangen. Im Elsaß
hängt das Landvolk mit Zähigkeit an ihr; bei den Städtern aber und der
Beamtenwelt sind französische Einwirkungen, politischer und geschäftlicher Natur,
von .merklichem Erfolg gewesen; das Deutsche, dort unlieblichen Kiangs, steht
dem glatten Französischen gegenüber sehr im Nachtheil. Dennoch hat das
Elsaß Bekenner unserer Sprache in einer nicht geringen Anzahl wackerer Män¬
ner höhern Standes. Diesen zwar ist es nicht sowol um das angestammte
Nationalgut allein, als um das hochgebildete Kleinod unserer Nationalliteratur
zu thun. Vermöge seiner Naturkraft aber hat das Deutsche noch sechs Sieben¬
tel der Landbevölkerung für sich. In der Schweiz reicht es westwärts über
Basel und Solothurn hinaus, dann bis an die Seen von Viel. Murren und
Neuenburg; darauf nach Freiburg, das durch die Saame in eine deutsche
und eine französische Hälfte getheilt wird. Von dem französischen Waadtlande
abgewandt, behauptet das Deutsche die Nordseite und den Kamm der berncr
Alpen und des Se. Gotthard. Südlich davon das obere Wallis und einen
nach dem Monte Rosa spitz auslaufenden Winkel, wo acht Gemeinden,
Jssime ze., zusammen etwa 7000 Köpfe, die deutsche Sprache bewahrt haben.
Die deutschen Schweizer, ovschon in der Regel des Französischen mächtig,
halten auf ihre Sprache selbst im Gebrauch von Ortsnamen, als Virus,
Peterlingen, Neuenburg. Fortschritte macht diese in Graubündten über das
Churwälsche oder Ladinische, das merklich zusammenschrumpft. Nicht so
Tirol, wo sie mit dem Italienischen zusammentrifft. Kraft der Rührigkeit,
Gewandtheit und Schlauheit der Italiener und der Propagandalust des Klerus
dieser Nation ist der Vortheil bei ihr; ihre Sprache schreitet im raschen
Gange über ihre frühere Grenze vor; der Südsaum von Deutschtirol, ramene-


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[0364] haben unserer Sprache ein sporadisches Gebiet, zum Theil in weiter Ferne vom Mutterlande, zugebracht. Von diesem, der deutschen Colonialwelt, ist in einem, spätern Abschnitt zu reden. Hier kommt es an auf eine Beschrei¬ bung der Sprachgrenze längs dem Saum des . alten deutschen Königslands und innerhalb desselben; eben das gilt von der Statistik der Dialekte und Mundarten. Beginnen wir von Nordwesten! Hier hat unsere Sprache die Ablösung der niederländischen Töchter zu eigenem sprachlichen Sonderbau nicht als to¬ tale Entfremdung oder Entartung zu beklagen. Zur Annäherung haben min¬ destens die Vläminger Schritte gethan, die. wenn auch aus politischen Grün¬ den von geringem Erfolg, doch von Verwandtschaftsgefühl zeugen. In dem allezeit doppelzüngig gewesenen Lothringen nimmt das Deutsche raschen Schritts ab; doch selbst in Metz redet noch ein Viertheil der Einwohnerschaft deutsch und zwei Drittheile ein deutsches Idiom, das Mois Nkssiu. Diedenhofen ist trotz seines französischen Namens Thionville noch meistens deutsch, auch in Toul und Nancy ist unsere Sprache nicht gänzlich ausgegangen. Im Elsaß hängt das Landvolk mit Zähigkeit an ihr; bei den Städtern aber und der Beamtenwelt sind französische Einwirkungen, politischer und geschäftlicher Natur, von .merklichem Erfolg gewesen; das Deutsche, dort unlieblichen Kiangs, steht dem glatten Französischen gegenüber sehr im Nachtheil. Dennoch hat das Elsaß Bekenner unserer Sprache in einer nicht geringen Anzahl wackerer Män¬ ner höhern Standes. Diesen zwar ist es nicht sowol um das angestammte Nationalgut allein, als um das hochgebildete Kleinod unserer Nationalliteratur zu thun. Vermöge seiner Naturkraft aber hat das Deutsche noch sechs Sieben¬ tel der Landbevölkerung für sich. In der Schweiz reicht es westwärts über Basel und Solothurn hinaus, dann bis an die Seen von Viel. Murren und Neuenburg; darauf nach Freiburg, das durch die Saame in eine deutsche und eine französische Hälfte getheilt wird. Von dem französischen Waadtlande abgewandt, behauptet das Deutsche die Nordseite und den Kamm der berncr Alpen und des Se. Gotthard. Südlich davon das obere Wallis und einen nach dem Monte Rosa spitz auslaufenden Winkel, wo acht Gemeinden, Jssime ze., zusammen etwa 7000 Köpfe, die deutsche Sprache bewahrt haben. Die deutschen Schweizer, ovschon in der Regel des Französischen mächtig, halten auf ihre Sprache selbst im Gebrauch von Ortsnamen, als Virus, Peterlingen, Neuenburg. Fortschritte macht diese in Graubündten über das Churwälsche oder Ladinische, das merklich zusammenschrumpft. Nicht so Tirol, wo sie mit dem Italienischen zusammentrifft. Kraft der Rührigkeit, Gewandtheit und Schlauheit der Italiener und der Propagandalust des Klerus dieser Nation ist der Vortheil bei ihr; ihre Sprache schreitet im raschen Gange über ihre frühere Grenze vor; der Südsaum von Deutschtirol, ramene-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341793_110893/364>, abgerufen am 22.07.2024.