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Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, I. Semester. I. Band.

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und wieder neben der reichsten Manneskraft wie viele jugendliche Unbehilf-
lichkeit. sowol im Ministerium, als in der Majorität der Kammern. Größten-
theils nicht durch Schuld der Personen, sondern der allgemeinen Verhältnisse
des Staats. Aber über allem Mangelhaften und Unbefriedigenden gerade in
dem gegenwärtigen Zustand zugleich die Garantie für eine große und macht¬
volle Entwicklung: Tüchtigkeit, Ehrlichkeit, Freimuth.

Es ist in diesen Blättern nicht selten dargestellt worden, wie das Leben
des Staates, an welchem unsere Liebe und alle unsere Hoffnung hängt, unter
den beiden letzten Regierungen verkümmert war. Nur für die Fremden soll das
hier wiederholt werden. Ucbergroß war die Erschöpfung, welche in Preußen auf'
die Freiheitskriegs folgte, und verhüngnißooll wurde es für die Zukunft eines
mäßig großen ausgesogenen Staates, daß die gesammte männliche Jugend für
die Existenz des Vaterlandes drei Jahre ans den Schlachtfeldern geblutet
hatte. Die freie Lebenskraft der Nation war gefährlich vermindert, viele der
geistigen Führer waren im Felde geblieben, Viele, welche den Beruf hatten,
es zu werden, fanden nach dem Frieden in dem erschöpften und furchtbar ver¬
armten Lande ihre eigne bürgerliche Existenz gefährdet, sie blieben in der Sub¬
ordination des Heeres, in dem Mechanismus des Beamtenthums hängen.
Noch war Handel und Industrie im Verhältniß zur Gegenwart wenig ent¬
wickelt, verhältnißmäßig selten der behagliche Wohlstand des Einzelnen,
noch war der Beamtenstand die einzige Laufbahn, in welcher der gebildete
Mann, der ohne Vermögen emporrang, sein Interesse am Staat bethätigen konnte.
So fehlte der Regierung, was ihr selbst Kraft und Energie zu geben vermag,
eine verständige, ununterbrochene Controle ihrer Handlungen, eilte tüchtige
öffentliche Meinung. Sie wurde nach außen gegen das Lebensinteresse Preußens
eine, wenn auch nicht immer willige-, Dienerin des geistlosen Bestrebens,
zu conserviren, welches unter dem Namen des Metternich'schen Systems
bekannt ist. Wie wohlthätig das sparsame, nüchterne, geregelte West"
Friedrich Wilhelm des Dritten für die Entwicklung innerer Hilfsquellen war.
nach außen hat er nicht verstanden, dem Selbstgefühl seines Volkes den ener¬
gischen Ausdruck zu geben, welcher die Theilnahme des Einzelnen an den
Geschicken des Vaterlandes steigert und das Verständniß der höchsten Inter¬
essen des Staates in weiten Kreisen populär macht.

In welcher Weise die Persönlichkeit seines Nachfolgers gewirkt hat, wird
jetzt noch so allgemein und lebendig empfunden, daß es genügt, an Einzelnes
zu erinnern. Das Bedürfniß neuer Lebensformen für den Staat entwickelte
sich aus dem Volke im Kampfe gegen die Intentionen des Monarchen. Auf
die Revolution folgte eine engherzige, gewissenlose Reaction. Die Herze"
wurden schwer verbittert, in die gesammte Gesetzgebung kam ein Schwanken,
fast der gesammte Bau des Staates erschien wie ein Interim. Furchtbar er-


und wieder neben der reichsten Manneskraft wie viele jugendliche Unbehilf-
lichkeit. sowol im Ministerium, als in der Majorität der Kammern. Größten-
theils nicht durch Schuld der Personen, sondern der allgemeinen Verhältnisse
des Staats. Aber über allem Mangelhaften und Unbefriedigenden gerade in
dem gegenwärtigen Zustand zugleich die Garantie für eine große und macht¬
volle Entwicklung: Tüchtigkeit, Ehrlichkeit, Freimuth.

Es ist in diesen Blättern nicht selten dargestellt worden, wie das Leben
des Staates, an welchem unsere Liebe und alle unsere Hoffnung hängt, unter
den beiden letzten Regierungen verkümmert war. Nur für die Fremden soll das
hier wiederholt werden. Ucbergroß war die Erschöpfung, welche in Preußen auf'
die Freiheitskriegs folgte, und verhüngnißooll wurde es für die Zukunft eines
mäßig großen ausgesogenen Staates, daß die gesammte männliche Jugend für
die Existenz des Vaterlandes drei Jahre ans den Schlachtfeldern geblutet
hatte. Die freie Lebenskraft der Nation war gefährlich vermindert, viele der
geistigen Führer waren im Felde geblieben, Viele, welche den Beruf hatten,
es zu werden, fanden nach dem Frieden in dem erschöpften und furchtbar ver¬
armten Lande ihre eigne bürgerliche Existenz gefährdet, sie blieben in der Sub¬
ordination des Heeres, in dem Mechanismus des Beamtenthums hängen.
Noch war Handel und Industrie im Verhältniß zur Gegenwart wenig ent¬
wickelt, verhältnißmäßig selten der behagliche Wohlstand des Einzelnen,
noch war der Beamtenstand die einzige Laufbahn, in welcher der gebildete
Mann, der ohne Vermögen emporrang, sein Interesse am Staat bethätigen konnte.
So fehlte der Regierung, was ihr selbst Kraft und Energie zu geben vermag,
eine verständige, ununterbrochene Controle ihrer Handlungen, eilte tüchtige
öffentliche Meinung. Sie wurde nach außen gegen das Lebensinteresse Preußens
eine, wenn auch nicht immer willige-, Dienerin des geistlosen Bestrebens,
zu conserviren, welches unter dem Namen des Metternich'schen Systems
bekannt ist. Wie wohlthätig das sparsame, nüchterne, geregelte West»
Friedrich Wilhelm des Dritten für die Entwicklung innerer Hilfsquellen war.
nach außen hat er nicht verstanden, dem Selbstgefühl seines Volkes den ener¬
gischen Ausdruck zu geben, welcher die Theilnahme des Einzelnen an den
Geschicken des Vaterlandes steigert und das Verständniß der höchsten Inter¬
essen des Staates in weiten Kreisen populär macht.

