mag und Religion bei ihnen nicht voneinander getrennt find. Die Zeit der Zusammenkunft ist die zweite Stunde nach Sonnenuntergang, die Dauer der Versammlung zwei bis drei Stunden. Man hat sie im Verdacht gehabt, daß sie bei diesen Zusammenkünften, die sehr geheim gehalten werden, unzüchtige Orgien hielten (wie sie bei unsern Muckern und in den Scheunen, wo die katho¬ lischen Wallfahrer rasten, in der Finsterniß vorkommen), unser Berichterstatter sagt jedoch, daß diese Behauptung alles Grundes entbehre. Im Gegentheil soll es in dem Chalwe sehr ehrbar zugehen, und zwischen den Frauen und Männern eine Scheidewand von Holz oder Zeug gezogen sein, die jene vor den Blicken dieser verbirgt, ihnen aber doch gestattet, die gehaltenen Reden zu hören.
In dem größten Orte jedes Bezirks ist eine Kreisversammlung, an welche die in den Versammlungen der einzelnen Dörfer gefaßten Beschlüsse gelangen. Diese Kreisversammlungen senden dann wieder ihre Beschlüsse an die General¬ versammlung in dem Orte B'aklin auf dem Libanon. Dies war der befestigte Sitz der Regierung des Libanon, bevor in diesem Jahrhundert Dejr El Ka- mar (das "Mondklostcr") als Metropole des Gebirgs erbaut wurde. Jede Ortsversammlung schickt aus ihrer Mitte einen Vertreter zur Kreisversammlung, die in jeder Donnerstagsnacht zusammentritt. Derselbe, der zu den "Ausgezeich¬ neten." dem höchsten Grade der Wissenden, gehören, muß. kehrt, sobald die Berathung geschlossen ist, heim, um darüber zu berichten. Ebenso senden die Kreisversammlungen aus ihrer Mitte einen Vertrauten zur Generalversamm¬ lung nach B'aklin, und zwar jeden Donnerstag ein anderen, dahin ab.
Die Versammlungen beginnen damit, daß man die von den Ortsbewoh¬ nern überbrachten Nachrichten sowie die Meldungen der aus den Kreis¬ versammlungen und von B'aklin zurückgekehrten Vertraute" erwägt, die darin enthaltenen Neuigkeiten über Volk, Beamte. Gouverneure u. s. w. bespricht und darauf hin Beschlüsse vorbereitet. Hierauf liest einer, der eine schöne stimme hat, etwas aus den sechs heiligen Büchern vor und zwar mit Mo¬ dulation und Gesang, wie die Mohammedaner beim Vorlesen des Koran zu thun gewöhnt sind. Dann folgt das Absingen einiger ihrer religiösen Ge¬ dichte, die sie "Heereslieder" nennen, und welche das sogleich näher zu schil¬ dernde große Drama des jüngsten Tages, das Erscheinen der fünf "End¬ punkte" mit dem tapfern Heer aus China und die Vertilgung der Christen und Mohammedaner beschreiben. Endlich folgt eine Art Communion. Es werden Früchte, je nach der Jahreszeit, aufgetragen oder ein Kuchen von ge¬ trockneten Feigen oder Rosinen mit Wallnüssen und gerösteten Kichererbsen -- ^n Mahl, das von dem Depositalvermögen der Versammlung bezahlt wird. Nachdem die Anwesenden davon gegessen, wird der erste Theil der Sitzung Schlossen. Die Frauen mit der Mehrzahl der Männer entfernen sich, und
mag und Religion bei ihnen nicht voneinander getrennt find. Die Zeit der Zusammenkunft ist die zweite Stunde nach Sonnenuntergang, die Dauer der Versammlung zwei bis drei Stunden. Man hat sie im Verdacht gehabt, daß sie bei diesen Zusammenkünften, die sehr geheim gehalten werden, unzüchtige Orgien hielten (wie sie bei unsern Muckern und in den Scheunen, wo die katho¬ lischen Wallfahrer rasten, in der Finsterniß vorkommen), unser Berichterstatter sagt jedoch, daß diese Behauptung alles Grundes entbehre. Im Gegentheil soll es in dem Chalwe sehr ehrbar zugehen, und zwischen den Frauen und Männern eine Scheidewand von Holz oder Zeug gezogen sein, die jene vor den Blicken dieser verbirgt, ihnen aber doch gestattet, die gehaltenen Reden zu hören.
In dem größten Orte jedes Bezirks ist eine Kreisversammlung, an welche die in den Versammlungen der einzelnen Dörfer gefaßten Beschlüsse gelangen. Diese Kreisversammlungen senden dann wieder ihre Beschlüsse an die General¬ versammlung in dem Orte B'aklin auf dem Libanon. Dies war der befestigte Sitz der Regierung des Libanon, bevor in diesem Jahrhundert Dejr El Ka- mar (das „Mondklostcr") als Metropole des Gebirgs erbaut wurde. Jede Ortsversammlung schickt aus ihrer Mitte einen Vertreter zur Kreisversammlung, die in jeder Donnerstagsnacht zusammentritt. Derselbe, der zu den „Ausgezeich¬ neten." dem höchsten Grade der Wissenden, gehören, muß. kehrt, sobald die Berathung geschlossen ist, heim, um darüber zu berichten. Ebenso senden die Kreisversammlungen aus ihrer Mitte einen Vertrauten zur Generalversamm¬ lung nach B'aklin, und zwar jeden Donnerstag ein anderen, dahin ab.
