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Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, I. Semester. I. Band.

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haben oder nicht lesen können. Wehe diesen! Kaum wieder unten ange¬
kommen, werden sie mit einer ohrenzerreißenden Katzenmusik empfangen und
auf das Grausamste verspottet. Nachdem das Pfeifen und Zischen einige
Minuten gedauert, wird die Nuhe wieder hergestellt, und das Ausrufen der
Nummern geht den gewöhnlichen Gang ruhig fort, bis einige fünfzig Zahlen
heraus sind. Jetzt wird das Pul'unum ängstlicher und stürnuscher. Viele
haben dreizehn oder vierzehn ihrer Ziffern schon bezeichnet, die fünfzehnte will
durchaus uicht koniinen; jeder neue ,Ausruf zerstört ihre Hoffnungen; sie wer¬
den vor Ungeduld bald blas;, bald roth, könne" nicht mehr ruhig auf einem
Fleck stehen und fangen an, gegen Himmel und Erde zu fluchen, Da endlich
ertönt ans irgend einem Winkel des Platzes das vernichtende Wort "Tombola!"
Man hebt sich auf die Zehen, Jeder will den Glücklichen sehen. Dieselben
Scenen, wie bei der Cinquina. wiederholen sich in größerem Maßstabe. Der
Rufer hat in der That gewonnen und wird den Uebrige" von der Tribüne
aus vorgestellt und von der neidischen Menge wieder mit einer Katzenmusik
bedacht, die nur dann glimpflich ausfällt, wenn der Betreffende durch en> misera¬
bles Aussehen und zerlumpte Kleidung den Zorn entwaffnet. Ist er ein Sig-
nore, ein Priester, ein Reicher, so geht es ihm übel. Nachdem sich der A^
ger ausgetobt, begibt sich die um ihre Hoffnungen betrogene Volksmasse
allmälig weg. Die Einen gehen in die Kirche, wo sie ihrem Groll in Schimpf-
reden gegen die Madonna Luft machen, andere suchen sich Trost in den Car-
dium oder Zerstreuung beim Pferderennen, welches häufig diesem Schauspiel
folgt. Die italienischen Wettrennen sind von den in England, Frankreich
und Deutschland üblichen ganz und gar verschieden, nicht ein Wettreiten, sondern
ein bloßes Wettlaufen der Pferde. Die Rennbahn wird nur von dem Spa¬
lier geschlossen, welches die Volksmenge -- meist außerhalb der Stadt auf dem
breiten Fahrwege um die Mauer -- bildet. Die Pferde hierzu sind von einer
kleinen Race und oft außerordentlich dürr; der Besitzer, dessen Pferd zuerst die
Tour zurückgelegt hat, gewinnt eine Kleinigkeit, bisweilen auch der des
zweiten. Die kleinen Klepper werden um den Punkt geführt, von wo sie
ablaufen sollen; ihre Bekleidung besteht aus einem Hinterzeuge, an welchem
scharfe Stacheln mit Widerhaken herabhängen; wenn das Thier sich bewegt,
schlägt dieser Apparat wie eine Geißel in das Fell desselben ein und die¬
ses beginnt zu laufen, indem es so dem schmerzenden Instrument entlaufen zu
können meint. Sie werden so lange von Dienern festgehalten, bis ein Böllerschuß
ihnen das Signal zum Aufbruch gibt. Die Rosse fahren vor dem Knall zu¬
sammen und thun, losgelassen, einen ersten gewaltigen Sprung, aus welche'"
sie. von den ihnen unbekannten Stacheln geprickelt, in eine rasende Carriere
-verfalle". Das Publikum macht dnrch Rufen und Beifallklatschen die Gäule
noch scheuer und wüthender, und diese rennen, bis sie vor Ermattung >"ehe