In welcher Weise die Persönlichkeit seines Nachfolgers gewirkt hat, wird
jetzt noch so allgemein und lebendig empfunden, daß es genügt, an Einzelnes
zu erinnern. Das Bedürfniß neuer Lebensformen für den Staat entwickelte
sich aus dem Volke im Kampfe gegen die Intentionen des Monarchen. Auf
die Revolution folgte eine engherzige, gewissenlose Reaction. Die Herze»
wurden schwer verbittert, in die gesammte Gesetzgebung kam ein Schwanken,
fast der gesammte Bau des Staates erschien wie ein Interim. Furchtbar er-


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[0292] und wieder neben der reichsten Manneskraft wie viele jugendliche Unbehilf- lichkeit. sowol im Ministerium, als in der Majorität der Kammern. Größten- theils nicht durch Schuld der Personen, sondern der allgemeinen Verhältnisse des Staats. Aber über allem Mangelhaften und Unbefriedigenden gerade in dem gegenwärtigen Zustand zugleich die Garantie für eine große und macht¬ volle Entwicklung: Tüchtigkeit, Ehrlichkeit, Freimuth. Es ist in diesen Blättern nicht selten dargestellt worden, wie das Leben des Staates, an welchem unsere Liebe und alle unsere Hoffnung hängt, unter den beiden letzten Regierungen verkümmert war. Nur für die Fremden soll das hier wiederholt werden. Ucbergroß war die Erschöpfung, welche in Preußen auf' die Freiheitskriegs folgte, und verhüngnißooll wurde es für die Zukunft eines mäßig großen ausgesogenen Staates, daß die gesammte männliche Jugend für die Existenz des Vaterlandes drei Jahre ans den Schlachtfeldern geblutet hatte. Die freie Lebenskraft der Nation war gefährlich vermindert, viele der geistigen Führer waren im Felde geblieben, Viele, welche den Beruf hatten, es zu werden, fanden nach dem Frieden in dem erschöpften und furchtbar ver¬ armten Lande ihre eigne bürgerliche Existenz gefährdet, sie blieben in der Sub¬ ordination des Heeres, in dem Mechanismus des Beamtenthums hängen. Noch war Handel und Industrie im Verhältniß zur Gegenwart wenig ent¬ wickelt, verhältnißmäßig selten der behagliche Wohlstand des Einzelnen, noch war der Beamtenstand die einzige Laufbahn, in welcher der gebildete Mann, der ohne Vermögen emporrang, sein Interesse am Staat bethätigen konnte. So fehlte der Regierung, was ihr selbst Kraft und Energie zu geben vermag, eine verständige, ununterbrochene Controle ihrer Handlungen, eilte tüchtige öffentliche Meinung. Sie wurde nach außen gegen das Lebensinteresse Preußens eine, wenn auch nicht immer willige-, Dienerin des geistlosen Bestrebens, zu conserviren, welches unter dem Namen des Metternich'schen Systems bekannt ist. Wie wohlthätig das sparsame, nüchterne, geregelte West» Friedrich Wilhelm des Dritten für die Entwicklung innerer Hilfsquellen war. nach außen hat er nicht verstanden, dem Selbstgefühl seines Volkes den ener¬ gischen Ausdruck zu geben, welcher die Theilnahme des Einzelnen an den Geschicken des Vaterlandes steigert und das Verständniß der höchsten Inter¬ essen des Staates in weiten Kreisen populär macht. In welcher Weise die Persönlichkeit seines Nachfolgers gewirkt hat, wird jetzt noch so allgemein und lebendig empfunden, daß es genügt, an Einzelnes zu erinnern. Das Bedürfniß neuer Lebensformen für den Staat entwickelte sich aus dem Volke im Kampfe gegen die Intentionen des Monarchen. Auf die Revolution folgte eine engherzige, gewissenlose Reaction. Die Herze» wurden schwer verbittert, in die gesammte Gesetzgebung kam ein Schwanken, fast der gesammte Bau des Staates erschien wie ein Interim. Furchtbar er-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341793_110893/292>, abgerufen am 25.08.2024.