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Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, I. Semester. I. Band.

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gen, als die weiche Herzen der Jugend noch mehr erweichenden Werke der
sogenannten Anakrevntcn. Freilich verehren wir Klopstocks Liebe zur Tugend
und zu Gott. Ist schon unser Geschmack an die neuen Wendungen noch nicht
gewohnt, womit er die Sprache bereichert hat; finden wir noch immer, hin
und wieder sei man gegen Gott vertraulicher als es seine unendliche Größe
zulassen sollte, so hindern uns diese eingeschränkten Gefühle nicht, das Große
in Klopstocks Geist zu empfinden; so wenig wir uns an die neuen Sylben-
Maße gewöhnen, so wenig wir die Harmonie in vielen derselben fühlen: so
leben wir nicht aus dieses uns fremde Aeußerliche, das durch schwache Nach¬
ahmer so oft mißbraucht worden ist; wir sehen auf das Herz, auf die edlen
Gesinnungen und auf die athmenden Ausdrücke des Dichters."

Für Ossi an erklärt er sich 1765 mit größerer Wärme als ihm sonst ge¬
wöhnlich." Er zweifelt nicht an seiner Echtheit.

Nicht ohne Interesse wird es sein, die Urtheile über Shakespeare zu¬
sammen zu stellen. Zimmermann sagt 1755 im Leben Hallers: "der Mensch
bringt zwar die Fähigkeit zur Dichtkunst mit auf die Welt, aber der Geschmack
bestimmt deu Werth eines Gedichts. Ein hinimlisches Feuer leuchtet aus
Shakcspears Werken hervor; die englische Nation stellt ihn meistentheils über
alle Sterblichen hinauf. Allein der Mangel des wahren Geschmacks und der
Regeln des Trauerspiels verstellt seine Schönheiten und macht sie einem Stroh-
feuer ähnlich, das eine große Flamme ausgibt und uns wol erleuchtet, aber
keine Wärme zurückläßt." -- Haller sagt in den Gelehrten Anzeigen 1764:
'-Freilich ist Shakespeare ein Gemisch von Gold und Koch, aber das Gold
bleibt rein, wenn es schon nicht in allen seinen Gedichten herrscht." 1765 :
"Ein großer Theil seiner Schauspiele sind voll Concetti und unnatürlicher Aus¬
drücke, zwischen denen allerdings zuweilen etwas unverbesserlich Schönes her¬
vorschimmert." -- Dann folgt 1766 das erste bedeutende Wort über Shakespeare
von Gerstcnberg. 1768 das unsterbliche von Lessin g. --1771 sagt Haller:
"Shakespeare hat unnachahmlich schöne Stellen, aber aus Mangel an Geschmack
in'le er in die niedrigsten. Es ist freilich wahr, der Geschmack seiner Zeit hing
Hanswurststreichen. Gelehrt war er nicht. Wir tonnen auch das Lob
N'ehe zugeben, daß er die Leidenschaften vortrefflich geschildert habe, wenigstens
nicht die Liebe." --!! --

In einem Brief an Gemmingen zieht Haller eine interessante Parallele
Zwischen sich und Hagedorn. -- Beide haben mehr Geschmack als Kräfte.
Beiden war die Reise nach England sehr wichtig, denn die Bekanntschaft mit der
englischen Literatur lehrte sie die Bedeutung der Worte und stellte ihnen die
Ausgabe, mit den wenigsten Worten viel zu sagen. Beide hielten sich von
den antiken Maßen fern; auch der neue Schwung der Sprache tam ihnen oft
verworren und gezwungen vor. Aber Hagedorn lebte in der Gesellschaft


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gen, als die weiche Herzen der Jugend noch mehr erweichenden Werke der
sogenannten Anakrevntcn. Freilich verehren wir Klopstocks Liebe zur Tugend
und zu Gott. Ist schon unser Geschmack an die neuen Wendungen noch nicht
gewohnt, womit er die Sprache bereichert hat; finden wir noch immer, hin
und wieder sei man gegen Gott vertraulicher als es seine unendliche Größe
zulassen sollte, so hindern uns diese eingeschränkten Gefühle nicht, das Große
in Klopstocks Geist zu empfinden; so wenig wir uns an die neuen Sylben-
Maße gewöhnen, so wenig wir die Harmonie in vielen derselben fühlen: so
leben wir nicht aus dieses uns fremde Aeußerliche, das durch schwache Nach¬
ahmer so oft mißbraucht worden ist; wir sehen auf das Herz, auf die edlen
Gesinnungen und auf die athmenden Ausdrücke des Dichters."

Für Ossi an erklärt er sich 1765 mit größerer Wärme als ihm sonst ge¬
wöhnlich.« Er zweifelt nicht an seiner Echtheit.

Nicht ohne Interesse wird es sein, die Urtheile über Shakespeare zu¬
sammen zu stellen. Zimmermann sagt 1755 im Leben Hallers: „der Mensch
bringt zwar die Fähigkeit zur Dichtkunst mit auf die Welt, aber der Geschmack
bestimmt deu Werth eines Gedichts. Ein hinimlisches Feuer leuchtet aus
Shakcspears Werken hervor; die englische Nation stellt ihn meistentheils über
alle Sterblichen hinauf. Allein der Mangel des wahren Geschmacks und der
Regeln des Trauerspiels verstellt seine Schönheiten und macht sie einem Stroh-
feuer ähnlich, das eine große Flamme ausgibt und uns wol erleuchtet, aber
keine Wärme zurückläßt." — Haller sagt in den Gelehrten Anzeigen 1764:
'-Freilich ist Shakespeare ein Gemisch von Gold und Koch, aber das Gold
bleibt rein, wenn es schon nicht in allen seinen Gedichten herrscht." 1765 :
"Ein großer Theil seiner Schauspiele sind voll Concetti und unnatürlicher Aus¬
drücke, zwischen denen allerdings zuweilen etwas unverbesserlich Schönes her¬
vorschimmert." — Dann folgt 1766 das erste bedeutende Wort über Shakespeare
von Gerstcnberg. 1768 das unsterbliche von Lessin g. —1771 sagt Haller:
»Shakespeare hat unnachahmlich schöne Stellen, aber aus Mangel an Geschmack
in'le er in die niedrigsten. Es ist freilich wahr, der Geschmack seiner Zeit hing
Hanswurststreichen. Gelehrt war er nicht. Wir tonnen auch das Lob
N'ehe zugeben, daß er die Leidenschaften vortrefflich geschildert habe, wenigstens
nicht die Liebe." —!! —

In einem Brief an Gemmingen zieht Haller eine interessante Parallele
Zwischen sich und Hagedorn. — Beide haben mehr Geschmack als Kräfte.
Beiden war die Reise nach England sehr wichtig, denn die Bekanntschaft mit der
englischen Literatur lehrte sie die Bedeutung der Worte und stellte ihnen die
Ausgabe, mit den wenigsten Worten viel zu sagen. Beide hielten sich von
den antiken Maßen fern; auch der neue Schwung der Sprache tam ihnen oft
verworren und gezwungen vor. Aber Hagedorn lebte in der Gesellschaft


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341793_110893/285>, abgerufen am 25.08.2024.