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Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, I. Semester. I. Band.

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der Poet nicht nur eben so richtig denken wie der Prosaiker, sondern er sollte noch
strenger und ernster von seinen Gedanken Rechenschaft geben. Ein ähnliches
Gesetz beobachtet er bei seinen Bildern und Schilderungen; er gab nicht eine
vollständige Beschreibung, sondern er stellte die Elemente des Bildes sinnig
zusammen und überlief; der Einbildungskraft des Lesers sie zu verbinde".

Diese Methode hat die poetische Sprache sehr gefördert; el" weiterer
Fortschritt blieb Klopstock und in noch höherem Grade Goethe vorbehalten,
nämlich die Elemente der Anschauung so in Stimmung aufzulösen, daß da¬
raus unmittelbar ein ideales Bild hervorgeht, etwa wie eine im Mondlicht
zersliesicnde Landschaft >

Als Beispiel eine Stelle aus den Alpen:

Hier haben wir nur die Elemente der Anschauung, die man im ersten
Augenblick nicht versteht, weil die Mittelglieder fehlen. Wenn man aber er¬
fährt, daß oben am Berg die Wolken liegen, während der Staubbach durch
seinen starken Fall einen Nebel erregt, und daß der Wandrer dies durchs
Fenster betrachtet, so findet man durch jene epigrammatische Zusammenstellung
die Anschauung lebendiger geworden.

Die englischen Dichter hatten ihn angeregt. "Die philosophischen Dich¬
ter, schreibt er 1748, deren Größe ich bewunderte,"verdrängte" bald bei mir
das aufgeblähte Wesen Lohensteins, der auf Metaphern wie auf leichten
Blasen schwimmt," Bon ihnen nahm er "die Liebe zum Denken und den
Borzug der schweren Dichtkunst" an. "Nach meinen, Begriff muß man die
Aufmerksamkeit des Lesers niemals abnehmen lassen. Dies geschieht unfehlbar
aus eine mechanische Weise, sobald man ihm einige leere Zeilen vorlegt, wo-
bei er nichts zu denken findet. Ein Dichter muß Bilder, lebhafte Figuren,
kurze Sprüche, starke Züge und unerwartete Anmerkungen aufeinander häufen,
oder gewärtig sein, daß man ihn weglegt." --

In den Alpen ist-zweierlei zu unterscheiden, das dcscriptive Moment und
das sittliche. Was die Beschreibung betrifft, so vermißt man etwas, was man
bei dem Dichter der "Ewigkeit", der Millionen auf Millionen Jahre von ihr
abzieht um sie dann ungeschmälert zu finden, wol erwarten möchte, nämlich
das Element des Kolossalen und Gigautischen. Bon diesem ist in dem Ge¬
dicht sast gar nicht die Rede. Haller beobachtet die Natur der Alpen als Bo¬
taniker, er zerlegt sie in ihre kleinen Erscheinungen; in i.eder ist er tüchtig,
sinnig und bedeutend. Einen eigentlich poetischen Eindruck macht das Gedicht
keineswegs, namentlich da die Sprache mitunter durch sehr starke Härten entstellt
wird; aber es ist eine Lectüre, die sich noch heute lohnt, und aus der det
nächstfolgenden Dichter, auch Klopstock und Goethe, sehr viel gelernt habe".


der Poet nicht nur eben so richtig denken wie der Prosaiker, sondern er sollte noch
strenger und ernster von seinen Gedanken Rechenschaft geben. Ein ähnliches
Gesetz beobachtet er bei seinen Bildern und Schilderungen; er gab nicht eine
vollständige Beschreibung, sondern er stellte die Elemente des Bildes sinnig
zusammen und überlief; der Einbildungskraft des Lesers sie zu verbinde».

Diese Methode hat die poetische Sprache sehr gefördert; el» weiterer
Fortschritt blieb Klopstock und in noch höherem Grade Goethe vorbehalten,
nämlich die Elemente der Anschauung so in Stimmung aufzulösen, daß da¬
raus unmittelbar ein ideales Bild hervorgeht, etwa wie eine im Mondlicht
zersliesicnde Landschaft >

Als Beispiel eine Stelle aus den Alpen:

Hier haben wir nur die Elemente der Anschauung, die man im ersten
Augenblick nicht versteht, weil die Mittelglieder fehlen. Wenn man aber er¬
fährt, daß oben am Berg die Wolken liegen, während der Staubbach durch
seinen starken Fall einen Nebel erregt, und daß der Wandrer dies durchs
Fenster betrachtet, so findet man durch jene epigrammatische Zusammenstellung
die Anschauung lebendiger geworden.

