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Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, I. Semester. I. Band.

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Regierung ihrem Landtag eine Lection habe geben und ihn daran erinnern
wollen, daß die auswärtige Politik eine Prärogative der Krone ist.

Dieser Ausdruck gehört auch zu den Stichwörtern, mit denen man sehr
viel gesagt zu haben glaubt, ohne daß etwas Wesentliches dahinter wäre.
Daß das Recht Krieg zu erklären, Frieden zu schließen, die diplomatischen
Verhandlungen zu leiten, einzig und allein dem Souverain des Staats, also
in einer Monarchie dem König zusteht, das versteht sich schon darum von
selbst, weil er allein dieses Recht ausübe" kann., Daß er aber bei der Aus¬
übung dieses Rechts äußerst sorgfältig die Sympathien seines Volkes beachten
muß, wenn er nicht für sich und seinen Staat großen Nachtheil herbeiführen
will, das ist eine Wahrheit, die man nicht erst im Handbuch des constitutio-
nellen Staatsrechts suchen darf: alle despotischen Fürsten, wenn sie nur zu¬
gleich national waren, haben sie stillschweigend gelten lassen, weil die Gesinnung
des Volks ein entscheidender Factor für den Erfolg ist.

Ob dieses Recht der Mitwirkung des Volks in Ausübung kommt, das
hängt von sehr verschiedenen Umständen ab. Wenn die Nothwendigkeit zur
Entscheidung treibt, wird die Gesinnung sich von selbst finden; wenn dagegen
das Volk in seiner Regierung eine gewisse Unsicherheit wahrnimmt, so wird
es sich nicht blos berechtigt, sondern verpflichtet fühlen, sich seinerseits eine
Ueberzeugung zu bilden und derselben den gesetzlichen Ausdruck zu verschaffen.
Die gesetzlichen Vertreter des Landes sind bei uns die Kammern, und der einzige
gesetzliche Ausdruck, welchen diese in Bezug auf die auswärtigen Angelegenheiten
ihrer Ueberzeugung geben können, ist eine unmittelbare Ansprache an den König-
Der König soll damit nicht in eine bestimmte Politik gedrängt werden, sondern
man meldet ihm amtlich die Gesinnung des Landes, in der festen Ueberzeugung,
daß er dieselbe als ein hochwichtiges Moment bei seinen Entschließungen in Rech¬
nung bringen wird.

Daß der preußischen Negierung gegenüber diese Bemühung nicht über¬
flüssig ist, davon müssen jeden, der früher noch daran zweifelte, die vom Kai¬
ser Napoleon seinen Kammern vorgelegten Documente überführen. Es zeigt
sich bei der Leitung unserer auswärtigen Geschäfte 1) ein gewisses Schwanken
der Sympathie und Antipathie, das eine entscheidende Parteinahme erschwert;
2) im Gegensatz dazu das dunkle Gefühl von der Nothwendigkeit irgend einer
großen Action; 3) der Einfluß einer sehr thätigen und entschlossenen Partei,
dies dunkle Gefühl im legitimistischen Interesse auszubeuten; endlich 4) stärker
als alles dieses die Empfindung einem einzigen Mann gegenüber, auf den
Alles, was in Europa geschieht, bezogen wird. -- Wir wollen das im Ein¬
zelnen verfolgen.

Das Verhältniß der preußischen Negierung zu keiner einzigen europäischen
Macht ist klar festgestellt. Selbst die entschiedene Abneigung gegen Sardinien >se


Regierung ihrem Landtag eine Lection habe geben und ihn daran erinnern
wollen, daß die auswärtige Politik eine Prärogative der Krone ist.

Dieser Ausdruck gehört auch zu den Stichwörtern, mit denen man sehr
viel gesagt zu haben glaubt, ohne daß etwas Wesentliches dahinter wäre.
Daß das Recht Krieg zu erklären, Frieden zu schließen, die diplomatischen
Verhandlungen zu leiten, einzig und allein dem Souverain des Staats, also
in einer Monarchie dem König zusteht, das versteht sich schon darum von
selbst, weil er allein dieses Recht ausübe» kann., Daß er aber bei der Aus¬
übung dieses Rechts äußerst sorgfältig die Sympathien seines Volkes beachten
muß, wenn er nicht für sich und seinen Staat großen Nachtheil herbeiführen
will, das ist eine Wahrheit, die man nicht erst im Handbuch des constitutio-
nellen Staatsrechts suchen darf: alle despotischen Fürsten, wenn sie nur zu¬
gleich national waren, haben sie stillschweigend gelten lassen, weil die Gesinnung
des Volks ein entscheidender Factor für den Erfolg ist.

Ob dieses Recht der Mitwirkung des Volks in Ausübung kommt, das
hängt von sehr verschiedenen Umständen ab. Wenn die Nothwendigkeit zur
Entscheidung treibt, wird die Gesinnung sich von selbst finden; wenn dagegen
das Volk in seiner Regierung eine gewisse Unsicherheit wahrnimmt, so wird
es sich nicht blos berechtigt, sondern verpflichtet fühlen, sich seinerseits eine
Ueberzeugung zu bilden und derselben den gesetzlichen Ausdruck zu verschaffen.
Die gesetzlichen Vertreter des Landes sind bei uns die Kammern, und der einzige
gesetzliche Ausdruck, welchen diese in Bezug auf die auswärtigen Angelegenheiten
ihrer Ueberzeugung geben können, ist eine unmittelbare Ansprache an den König-
Der König soll damit nicht in eine bestimmte Politik gedrängt werden, sondern
man meldet ihm amtlich die Gesinnung des Landes, in der festen Ueberzeugung,
daß er dieselbe als ein hochwichtiges Moment bei seinen Entschließungen in Rech¬
nung bringen wird.

Daß der preußischen Negierung gegenüber diese Bemühung nicht über¬
flüssig ist, davon müssen jeden, der früher noch daran zweifelte, die vom Kai¬
ser Napoleon seinen Kammern vorgelegten Documente überführen. Es zeigt
sich bei der Leitung unserer auswärtigen Geschäfte 1) ein gewisses Schwanken
der Sympathie und Antipathie, das eine entscheidende Parteinahme erschwert;
2) im Gegensatz dazu das dunkle Gefühl von der Nothwendigkeit irgend einer
großen Action; 3) der Einfluß einer sehr thätigen und entschlossenen Partei,
dies dunkle Gefühl im legitimistischen Interesse auszubeuten; endlich 4) stärker
als alles dieses die Empfindung einem einzigen Mann gegenüber, auf den
Alles, was in Europa geschieht, bezogen wird. — Wir wollen das im Ein¬
zelnen verfolgen.

Das Verhältniß der preußischen Negierung zu keiner einzigen europäischen
Macht ist klar festgestellt. Selbst die entschiedene Abneigung gegen Sardinien >se


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341793_110893/356>, abgerufen am 22.07.2024.