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Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, I. Semester. I. Band.

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Von der preußischen Grenze.
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Es ist vielfach der Wunsch ausgesprochen, daß die Landtagsabgeordneten
etwas kräftiger als es in den beiden letzten Sessionen geschehn in das poli¬
tische Leben Preußens eingreifen möchten. Auch wir halten diesen Wunsch für
gerechtfertigt: aber man hat ihn nicht selten durch politische Stichwörter zer¬
setzt. Wenn man z. B. von den Abgeordneten verlangt, sie sollen "entschie¬
dener" auftreten, sie sollten einer "weiter vorgeschrittenen" Ansicht huldigen:
so würden wir unsern Wunsch lieber so formuliren, daß die Parteien sich all-
mälig klar machten, was in ihren Wünschen, Anforderungen, Ueberzeugungen
die Hauptpunkte und was die Nebenpunkte sind, und daß sie sich darnach klar
machten, wo sie in Bezug a-uf die Hauptsache ihre Freunde und wo sie ihre
Feinde zu suchen haben. Drei ehemalige Abgeordnete der "vorgeschrittenen"
Partei, die Herrn Rodbertus, von Berg und Bucher haben ein Programm
veröffentlicht, welches bei allen Blättern unserer Farbe den Eindruck gemacht
hat, daß sie entschieden nicht zu uns gehören. Wenn sie auch dagegen pro-
testiren würden, Gesinnungsgenossen des Herrn von Blankenburg zu sein,
so müssen wir sie doch unter den gegenwärtigen Umständen vom praktischen
Standpunkt als unsere Gegner betrachten. Denn der praktische Politiker wirkt
nicht für das kommende Jahrhundert, sondern für heute und morgen;
es kommt bei seinen Beschlüssen nicht daraus an, aus welcher Metaphysik
heraus er seine Resultate gewonnen hat, sondern was diese Resultate sind.
Ob man durch Grundsätze der aristokratischen oder der demokratischen Meta¬
physik zu der Ueberzeugung gekommen ist, die gegenwärtige Verfassung Deutsch¬
lands zu conserviren. das ist einerlei: sobald man jene Ueberzeugung hat,
gehört man zur conservativen oder reaktionären Partei.

Wenn man wünscht, in der nächsten Sitzung mehr Männer von "vor¬
geschrittener" Ansicht im Landtag zu haben, so muß man sich immer fragen:
wie denken diese vorgeschrittenen Männer über die Hauptpunkte, auf die es
jetzt ankommt? -- So haben wir z. B. aus dem Programm, welches der
Abgeordnete Waldeck seinen Wählern eingeschickt hat, mit Vergnügen gesehen,
daß er für den Augenblick über diese Hauptpunkte denkt wie wir. -- Auf die
politischen Ueberzeugungen eines andern Abgeordneten müssen wir heute die
Aufmerksamkeit hinlenken.

Professor Gneist hat ein Werk geschrieben, das nicht blos seinem.Namen,
sondern der deutschen Wissenschaft Ehre macht. Er hat. wo er sich sonst ver¬
nehmen ließ, immer jene Achtung erzwungen, die man einem Mann von Geist
auch da nicht versagt, wo man von vornherein entgegengesetzter Ansicht ist. Er


Von der preußischen Grenze.
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Es ist vielfach der Wunsch ausgesprochen, daß die Landtagsabgeordneten
etwas kräftiger als es in den beiden letzten Sessionen geschehn in das poli¬
tische Leben Preußens eingreifen möchten. Auch wir halten diesen Wunsch für
gerechtfertigt: aber man hat ihn nicht selten durch politische Stichwörter zer¬
setzt. Wenn man z. B. von den Abgeordneten verlangt, sie sollen „entschie¬
dener" auftreten, sie sollten einer „weiter vorgeschrittenen" Ansicht huldigen:
so würden wir unsern Wunsch lieber so formuliren, daß die Parteien sich all-
mälig klar machten, was in ihren Wünschen, Anforderungen, Ueberzeugungen
die Hauptpunkte und was die Nebenpunkte sind, und daß sie sich darnach klar
machten, wo sie in Bezug a-uf die Hauptsache ihre Freunde und wo sie ihre
Feinde zu suchen haben. Drei ehemalige Abgeordnete der „vorgeschrittenen"
Partei, die Herrn Rodbertus, von Berg und Bucher haben ein Programm
veröffentlicht, welches bei allen Blättern unserer Farbe den Eindruck gemacht
hat, daß sie entschieden nicht zu uns gehören. Wenn sie auch dagegen pro-
testiren würden, Gesinnungsgenossen des Herrn von Blankenburg zu sein,
so müssen wir sie doch unter den gegenwärtigen Umständen vom praktischen
Standpunkt als unsere Gegner betrachten. Denn der praktische Politiker wirkt
nicht für das kommende Jahrhundert, sondern für heute und morgen;
es kommt bei seinen Beschlüssen nicht daraus an, aus welcher Metaphysik
heraus er seine Resultate gewonnen hat, sondern was diese Resultate sind.
Ob man durch Grundsätze der aristokratischen oder der demokratischen Meta¬
physik zu der Ueberzeugung gekommen ist, die gegenwärtige Verfassung Deutsch¬
lands zu conserviren. das ist einerlei: sobald man jene Ueberzeugung hat,
gehört man zur conservativen oder reaktionären Partei.