Die englischen Dichter hatten ihn angeregt. „Die philosophischen Dich¬
ter, schreibt er 1748, deren Größe ich bewunderte,"verdrängte» bald bei mir
das aufgeblähte Wesen Lohensteins, der auf Metaphern wie auf leichten
Blasen schwimmt," Bon ihnen nahm er „die Liebe zum Denken und den
Borzug der schweren Dichtkunst" an. „Nach meinen, Begriff muß man die
Aufmerksamkeit des Lesers niemals abnehmen lassen. Dies geschieht unfehlbar
aus eine mechanische Weise, sobald man ihm einige leere Zeilen vorlegt, wo-
bei er nichts zu denken findet. Ein Dichter muß Bilder, lebhafte Figuren,
kurze Sprüche, starke Züge und unerwartete Anmerkungen aufeinander häufen,
oder gewärtig sein, daß man ihn weglegt." —

In den Alpen ist-zweierlei zu unterscheiden, das dcscriptive Moment und
das sittliche. Was die Beschreibung betrifft, so vermißt man etwas, was man
bei dem Dichter der „Ewigkeit", der Millionen auf Millionen Jahre von ihr
abzieht um sie dann ungeschmälert zu finden, wol erwarten möchte, nämlich
das Element des Kolossalen und Gigautischen. Bon diesem ist in dem Ge¬
dicht sast gar nicht die Rede. Haller beobachtet die Natur der Alpen als Bo¬
taniker, er zerlegt sie in ihre kleinen Erscheinungen; in i.eder ist er tüchtig,
sinnig und bedeutend. Einen eigentlich poetischen Eindruck macht das Gedicht
keineswegs, namentlich da die Sprache mitunter durch sehr starke Härten entstellt
wird; aber es ist eine Lectüre, die sich noch heute lohnt, und aus der det
nächstfolgenden Dichter, auch Klopstock und Goethe, sehr viel gelernt habe».


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[0280] der Poet nicht nur eben so richtig denken wie der Prosaiker, sondern er sollte noch strenger und ernster von seinen Gedanken Rechenschaft geben. Ein ähnliches Gesetz beobachtet er bei seinen Bildern und Schilderungen; er gab nicht eine vollständige Beschreibung, sondern er stellte die Elemente des Bildes sinnig zusammen und überlief; der Einbildungskraft des Lesers sie zu verbinde». Diese Methode hat die poetische Sprache sehr gefördert; el» weiterer Fortschritt blieb Klopstock und in noch höherem Grade Goethe vorbehalten, nämlich die Elemente der Anschauung so in Stimmung aufzulösen, daß da¬ raus unmittelbar ein ideales Bild hervorgeht, etwa wie eine im Mondlicht zersliesicnde Landschaft > Als Beispiel eine Stelle aus den Alpen: Hier haben wir nur die Elemente der Anschauung, die man im ersten Augenblick nicht versteht, weil die Mittelglieder fehlen. Wenn man aber er¬ fährt, daß oben am Berg die Wolken liegen, während der Staubbach durch seinen starken Fall einen Nebel erregt, und daß der Wandrer dies durchs Fenster betrachtet, so findet man durch jene epigrammatische Zusammenstellung die Anschauung lebendiger geworden. Die englischen Dichter hatten ihn angeregt. „Die philosophischen Dich¬ ter, schreibt er 1748, deren Größe ich bewunderte,"verdrängte» bald bei mir das aufgeblähte Wesen Lohensteins, der auf Metaphern wie auf leichten Blasen schwimmt," Bon ihnen nahm er „die Liebe zum Denken und den Borzug der schweren Dichtkunst" an. „Nach meinen, Begriff muß man die Aufmerksamkeit des Lesers niemals abnehmen lassen. Dies geschieht unfehlbar aus eine mechanische Weise, sobald man ihm einige leere Zeilen vorlegt, wo- bei er nichts zu denken findet. Ein Dichter muß Bilder, lebhafte Figuren, kurze Sprüche, starke Züge und unerwartete Anmerkungen aufeinander häufen, oder gewärtig sein, daß man ihn weglegt." — In den Alpen ist-zweierlei zu unterscheiden, das dcscriptive Moment und das sittliche. Was die Beschreibung betrifft, so vermißt man etwas, was man bei dem Dichter der „Ewigkeit", der Millionen auf Millionen Jahre von ihr abzieht um sie dann ungeschmälert zu finden, wol erwarten möchte, nämlich das Element des Kolossalen und Gigautischen. Bon diesem ist in dem Ge¬ dicht sast gar nicht die Rede. Haller beobachtet die Natur der Alpen als Bo¬ taniker, er zerlegt sie in ihre kleinen Erscheinungen; in i.eder ist er tüchtig, sinnig und bedeutend. Einen eigentlich poetischen Eindruck macht das Gedicht keineswegs, namentlich da die Sprache mitunter durch sehr starke Härten entstellt wird; aber es ist eine Lectüre, die sich noch heute lohnt, und aus der det nächstfolgenden Dichter, auch Klopstock und Goethe, sehr viel gelernt habe».

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341793_110893/280>, abgerufen am 24.08.2024.