Die Versammlungen beginnen damit, daß man die von den Ortsbewoh¬ nern überbrachten Nachrichten sowie die Meldungen der aus den Kreis¬ versammlungen und von B'aklin zurückgekehrten Vertraute» erwägt, die darin enthaltenen Neuigkeiten über Volk, Beamte. Gouverneure u. s. w. bespricht und darauf hin Beschlüsse vorbereitet. Hierauf liest einer, der eine schöne stimme hat, etwas aus den sechs heiligen Büchern vor und zwar mit Mo¬ dulation und Gesang, wie die Mohammedaner beim Vorlesen des Koran zu thun gewöhnt sind. Dann folgt das Absingen einiger ihrer religiösen Ge¬ dichte, die sie „Heereslieder" nennen, und welche das sogleich näher zu schil¬ dernde große Drama des jüngsten Tages, das Erscheinen der fünf „End¬ punkte" mit dem tapfern Heer aus China und die Vertilgung der Christen und Mohammedaner beschreiben. Endlich folgt eine Art Communion. Es werden Früchte, je nach der Jahreszeit, aufgetragen oder ein Kuchen von ge¬ trockneten Feigen oder Rosinen mit Wallnüssen und gerösteten Kichererbsen — ^n Mahl, das von dem Depositalvermögen der Versammlung bezahlt wird. Nachdem die Anwesenden davon gegessen, wird der erste Theil der Sitzung Schlossen. Die Frauen mit der Mehrzahl der Männer entfernen sich, und
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mag und Religion bei ihnen nicht voneinander getrennt find. Die Zeit der
Zusammenkunft ist die zweite Stunde nach Sonnenuntergang, die Dauer der
Versammlung zwei bis drei Stunden. Man hat sie im Verdacht gehabt, daß
sie bei diesen Zusammenkünften, die sehr geheim gehalten werden, unzüchtige
Orgien hielten (wie sie bei unsern Muckern und in den Scheunen, wo die katho¬
lischen Wallfahrer rasten, in der Finsterniß vorkommen), unser Berichterstatter
sagt jedoch, daß diese Behauptung alles Grundes entbehre. Im Gegentheil
soll es in dem Chalwe sehr ehrbar zugehen, und zwischen den Frauen und
Männern eine Scheidewand von Holz oder Zeug gezogen sein, die jene vor
den Blicken dieser verbirgt, ihnen aber doch gestattet, die gehaltenen Reden
zu hören.
In dem größten Orte jedes Bezirks ist eine Kreisversammlung, an welche
die in den Versammlungen der einzelnen Dörfer gefaßten Beschlüsse gelangen.
Diese Kreisversammlungen senden dann wieder ihre Beschlüsse an die General¬
versammlung in dem Orte B'aklin auf dem Libanon. Dies war der befestigte
Sitz der Regierung des Libanon, bevor in diesem Jahrhundert Dejr El Ka-
mar (das „Mondklostcr") als Metropole des Gebirgs erbaut wurde. Jede
Ortsversammlung schickt aus ihrer Mitte einen Vertreter zur Kreisversammlung,
die in jeder Donnerstagsnacht zusammentritt. Derselbe, der zu den „Ausgezeich¬
neten." dem höchsten Grade der Wissenden, gehören, muß. kehrt, sobald die
Berathung geschlossen ist, heim, um darüber zu berichten. Ebenso senden die
Kreisversammlungen aus ihrer Mitte einen Vertrauten zur Generalversamm¬
lung nach B'aklin, und zwar jeden Donnerstag ein anderen, dahin ab.
Die Versammlungen beginnen damit, daß man die von den Ortsbewoh¬
nern überbrachten Nachrichten sowie die Meldungen der aus den Kreis¬
versammlungen und von B'aklin zurückgekehrten Vertraute» erwägt, die darin
enthaltenen Neuigkeiten über Volk, Beamte. Gouverneure u. s. w. bespricht
und darauf hin Beschlüsse vorbereitet. Hierauf liest einer, der eine schöne
stimme hat, etwas aus den sechs heiligen Büchern vor und zwar mit Mo¬
dulation und Gesang, wie die Mohammedaner beim Vorlesen des Koran zu
thun gewöhnt sind. Dann folgt das Absingen einiger ihrer religiösen Ge¬
dichte, die sie „Heereslieder" nennen, und welche das sogleich näher zu schil¬
dernde große Drama des jüngsten Tages, das Erscheinen der fünf „End¬
punkte" mit dem tapfern Heer aus China und die Vertilgung der Christen
und Mohammedaner beschreiben. Endlich folgt eine Art Communion. Es
werden Früchte, je nach der Jahreszeit, aufgetragen oder ein Kuchen von ge¬
trockneten Feigen oder Rosinen mit Wallnüssen und gerösteten Kichererbsen —
^n Mahl, das von dem Depositalvermögen der Versammlung bezahlt wird.
Nachdem die Anwesenden davon gegessen, wird der erste Theil der Sitzung
Schlossen. Die Frauen mit der Mehrzahl der Männer entfernen sich, und
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Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341793_110893/185>, abgerufen am 24.01.2025.
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