Wenn man wünscht, in der nächsten Sitzung mehr Männer von „vor¬
geschrittener" Ansicht im Landtag zu haben, so muß man sich immer fragen:
wie denken diese vorgeschrittenen Männer über die Hauptpunkte, auf die es
jetzt ankommt? — So haben wir z. B. aus dem Programm, welches der
Abgeordnete Waldeck seinen Wählern eingeschickt hat, mit Vergnügen gesehen,
daß er für den Augenblick über diese Hauptpunkte denkt wie wir. — Auf die
politischen Ueberzeugungen eines andern Abgeordneten müssen wir heute die
Aufmerksamkeit hinlenken.

Professor Gneist hat ein Werk geschrieben, das nicht blos seinem.Namen,
sondern der deutschen Wissenschaft Ehre macht. Er hat. wo er sich sonst ver¬
nehmen ließ, immer jene Achtung erzwungen, die man einem Mann von Geist
auch da nicht versagt, wo man von vornherein entgegengesetzter Ansicht ist. Er


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[0198] Von der preußischen Grenze. ' .... Es ist vielfach der Wunsch ausgesprochen, daß die Landtagsabgeordneten etwas kräftiger als es in den beiden letzten Sessionen geschehn in das poli¬ tische Leben Preußens eingreifen möchten. Auch wir halten diesen Wunsch für gerechtfertigt: aber man hat ihn nicht selten durch politische Stichwörter zer¬ setzt. Wenn man z. B. von den Abgeordneten verlangt, sie sollen „entschie¬ dener" auftreten, sie sollten einer „weiter vorgeschrittenen" Ansicht huldigen: so würden wir unsern Wunsch lieber so formuliren, daß die Parteien sich all- mälig klar machten, was in ihren Wünschen, Anforderungen, Ueberzeugungen die Hauptpunkte und was die Nebenpunkte sind, und daß sie sich darnach klar machten, wo sie in Bezug a-uf die Hauptsache ihre Freunde und wo sie ihre Feinde zu suchen haben. Drei ehemalige Abgeordnete der „vorgeschrittenen" Partei, die Herrn Rodbertus, von Berg und Bucher haben ein Programm veröffentlicht, welches bei allen Blättern unserer Farbe den Eindruck gemacht hat, daß sie entschieden nicht zu uns gehören. Wenn sie auch dagegen pro- testiren würden, Gesinnungsgenossen des Herrn von Blankenburg zu sein, so müssen wir sie doch unter den gegenwärtigen Umständen vom praktischen Standpunkt als unsere Gegner betrachten. Denn der praktische Politiker wirkt nicht für das kommende Jahrhundert, sondern für heute und morgen; es kommt bei seinen Beschlüssen nicht daraus an, aus welcher Metaphysik heraus er seine Resultate gewonnen hat, sondern was diese Resultate sind. Ob man durch Grundsätze der aristokratischen oder der demokratischen Meta¬ physik zu der Ueberzeugung gekommen ist, die gegenwärtige Verfassung Deutsch¬ lands zu conserviren. das ist einerlei: sobald man jene Ueberzeugung hat, gehört man zur conservativen oder reaktionären Partei. Wenn man wünscht, in der nächsten Sitzung mehr Männer von „vor¬ geschrittener" Ansicht im Landtag zu haben, so muß man sich immer fragen: wie denken diese vorgeschrittenen Männer über die Hauptpunkte, auf die es jetzt ankommt? — So haben wir z. B. aus dem Programm, welches der Abgeordnete Waldeck seinen Wählern eingeschickt hat, mit Vergnügen gesehen, daß er für den Augenblick über diese Hauptpunkte denkt wie wir. — Auf die politischen Ueberzeugungen eines andern Abgeordneten müssen wir heute die Aufmerksamkeit hinlenken. Professor Gneist hat ein Werk geschrieben, das nicht blos seinem.Namen, sondern der deutschen Wissenschaft Ehre macht. Er hat. wo er sich sonst ver¬ nehmen ließ, immer jene Achtung erzwungen, die man einem Mann von Geist auch da nicht versagt, wo man von vornherein entgegengesetzter Ansicht ist. Er

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341793_110893/198>, abgerufen am 25.08.2024.