haben oder nicht lesen können. Wehe diesen! Kaum wieder unten ange¬
kommen, werden sie mit einer ohrenzerreißenden Katzenmusik empfangen und
auf das Grausamste verspottet. Nachdem das Pfeifen und Zischen einige
Minuten gedauert, wird die Nuhe wieder hergestellt, und das Ausrufen der
Nummern geht den gewöhnlichen Gang ruhig fort, bis einige fünfzig Zahlen
heraus sind. Jetzt wird das Pul'unum ängstlicher und stürnuscher. Viele
haben dreizehn oder vierzehn ihrer Ziffern schon bezeichnet, die fünfzehnte will
durchaus uicht koniinen; jeder neue ,Ausruf zerstört ihre Hoffnungen; sie wer¬
den vor Ungeduld bald blas;, bald roth, könne» nicht mehr ruhig auf einem
Fleck stehen und fangen an, gegen Himmel und Erde zu fluchen, Da endlich
ertönt ans irgend einem Winkel des Platzes das vernichtende Wort „Tombola!"
Man hebt sich auf die Zehen, Jeder will den Glücklichen sehen. Dieselben
Scenen, wie bei der Cinquina. wiederholen sich in größerem Maßstabe. Der
Rufer hat in der That gewonnen und wird den Uebrige» von der Tribüne
aus vorgestellt und von der neidischen Menge wieder mit einer Katzenmusik
bedacht, die nur dann glimpflich ausfällt, wenn der Betreffende durch en> misera¬
bles Aussehen und zerlumpte Kleidung den Zorn entwaffnet. Ist er ein Sig-
nore, ein Priester, ein Reicher, so geht es ihm übel. Nachdem sich der A^
ger ausgetobt, begibt sich die um ihre Hoffnungen betrogene Volksmasse
allmälig weg. Die Einen gehen in die Kirche, wo sie ihrem Groll in Schimpf-
reden gegen die Madonna Luft machen, andere suchen sich Trost in den Car-
dium oder Zerstreuung beim Pferderennen, welches häufig diesem Schauspiel
folgt. Die italienischen Wettrennen sind von den in England, Frankreich
und Deutschland üblichen ganz und gar verschieden, nicht ein Wettreiten, sondern
ein bloßes Wettlaufen der Pferde. Die Rennbahn wird nur von dem Spa¬
lier geschlossen, welches die Volksmenge — meist außerhalb der Stadt auf dem
breiten Fahrwege um die Mauer — bildet. Die Pferde hierzu sind von einer
kleinen Race und oft außerordentlich dürr; der Besitzer, dessen Pferd zuerst die
Tour zurückgelegt hat, gewinnt eine Kleinigkeit, bisweilen auch der des
zweiten. Die kleinen Klepper werden um den Punkt geführt, von wo sie
ablaufen sollen; ihre Bekleidung besteht aus einem Hinterzeuge, an welchem
scharfe Stacheln mit Widerhaken herabhängen; wenn das Thier sich bewegt,
schlägt dieser Apparat wie eine Geißel in das Fell desselben ein und die¬
ses beginnt zu laufen, indem es so dem schmerzenden Instrument entlaufen zu
können meint. Sie werden so lange von Dienern festgehalten, bis ein Böllerschuß
ihnen das Signal zum Aufbruch gibt. Die Rosse fahren vor dem Knall zu¬
sammen und thun, losgelassen, einen ersten gewaltigen Sprung, aus welche'»
sie. von den ihnen unbekannten Stacheln geprickelt, in eine rasende Carriere
-verfalle». Das Publikum macht dnrch Rufen und Beifallklatschen die Gäule
noch scheuer und wüthender, und diese rennen, bis sie vor Ermattung >»ehe


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[0276] haben oder nicht lesen können. Wehe diesen! Kaum wieder unten ange¬ kommen, werden sie mit einer ohrenzerreißenden Katzenmusik empfangen und auf das Grausamste verspottet. Nachdem das Pfeifen und Zischen einige Minuten gedauert, wird die Nuhe wieder hergestellt, und das Ausrufen der Nummern geht den gewöhnlichen Gang ruhig fort, bis einige fünfzig Zahlen heraus sind. Jetzt wird das Pul'unum ängstlicher und stürnuscher. Viele haben dreizehn oder vierzehn ihrer Ziffern schon bezeichnet, die fünfzehnte will durchaus uicht koniinen; jeder neue ,Ausruf zerstört ihre Hoffnungen; sie wer¬ den vor Ungeduld bald blas;, bald roth, könne» nicht mehr ruhig auf einem Fleck stehen und fangen an, gegen Himmel und Erde zu fluchen, Da endlich ertönt ans irgend einem Winkel des Platzes das vernichtende Wort „Tombola!" Man hebt sich auf die Zehen, Jeder will den Glücklichen sehen. Dieselben Scenen, wie bei der Cinquina. wiederholen sich in größerem Maßstabe. Der Rufer hat in der That gewonnen und wird den Uebrige» von der Tribüne aus vorgestellt und von der neidischen Menge wieder mit einer Katzenmusik bedacht, die nur dann glimpflich ausfällt, wenn der Betreffende durch en> misera¬ bles Aussehen und zerlumpte Kleidung den Zorn entwaffnet. Ist er ein Sig- nore, ein Priester, ein Reicher, so geht es ihm übel. Nachdem sich der A^ ger ausgetobt, begibt sich die um ihre Hoffnungen betrogene Volksmasse allmälig weg. Die Einen gehen in die Kirche, wo sie ihrem Groll in Schimpf- reden gegen die Madonna Luft machen, andere suchen sich Trost in den Car- dium oder Zerstreuung beim Pferderennen, welches häufig diesem Schauspiel folgt. Die italienischen Wettrennen sind von den in England, Frankreich und Deutschland üblichen ganz und gar verschieden, nicht ein Wettreiten, sondern ein bloßes Wettlaufen der Pferde. Die Rennbahn wird nur von dem Spa¬ lier geschlossen, welches die Volksmenge — meist außerhalb der Stadt auf dem breiten Fahrwege um die Mauer — bildet. Die Pferde hierzu sind von einer kleinen Race und oft außerordentlich dürr; der Besitzer, dessen Pferd zuerst die Tour zurückgelegt hat, gewinnt eine Kleinigkeit, bisweilen auch der des zweiten. Die kleinen Klepper werden um den Punkt geführt, von wo sie ablaufen sollen; ihre Bekleidung besteht aus einem Hinterzeuge, an welchem scharfe Stacheln mit Widerhaken herabhängen; wenn das Thier sich bewegt, schlägt dieser Apparat wie eine Geißel in das Fell desselben ein und die¬ ses beginnt zu laufen, indem es so dem schmerzenden Instrument entlaufen zu können meint. Sie werden so lange von Dienern festgehalten, bis ein Böllerschuß ihnen das Signal zum Aufbruch gibt. Die Rosse fahren vor dem Knall zu¬ sammen und thun, losgelassen, einen ersten gewaltigen Sprung, aus welche'» sie. von den ihnen unbekannten Stacheln geprickelt, in eine rasende Carriere -verfalle». Das Publikum macht dnrch Rufen und Beifallklatschen die Gäule noch scheuer und wüthender, und diese rennen, bis sie vor Ermattung >»ehe

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341793_110893/276>, abgerufen am 15.01.2025.