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Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, I. Semester. I. Band.

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ihren Wünschen, serviren mit ungeheurem Geklirr und Geklapper, tragen das
Geschirr wieder fort und begleiten Alles nut einem Schwall von Redensarten
und einen Geschrei, welches stets aus der Küche beantwortet wird und im
Verein mit dem Geklapper der Tassen und Kaffecbreter ein verworrenes, ohren¬
betäubendes Geräusch verursacht. Wenn wir unsere Zeche berichtigen, so
schreit der Kellner dem Caffetiere ein ganzes Subtractionsexempel entgegen,
sodaß alle Anwesenden genau wissen können, was man verzehrt, mit welcher
Münze man bezahlt hat und wie viel man herausbekommen muß -- eine
uns Nordländern sehr unbequeme Manier. Wir finden den Morgenmokka
nicht besonders, was daher kommt, daß früh kein frischer Kaffee gebraut,
sondern der von gestern übrig gebliebene nur aufgekocht und. mit Milch ge¬
nossen für hinlänglich gut erachtet wird. Wer keinen Kaffee mag. kann Cho-
colade. verschiedene Liqueure. Packwerk aller Art. des Abends Thee und im Som¬
mer hier und da auch Bier bekommen. Sehen wir uns nun ein wenig unsere
Nachbarschaft an. In jener Ecke sitzt eine Anzahl Menschen, größtentheils
noch ungewaschen um einen runden Tisch. Einer unter ihnen hat ein Zeitungs-
blatt in der Hand, und da er zufällig der Einzige ist. welcher lesen kann,
so trägt er mit gedämpfter Stimme die neuesten politischen Nachrichten vor.
Die übrigen sitzen mit offenem Wunde und lauschen mäuschenstill, nur hin
und wieder entfahren ihnen Worte der Verwunderung, des Beifalles oder
Mißfallens. Bisweilen knüpft man über eine Sache ein allgemeines leises Ge¬
spräch an. macht Betrachtungen oder spricht Meinungen aus. Am nächsten
T'sah sitzen zwei Männer in Mänteln und spitzigen Hüten mit breiter Krämpe.
Ihre Mäntel sind aus mehr Farben und Flecken zusammengesetzt als eine
Landkarte Deutschlands. ihre Gesichter sind eingefallen, und es drückt sich aus
ihnen deutlich die Spur des Lasters aus. Sie spielen um ihren Kaffee eine
Partie Briscolo und suchen sich.gegenseitig zu betrügen; stoßen allerlei Flüche
">>s und machen überhaupt im Locale den größten Lärm. Ein zottiger Hund
^egt neben dem einen von ihnen und fängt mit einem andern eine Beißerei
welche, den allgemeinen Rumor vermehrend, unter allen Divans und
Zwischen unsern Beinen ausgefochten wnd. Die Kellner trennen endlich die
wüthenden Bestien, und wir können unser Augenmerk auf einen andern Tisch
Nester. Hier sitzt ein Gensdarm; natürlich ganz allein, denn zu diesem Or¬
gan der Sicherheit, welcher nothwendigerweise ein Spion sein muß. setzt man
s'es nur im höchsten Nothfalle, und selbst den Tisch neben ihm läßt man leer.
Politisirende Gruppe spricht, nachdem er gekommen, leiser oder beginnt ein
^ichgültiges Gespräch, und verliert sich sobald als möglich aus dem Local.
Kommen wir zu Mittag oder zu Abend wieder, so finden wir das Kaffee¬
haus von vielen derselben Gäste besucht. Der Müßiggänger kehrt hier des
Tages wol fünf bis sechs Mal ein. womit übrigens nicht gesagt ist. daß er


