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Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, I. Semester. I. Band.

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die Stadt ein lucrntives Hazardspiel. In der Regel am Kirchweihtage oder
sonst einer passenden Zeit wird eine von der Municipalität ausgesetzte Summe
vermittelst der Tombola in zwei Gewinnen (Cinauina und Auindicinn) aus¬
gespielt. Aus den benachbarten Ortschaften und den Campagnen kommen
unzählige Gaste zu diesem Volksfeste, um Theil zu nehmen, und losen sich
ihre Billets bei den auf offen-r Straße sitzenden Untercollecteurs, wobei sie
nach Träumen oder abergläubischen Berechnungen die fünfzehn Nummern an¬
geben, mit welchen sie ihr Glück zu machen hoffen. Die Einnahme, welche
die Stadt hiervon hat, übersteigt die ausgesetzte Summe oft zehnfach. Nach¬
dem in", ein großer Theil des Bauernvolks die Madonna zum.Beistande
ungerufen hat, wogt die Menge ungeduldig auf und ab, indem sie den
Augenblick des Beginns kaum erwarten kann. Endlich giebt ein Trompe¬
tenstoß vom Municipalitätögebäude her das Zeichen zur Ziehung. Ans dem
Balkon des Hanfes steht eine Urne, in welcher die neunzig Nummern sich
befinden. Es erscheinen die Herren vom Rath, und einer von ihnen ver¬
kündigt nach abermaligem Trompetentufch die Gesetze und Bedingungen der
Tombola; gleichzeitig wird auch ein kleines Kind, als Amor oder Engel
gekleidet, bei der Urne 'sichtbar. In den Händchen desselben ruht das Glück
jedes Einzelnen, denn diese,werden die Nummern aus der Urne ziehen, und
to richten zahlreiche Anwesende ans der Ferne einige freundliche Worte an
dasselbe. Die Menge füllt nicht nur den Platz, sondern auch alle anstoßen¬
den Straßen und Seitengäßebe". Da nur Wenige die auf dem Balkon ge¬
zogenen Nuunnern erblicken tonnen, so sind Ausrufer auf erhabenen Posten
angestellt, welche die unter Trompetengeschmetter gezogenen Zahlen mit lauter
Stimme wiederholen.

Die ersten sechs bis sieben Nummern sind gezogen. Eine jede derselben
wurde mit ängstlicher Spannung erwartet, die Menge war mäuschenstill, bis
sie ausgerufen, von den Ausrufern wiederholt und von jedem Spielenden
uut Geräusch nachgesprochen und. im .Falle sie zu den von ihm gewählten
gehörten, mit Bleistift auf dem Billet angestrichen wurde. Da erschallt plötz¬
lich der Schreckensruf-. Cinauina! und zwar aus mehrern Gegenden zugleich.
sind also einige Anwesende so glücklich, unter den sieben Nummern fünf
"uf ihrem Billet zu haben. Sie sind die ersten Gewinner. Aber sie haben
d'e größte Mühe sich durchzudrängen, denn Jeder will sich an ihnen dafür
Zacher, daß ein Theil seiner Hoffnungen 'geschwunden ist. Man versperrt
ihnen den Platz, knufft sie, ruft ihnen Flüche und Schimpfreden zu, und die
Gendarmerie muß einige Mann detachiren, um ihnen die Passage zu bahnen.

Auf der Tribüne angekommen, nimmt man ihnen ihre Billets ab, um sie
revidiren. und dabei ergiebt sich nicht selten, daß nur einer oder zwei von
>l)nen wirklich Gewinner sind, während die andern entweder sich verhört


Grenzboten I. 1861. 3-1

die Stadt ein lucrntives Hazardspiel. In der Regel am Kirchweihtage oder
sonst einer passenden Zeit wird eine von der Municipalität ausgesetzte Summe
vermittelst der Tombola in zwei Gewinnen (Cinauina und Auindicinn) aus¬
gespielt. Aus den benachbarten Ortschaften und den Campagnen kommen
unzählige Gaste zu diesem Volksfeste, um Theil zu nehmen, und losen sich
ihre Billets bei den auf offen-r Straße sitzenden Untercollecteurs, wobei sie
nach Träumen oder abergläubischen Berechnungen die fünfzehn Nummern an¬
geben, mit welchen sie ihr Glück zu machen hoffen. Die Einnahme, welche
die Stadt hiervon hat, übersteigt die ausgesetzte Summe oft zehnfach. Nach¬
dem in», ein großer Theil des Bauernvolks die Madonna zum.Beistande
ungerufen hat, wogt die Menge ungeduldig auf und ab, indem sie den
Augenblick des Beginns kaum erwarten kann. Endlich giebt ein Trompe¬
tenstoß vom Municipalitätögebäude her das Zeichen zur Ziehung. Ans dem
Balkon des Hanfes steht eine Urne, in welcher die neunzig Nummern sich
befinden. Es erscheinen die Herren vom Rath, und einer von ihnen ver¬
kündigt nach abermaligem Trompetentufch die Gesetze und Bedingungen der
Tombola; gleichzeitig wird auch ein kleines Kind, als Amor oder Engel
gekleidet, bei der Urne 'sichtbar. In den Händchen desselben ruht das Glück
jedes Einzelnen, denn diese,werden die Nummern aus der Urne ziehen, und
to richten zahlreiche Anwesende ans der Ferne einige freundliche Worte an
dasselbe. Die Menge füllt nicht nur den Platz, sondern auch alle anstoßen¬
den Straßen und Seitengäßebe». Da nur Wenige die auf dem Balkon ge¬
zogenen Nuunnern erblicken tonnen, so sind Ausrufer auf erhabenen Posten
angestellt, welche die unter Trompetengeschmetter gezogenen Zahlen mit lauter
Stimme wiederholen.

