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Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, I. Semester. I. Band.

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Zeitung. Aus dem ungebrochenen Geist der Offiziere und auch all der Sol¬
daten, mit denen ich als Deutscher verkehren konnte, aus der festen, resignirten,
aber in Soldatenehre glühenden Stimmung konnte ich kein Gefühl der In-
feriorität dem französischen Heer gegenüber abnehmen . . . Das Material
der Armee war ausgezeichnet, aber man sieht, was ich, der draußen ste¬
hende Civilist, schon für Einblicke in die mangelhafte Organisation thun
konnte. Nirgends fand ich -- bis aus die Proclamationen Urbaus an die
Veroneser -- eine scharfe, klare Instruction. In den Tagen, wo Hundert¬
tausende von der Thätigkeit der leitenden Männer abhingen, wurde ich von
Jedem gleich an sie gewiesen; eine meiner dort gemachten Bekanntschaften,
Mi Aspirant, fragte den Festuugscommandanten, der die Festung arnürte, wo
ein anderer General wohnte, nachdem er acht Tage lang diesen, soeben vom
Commnndo abgetretenen General gesucht!! Trotz Solferino hörte ich von Hoch
und Niedrig immer als erste Frage: Protection? Bei der Reiterei einmal die
Frage: können Sie reiten? Zweimal: haben Sie Zulage? Ich traf Ordon¬
nanzen, die mich, da sie mich als Deutschen erkannten, beinahe flehentlich
baten, ich möchte ihnen die Wohnung des oder des Generals sage"; ich traf
deren, die seit zwei Tagen suchten!! -- Ein Bureau an jedem Thor für Nach¬
weis wäre doch damals in Verona nothwendig und wie leicht zu errichten
gewesen. -- Daß ich mir unter den Truppen, namentlich in den ersten Tagen,
wo fast nur nichtdeutsche Regimenter in Verona lagen, fremder als fremd
vorkam -- davon will ich schweigen. Aber ich bekam das'Gefühl des Grim¬
mes gegen die östreichische Regierung, die durch ihr Absperren von Deutsch¬
land und deutschem Geiste, von Fortschritt und Entwicklung, durch ihr stum¬
pfes Bestehen auf dem Althergebrachten und dem Versinsterungsprincip es
Möglich gemacht hat, daß diese seit Jahrhunderten ihrem Scepter unterwor¬
fenen, theilweis halb civilisirten Stämme dem deutschen Geiste nicht mehr
unterworfen worden sind. Diese Grenzer:c., das waren Truppen, denen man
^ ansah, daß sie sich mit gieriger Freude auf die Schwaben, die Deutschen
werfen und Scenen des dreißigjährigen Krieges erneuern könnten. Licht ist seit¬
dem nicht in sie gefallen. -- -- Aus der Allgemeinen Zeitung bekam man
'u Verona die Kunde über Verona. Doch d^is ist nicht anders. Aber eins
war doch zu tadeln. Es wurde geglaubt, daß der Kaiser -- die Augsburger
berichtete die Absicht -- von der Armee zu einer Zusammenkunft mit dem
Pnnzregenten von Preußen abgereist sei. Der Kaiser war Oberbefehlshaber.
sah und hörte nichts von ihm, obwol ich fast jeden Tag an seinem
Palais vorüber kam. Erst am Tage vor dem Waffenstillstand erfuhr ich zu
Meiner Verwunderung zufällig, daß er doch in Verona sei. Ich hörte ein
sortrollendes Hurrah in der Ferne und erfuhr von zurückkommenden Sol¬
daten, daß der Kaiser zum Bade vorübcrgeritten sei. (Das Hurrah that mir


