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Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, I. Semester. I. Band.

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als unwandelbar, sie ist vielmehr in einer dauernden Entwicklung begriffen,
grade wie die Literatur selbst, und es ist sogar nicht unmöglich, daß das neue
Werk dazu beiträgt, Geschmack, Urtheil, ästhetische Vorschriften zu modi-
ficiren. Aber selbst der ästhetische Werth eines Stückes ist nicht der letzte Ma߬
stab für seine Bedeutung. Denn die Folgezeit beurtheilt die einzelnen Leistungen
des Dichters vorzugsweise nach der Wichtigkeit, welche die Seele des ganzen
Mannes für sie gewonnen hat. Dem Manne, welcher gut gewirkt hat, wird
die Summe seines geistigen Inhalts und seiner Bedeutung sür die Nation auf
jedem seiner einzelnen Werke gutgeschrieben. Wenn ein Dichterleben ab¬
geschlossen vorliegt, dann wird aus jeder einzelnen seiner Schöpfungen das
Gesammtbild einer Persönlichkeit zusammengesetzt, und diese ganze Persön¬
lichkeit wird ein Moment der Bildung; dann erst wird das Beste, was der
Mann geleistet, ganz verstanden, ja auch das Verfehlte mag dem jüngeren
Geschlecht so lieb geworden sein, daß es mit Pietät bewahrt wird. So gleicht
das Dichterwerk dem neuen Jahrgang des Weins, es wird unter Umständen
durch das Alter besser. Das Schwächste freilich wird bald schal und ungenie߬
bar. Und deshalb möge jeder der deutscheu dramatischen Dichter das Urtheil
der Commission in Frieden über seine Arbeit ergehen lassen und nebenbei recht
tüchtig dahin arbeiten, daß sein eignes Leben reich an Blüthen und Frucht für
sein Volk werde. Denn sein Recht wird dadurch das bessere.

Der Preis, welcher Schillers Namen trägt, legt nahe, die Ber¬
liner Statue des Dichters zu erwähnen, und den unerfreulichen Gegen¬
satz, welcher ihretwegen zu Tage gekommen ist. Bald wird Berlin
den Namen einer Weltstadt verdienen. Die kriegerischen Erinnerungen
aus Preußens Geschichte sind bereits zu monumentalen Schmuck verwerthet,
der größten Hauptstadt würdig. Zu den zahlreichen Kriegergestalten in Erz
und Marmor kommen jetzt auch Helden des Friedens, welche um Preußen
besondere Verdienste gehabt, das Standbild Thacrs ist vollendet, Beuth und
Schinkel sollen als seine Nachbarn den Platz an der Bauakademie schmücken.
Das Denkmal für Schiller aber ist das erste, welches zu Berlin einem der
großen Dichter und Künstler Deutschlands gesetzt wird. Und sehr nahe lag
der Gedanke , dieselbe Gelegenheit und Theilnahme für eine Statue Goethe's
in Anspruch zu nehmen. Ja, es ist zu hoffen, daß sich allmälig eine Reihe
anderer Statuen an diese anschließen wird. Berlin hat gegen Lessing eine
^sondere Schuld abzutragen; es hat dem großen Mann, als er mühsam mit
dem Leben rang,, spröde Härte bewiesen. Mehr als ein Name deutscher
Wissenschaft gehört Berlin besonders an, und darf dort vor Allem ein Denkmal
beanspruchen. Die größten Tonkünstler der Deutschen, Mozart. Beethoven haben
nach nu>^ dort eine zweite Heimath gewonnen, und es wäre für den
Stolz der'Berliner eine recht angemessene That, den Meistern eher die letzte


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als unwandelbar, sie ist vielmehr in einer dauernden Entwicklung begriffen,
grade wie die Literatur selbst, und es ist sogar nicht unmöglich, daß das neue
Werk dazu beiträgt, Geschmack, Urtheil, ästhetische Vorschriften zu modi-
ficiren. Aber selbst der ästhetische Werth eines Stückes ist nicht der letzte Ma߬
stab für seine Bedeutung. Denn die Folgezeit beurtheilt die einzelnen Leistungen
des Dichters vorzugsweise nach der Wichtigkeit, welche die Seele des ganzen
Mannes für sie gewonnen hat. Dem Manne, welcher gut gewirkt hat, wird
die Summe seines geistigen Inhalts und seiner Bedeutung sür die Nation auf
jedem seiner einzelnen Werke gutgeschrieben. Wenn ein Dichterleben ab¬
geschlossen vorliegt, dann wird aus jeder einzelnen seiner Schöpfungen das
Gesammtbild einer Persönlichkeit zusammengesetzt, und diese ganze Persön¬
lichkeit wird ein Moment der Bildung; dann erst wird das Beste, was der
Mann geleistet, ganz verstanden, ja auch das Verfehlte mag dem jüngeren
Geschlecht so lieb geworden sein, daß es mit Pietät bewahrt wird. So gleicht
das Dichterwerk dem neuen Jahrgang des Weins, es wird unter Umständen
durch das Alter besser. Das Schwächste freilich wird bald schal und ungenie߬
bar. Und deshalb möge jeder der deutscheu dramatischen Dichter das Urtheil
der Commission in Frieden über seine Arbeit ergehen lassen und nebenbei recht
tüchtig dahin arbeiten, daß sein eignes Leben reich an Blüthen und Frucht für
sein Volk werde. Denn sein Recht wird dadurch das bessere.

Der Preis, welcher Schillers Namen trägt, legt nahe, die Ber¬
liner Statue des Dichters zu erwähnen, und den unerfreulichen Gegen¬
satz, welcher ihretwegen zu Tage gekommen ist. Bald wird Berlin
den Namen einer Weltstadt verdienen. Die kriegerischen Erinnerungen
aus Preußens Geschichte sind bereits zu monumentalen Schmuck verwerthet,
der größten Hauptstadt würdig. Zu den zahlreichen Kriegergestalten in Erz
und Marmor kommen jetzt auch Helden des Friedens, welche um Preußen
besondere Verdienste gehabt, das Standbild Thacrs ist vollendet, Beuth und
Schinkel sollen als seine Nachbarn den Platz an der Bauakademie schmücken.
Das Denkmal für Schiller aber ist das erste, welches zu Berlin einem der
großen Dichter und Künstler Deutschlands gesetzt wird. Und sehr nahe lag
der Gedanke , dieselbe Gelegenheit und Theilnahme für eine Statue Goethe's
in Anspruch zu nehmen. Ja, es ist zu hoffen, daß sich allmälig eine Reihe
anderer Statuen an diese anschließen wird. Berlin hat gegen Lessing eine
^sondere Schuld abzutragen; es hat dem großen Mann, als er mühsam mit
dem Leben rang,, spröde Härte bewiesen. Mehr als ein Name deutscher
Wissenschaft gehört Berlin besonders an, und darf dort vor Allem ein Denkmal
beanspruchen. Die größten Tonkünstler der Deutschen, Mozart. Beethoven haben
nach nu>^ dort eine zweite Heimath gewonnen, und es wäre für den
Stolz der'Berliner eine recht angemessene That, den Meistern eher die letzte


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341793_110893/29>, abgerufen am 26.06.2024.