Die ersten sechs bis sieben Nummern sind gezogen. Eine jede derselben
wurde mit ängstlicher Spannung erwartet, die Menge war mäuschenstill, bis
sie ausgerufen, von den Ausrufern wiederholt und von jedem Spielenden
uut Geräusch nachgesprochen und. im .Falle sie zu den von ihm gewählten
gehörten, mit Bleistift auf dem Billet angestrichen wurde. Da erschallt plötz¬
lich der Schreckensruf-. Cinauina! und zwar aus mehrern Gegenden zugleich.
sind also einige Anwesende so glücklich, unter den sieben Nummern fünf
"uf ihrem Billet zu haben. Sie sind die ersten Gewinner. Aber sie haben
d'e größte Mühe sich durchzudrängen, denn Jeder will sich an ihnen dafür
Zacher, daß ein Theil seiner Hoffnungen 'geschwunden ist. Man versperrt
ihnen den Platz, knufft sie, ruft ihnen Flüche und Schimpfreden zu, und die
Gendarmerie muß einige Mann detachiren, um ihnen die Passage zu bahnen.

Auf der Tribüne angekommen, nimmt man ihnen ihre Billets ab, um sie
revidiren. und dabei ergiebt sich nicht selten, daß nur einer oder zwei von
>l)nen wirklich Gewinner sind, während die andern entweder sich verhört


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[0275] die Stadt ein lucrntives Hazardspiel. In der Regel am Kirchweihtage oder sonst einer passenden Zeit wird eine von der Municipalität ausgesetzte Summe vermittelst der Tombola in zwei Gewinnen (Cinauina und Auindicinn) aus¬ gespielt. Aus den benachbarten Ortschaften und den Campagnen kommen unzählige Gaste zu diesem Volksfeste, um Theil zu nehmen, und losen sich ihre Billets bei den auf offen-r Straße sitzenden Untercollecteurs, wobei sie nach Träumen oder abergläubischen Berechnungen die fünfzehn Nummern an¬ geben, mit welchen sie ihr Glück zu machen hoffen. Die Einnahme, welche die Stadt hiervon hat, übersteigt die ausgesetzte Summe oft zehnfach. Nach¬ dem in», ein großer Theil des Bauernvolks die Madonna zum.Beistande ungerufen hat, wogt die Menge ungeduldig auf und ab, indem sie den Augenblick des Beginns kaum erwarten kann. Endlich giebt ein Trompe¬ tenstoß vom Municipalitätögebäude her das Zeichen zur Ziehung. Ans dem Balkon des Hanfes steht eine Urne, in welcher die neunzig Nummern sich befinden. Es erscheinen die Herren vom Rath, und einer von ihnen ver¬ kündigt nach abermaligem Trompetentufch die Gesetze und Bedingungen der Tombola; gleichzeitig wird auch ein kleines Kind, als Amor oder Engel gekleidet, bei der Urne 'sichtbar. In den Händchen desselben ruht das Glück jedes Einzelnen, denn diese,werden die Nummern aus der Urne ziehen, und to richten zahlreiche Anwesende ans der Ferne einige freundliche Worte an dasselbe. Die Menge füllt nicht nur den Platz, sondern auch alle anstoßen¬ den Straßen und Seitengäßebe». Da nur Wenige die auf dem Balkon ge¬ zogenen Nuunnern erblicken tonnen, so sind Ausrufer auf erhabenen Posten angestellt, welche die unter Trompetengeschmetter gezogenen Zahlen mit lauter Stimme wiederholen. Die ersten sechs bis sieben Nummern sind gezogen. Eine jede derselben wurde mit ängstlicher Spannung erwartet, die Menge war mäuschenstill, bis sie ausgerufen, von den Ausrufern wiederholt und von jedem Spielenden uut Geräusch nachgesprochen und. im .Falle sie zu den von ihm gewählten gehörten, mit Bleistift auf dem Billet angestrichen wurde. Da erschallt plötz¬ lich der Schreckensruf-. Cinauina! und zwar aus mehrern Gegenden zugleich. sind also einige Anwesende so glücklich, unter den sieben Nummern fünf "uf ihrem Billet zu haben. Sie sind die ersten Gewinner. Aber sie haben d'e größte Mühe sich durchzudrängen, denn Jeder will sich an ihnen dafür Zacher, daß ein Theil seiner Hoffnungen 'geschwunden ist. Man versperrt ihnen den Platz, knufft sie, ruft ihnen Flüche und Schimpfreden zu, und die Gendarmerie muß einige Mann detachiren, um ihnen die Passage zu bahnen. Auf der Tribüne angekommen, nimmt man ihnen ihre Billets ab, um sie revidiren. und dabei ergiebt sich nicht selten, daß nur einer oder zwei von >l)nen wirklich Gewinner sind, während die andern entweder sich verhört Grenzboten I. 1861. 3-1

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341793_110893/275>, abgerufen am 16.01.2025.