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ihren Wünschen, serviren mit ungeheurem Geklirr und Geklapper, tragen das
Geschirr wieder fort und begleiten Alles nut einem Schwall von Redensarten
und einen Geschrei, welches stets aus der Küche beantwortet wird und im
Verein mit dem Geklapper der Tassen und Kaffecbreter ein verworrenes, ohren¬
betäubendes Geräusch verursacht. Wenn wir unsere Zeche berichtigen, so
schreit der Kellner dem Caffetiere ein ganzes Subtractionsexempel entgegen,
sodaß alle Anwesenden genau wissen können, was man verzehrt, mit welcher
Münze man bezahlt hat und wie viel man herausbekommen muß — eine
uns Nordländern sehr unbequeme Manier. Wir finden den Morgenmokka
nicht besonders, was daher kommt, daß früh kein frischer Kaffee gebraut,
sondern der von gestern übrig gebliebene nur aufgekocht und. mit Milch ge¬
nossen für hinlänglich gut erachtet wird. Wer keinen Kaffee mag. kann Cho-
colade. verschiedene Liqueure. Packwerk aller Art. des Abends Thee und im Som¬
mer hier und da auch Bier bekommen. Sehen wir uns nun ein wenig unsere
Nachbarschaft an. In jener Ecke sitzt eine Anzahl Menschen, größtentheils
noch ungewaschen um einen runden Tisch. Einer unter ihnen hat ein Zeitungs-
blatt in der Hand, und da er zufällig der Einzige ist. welcher lesen kann,
so trägt er mit gedämpfter Stimme die neuesten politischen Nachrichten vor.
Die übrigen sitzen mit offenem Wunde und lauschen mäuschenstill, nur hin
und wieder entfahren ihnen Worte der Verwunderung, des Beifalles oder
Mißfallens. Bisweilen knüpft man über eine Sache ein allgemeines leises Ge¬
spräch an. macht Betrachtungen oder spricht Meinungen aus. Am nächsten
T'sah sitzen zwei Männer in Mänteln und spitzigen Hüten mit breiter Krämpe.
Ihre Mäntel sind aus mehr Farben und Flecken zusammengesetzt als eine
Landkarte Deutschlands. ihre Gesichter sind eingefallen, und es drückt sich aus
ihnen deutlich die Spur des Lasters aus. Sie spielen um ihren Kaffee eine
Partie Briscolo und suchen sich.gegenseitig zu betrügen; stoßen allerlei Flüche
">>s und machen überhaupt im Locale den größten Lärm. Ein zottiger Hund
^egt neben dem einen von ihnen und fängt mit einem andern eine Beißerei
welche, den allgemeinen Rumor vermehrend, unter allen Divans und
Zwischen unsern Beinen ausgefochten wnd. Die Kellner trennen endlich die
wüthenden Bestien, und wir können unser Augenmerk auf einen andern Tisch
Nester. Hier sitzt ein Gensdarm; natürlich ganz allein, denn zu diesem Or¬
gan der Sicherheit, welcher nothwendigerweise ein Spion sein muß. setzt man
s'es nur im höchsten Nothfalle, und selbst den Tisch neben ihm läßt man leer.
Politisirende Gruppe spricht, nachdem er gekommen, leiser oder beginnt ein
^ichgültiges Gespräch, und verliert sich sobald als möglich aus dem Local.
Kommen wir zu Mittag oder zu Abend wieder, so finden wir das Kaffee¬
haus von vielen derselben Gäste besucht. Der Müßiggänger kehrt hier des
Tages wol fünf bis sechs Mal ein. womit übrigens nicht gesagt ist. daß er


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[0269] ihren Wünschen, serviren mit ungeheurem Geklirr und Geklapper, tragen das Geschirr wieder fort und begleiten Alles nut einem Schwall von Redensarten und einen Geschrei, welches stets aus der Küche beantwortet wird und im Verein mit dem Geklapper der Tassen und Kaffecbreter ein verworrenes, ohren¬ betäubendes Geräusch verursacht. Wenn wir unsere Zeche berichtigen, so schreit der Kellner dem Caffetiere ein ganzes Subtractionsexempel entgegen, sodaß alle Anwesenden genau wissen können, was man verzehrt, mit welcher Münze man bezahlt hat und wie viel man herausbekommen muß — eine uns Nordländern sehr unbequeme Manier. Wir finden den Morgenmokka nicht besonders, was daher kommt, daß früh kein frischer Kaffee gebraut, sondern der von gestern übrig gebliebene nur aufgekocht und. mit Milch ge¬ nossen für hinlänglich gut erachtet wird. Wer keinen Kaffee mag. kann Cho- colade. verschiedene Liqueure. Packwerk aller Art. des Abends Thee und im Som¬ mer hier und da auch Bier bekommen. Sehen wir uns nun ein wenig unsere Nachbarschaft an. In jener Ecke sitzt eine Anzahl Menschen, größtentheils noch ungewaschen um einen runden Tisch. Einer unter ihnen hat ein Zeitungs- blatt in der Hand, und da er zufällig der Einzige ist. welcher lesen kann, so trägt er mit gedämpfter Stimme die neuesten politischen Nachrichten vor. Die übrigen sitzen mit offenem Wunde und lauschen mäuschenstill, nur hin und wieder entfahren ihnen Worte der Verwunderung, des Beifalles oder Mißfallens. Bisweilen knüpft man über eine Sache ein allgemeines leises Ge¬ spräch an. macht Betrachtungen oder spricht Meinungen aus. Am nächsten T'sah sitzen zwei Männer in Mänteln und spitzigen Hüten mit breiter Krämpe. Ihre Mäntel sind aus mehr Farben und Flecken zusammengesetzt als eine Landkarte Deutschlands. ihre Gesichter sind eingefallen, und es drückt sich aus ihnen deutlich die Spur des Lasters aus. Sie spielen um ihren Kaffee eine Partie Briscolo und suchen sich.gegenseitig zu betrügen; stoßen allerlei Flüche ">>s und machen überhaupt im Locale den größten Lärm. Ein zottiger Hund ^egt neben dem einen von ihnen und fängt mit einem andern eine Beißerei welche, den allgemeinen Rumor vermehrend, unter allen Divans und Zwischen unsern Beinen ausgefochten wnd. Die Kellner trennen endlich die wüthenden Bestien, und wir können unser Augenmerk auf einen andern Tisch Nester. Hier sitzt ein Gensdarm; natürlich ganz allein, denn zu diesem Or¬ gan der Sicherheit, welcher nothwendigerweise ein Spion sein muß. setzt man s'es nur im höchsten Nothfalle, und selbst den Tisch neben ihm läßt man leer. Politisirende Gruppe spricht, nachdem er gekommen, leiser oder beginnt ein ^ichgültiges Gespräch, und verliert sich sobald als möglich aus dem Local. Kommen wir zu Mittag oder zu Abend wieder, so finden wir das Kaffee¬ haus von vielen derselben Gäste besucht. Der Müßiggänger kehrt hier des Tages wol fünf bis sechs Mal ein. womit übrigens nicht gesagt ist. daß er 33*

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341793_110893/269>, abgerufen am 15.01.2025.