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Zeitung. Aus dem ungebrochenen Geist der Offiziere und auch all der Sol¬
daten, mit denen ich als Deutscher verkehren konnte, aus der festen, resignirten,
aber in Soldatenehre glühenden Stimmung konnte ich kein Gefühl der In-
feriorität dem französischen Heer gegenüber abnehmen . . . Das Material
der Armee war ausgezeichnet, aber man sieht, was ich, der draußen ste¬
hende Civilist, schon für Einblicke in die mangelhafte Organisation thun
konnte. Nirgends fand ich — bis aus die Proclamationen Urbaus an die
Veroneser — eine scharfe, klare Instruction. In den Tagen, wo Hundert¬
tausende von der Thätigkeit der leitenden Männer abhingen, wurde ich von
Jedem gleich an sie gewiesen; eine meiner dort gemachten Bekanntschaften,
Mi Aspirant, fragte den Festuugscommandanten, der die Festung arnürte, wo
ein anderer General wohnte, nachdem er acht Tage lang diesen, soeben vom
Commnndo abgetretenen General gesucht!! Trotz Solferino hörte ich von Hoch
und Niedrig immer als erste Frage: Protection? Bei der Reiterei einmal die
Frage: können Sie reiten? Zweimal: haben Sie Zulage? Ich traf Ordon¬
nanzen, die mich, da sie mich als Deutschen erkannten, beinahe flehentlich
baten, ich möchte ihnen die Wohnung des oder des Generals sage»; ich traf
deren, die seit zwei Tagen suchten!! — Ein Bureau an jedem Thor für Nach¬
weis wäre doch damals in Verona nothwendig und wie leicht zu errichten
gewesen. — Daß ich mir unter den Truppen, namentlich in den ersten Tagen,
wo fast nur nichtdeutsche Regimenter in Verona lagen, fremder als fremd
vorkam — davon will ich schweigen. Aber ich bekam das'Gefühl des Grim¬
mes gegen die östreichische Regierung, die durch ihr Absperren von Deutsch¬
land und deutschem Geiste, von Fortschritt und Entwicklung, durch ihr stum¬
pfes Bestehen auf dem Althergebrachten und dem Versinsterungsprincip es
Möglich gemacht hat, daß diese seit Jahrhunderten ihrem Scepter unterwor¬
fenen, theilweis halb civilisirten Stämme dem deutschen Geiste nicht mehr
unterworfen worden sind. Diese Grenzer:c., das waren Truppen, denen man
^ ansah, daß sie sich mit gieriger Freude auf die Schwaben, die Deutschen
werfen und Scenen des dreißigjährigen Krieges erneuern könnten. Licht ist seit¬
dem nicht in sie gefallen. — — Aus der Allgemeinen Zeitung bekam man
'u Verona die Kunde über Verona. Doch d^is ist nicht anders. Aber eins
war doch zu tadeln. Es wurde geglaubt, daß der Kaiser — die Augsburger
berichtete die Absicht — von der Armee zu einer Zusammenkunft mit dem
Pnnzregenten von Preußen abgereist sei. Der Kaiser war Oberbefehlshaber.
sah und hörte nichts von ihm, obwol ich fast jeden Tag an seinem
Palais vorüber kam. Erst am Tage vor dem Waffenstillstand erfuhr ich zu
Meiner Verwunderung zufällig, daß er doch in Verona sei. Ich hörte ein
sortrollendes Hurrah in der Ferne und erfuhr von zurückkommenden Sol¬
daten, daß der Kaiser zum Bade vorübcrgeritten sei. (Das Hurrah that mir


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[0317] Zeitung. Aus dem ungebrochenen Geist der Offiziere und auch all der Sol¬ daten, mit denen ich als Deutscher verkehren konnte, aus der festen, resignirten, aber in Soldatenehre glühenden Stimmung konnte ich kein Gefühl der In- feriorität dem französischen Heer gegenüber abnehmen . . . Das Material der Armee war ausgezeichnet, aber man sieht, was ich, der draußen ste¬ hende Civilist, schon für Einblicke in die mangelhafte Organisation thun konnte. Nirgends fand ich — bis aus die Proclamationen Urbaus an die Veroneser — eine scharfe, klare Instruction. In den Tagen, wo Hundert¬ tausende von der Thätigkeit der leitenden Männer abhingen, wurde ich von Jedem gleich an sie gewiesen; eine meiner dort gemachten Bekanntschaften, Mi Aspirant, fragte den Festuugscommandanten, der die Festung arnürte, wo ein anderer General wohnte, nachdem er acht Tage lang diesen, soeben vom Commnndo abgetretenen General gesucht!! Trotz Solferino hörte ich von Hoch und Niedrig immer als erste Frage: Protection? Bei der Reiterei einmal die Frage: können Sie reiten? Zweimal: haben Sie Zulage? Ich traf Ordon¬ nanzen, die mich, da sie mich als Deutschen erkannten, beinahe flehentlich baten, ich möchte ihnen die Wohnung des oder des Generals sage»; ich traf deren, die seit zwei Tagen suchten!! — Ein Bureau an jedem Thor für Nach¬ weis wäre doch damals in Verona nothwendig und wie leicht zu errichten gewesen. — Daß ich mir unter den Truppen, namentlich in den ersten Tagen, wo fast nur nichtdeutsche Regimenter in Verona lagen, fremder als fremd vorkam — davon will ich schweigen. Aber ich bekam das'Gefühl des Grim¬ mes gegen die östreichische Regierung, die durch ihr Absperren von Deutsch¬ land und deutschem Geiste, von Fortschritt und Entwicklung, durch ihr stum¬ pfes Bestehen auf dem Althergebrachten und dem Versinsterungsprincip es Möglich gemacht hat, daß diese seit Jahrhunderten ihrem Scepter unterwor¬ fenen, theilweis halb civilisirten Stämme dem deutschen Geiste nicht mehr unterworfen worden sind. Diese Grenzer:c., das waren Truppen, denen man ^ ansah, daß sie sich mit gieriger Freude auf die Schwaben, die Deutschen werfen und Scenen des dreißigjährigen Krieges erneuern könnten. Licht ist seit¬ dem nicht in sie gefallen. — — Aus der Allgemeinen Zeitung bekam man 'u Verona die Kunde über Verona. Doch d^is ist nicht anders. Aber eins war doch zu tadeln. Es wurde geglaubt, daß der Kaiser — die Augsburger berichtete die Absicht — von der Armee zu einer Zusammenkunft mit dem Pnnzregenten von Preußen abgereist sei. Der Kaiser war Oberbefehlshaber. sah und hörte nichts von ihm, obwol ich fast jeden Tag an seinem Palais vorüber kam. Erst am Tage vor dem Waffenstillstand erfuhr ich zu Meiner Verwunderung zufällig, daß er doch in Verona sei. Ich hörte ein sortrollendes Hurrah in der Ferne und erfuhr von zurückkommenden Sol¬ daten, daß der Kaiser zum Bade vorübcrgeritten sei. (Das Hurrah that mir 39*

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341793_110893/317>, abgerufen am 15.01.2025.