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Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, I. Semester. I. Band.

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verzichteten denn Viele auf ihre, meist vortheilhaften Privatanstellungen und
traten freudig als Offiziere in die Armee oder zu den Freicorps ein, wenn
auch mit niederem Range, als sie ehedem bekleidet hatten. Die Wiener Frei¬
willigen langten kurz nach der Schlacht bei Solferino in Verona an, und ein
Bataillon derselben nahm noch an einer Expedition gegen die Franzosen
Theil. Die Auflösung begann im September und es wurden nun alle neu
eingetretenen Offiziere mit einem Zehrgelde von ungefähr 100 Gulden ohne
Weiteres entlassen und ihnen zugleich bedeutet, ihre Uniform und ihren Titel
sofort abzulegen. In ihren Hoffnungen so unerwartet und bitter getäuscht,
fügten sich diese Veteranen (denn die Meisten hatten schon früher zehn bis
fünfzehn Jahre gedient) gleichwohl ohne Murren in ihr Schicksal und eilten
nur, ihre Heimath zu erreichen, um ihre früheren Anstellungen zu erlangen,
was damals auch fast allen noch gelungen wäre. Da erschien aber ein kaiser¬
licher Befehl des Inhalts, "daß alle diese Offiziere wieder in die Armee ein¬
gereiht werden sollten, wofern keine begründete Einwendung gegen sie zu
machen sei."

Darauf reichten die. welche sich im Besitze einer guten Conduite wußten,
ihre Gesuche ein und opferten in dem monatelangen Zeitraume, welcher bis
zur Entscheidung verfloß, willig ihre letzte Habe auf, indem sie die sichere
Hoffnung auf die Erreichung ihres Zieles tröstete. Nach beinahe einem Vier¬
teljahr aber wurden fast alle unter den nichtigsten Verwänden abgewiesen und
mußten nun zu ihrem noch größeren Schrecken erfahren, daß mittlerweile auch
ihre Privatanstellungen an Andere vergeben worden waren. So wurden mit
einem Federstriche mehrere hundert wanke-rc Staatsdiener brodlos und damit
zu Unzufriednen gemacht. Sollte die Regierung jetzt wieder Freicorps errichten
wollen, man würde trotz der lockendsten Versprechungen schwerlich ein einziges
Bataillon zusammenbringen; man müßte denn dasselbe aus Vagabunden und
den Bewohnern der Strafhäuser recrutiren. Denn auch die Mannschaft war
in ihren Erwartungen vollständig getäuscht worden. Man wollte bei der Auf¬
lösung der Wiener Freicorps die Leute überreden, in die Jägertruppe ein¬
zutreten, und von 1300 Mann meldeten sich nur 43 (von denen zudem die
Hälfte untauglich waren) zur Annahme einer ein- bis zweijährigen Dienstzeit!

Nur bei der Reiterei und namentlich bei den freiwilligen Husaren und
Uhlanen erhielt sich ein besserer Geist und guter Wille.

Daß man sich aber die bitteren Erfahrungen des letzten Feldzuges nicht
besonders zu Herzen genommen hat, zeigt sich noch jetzt bei verschiedenen Ge¬
legenheiten. So will man jetzt, wo der Ausbruch des Krieges in wenigen
Wochen zu erwarten ist, die Verpflegsbeamten und Kriegscommissäre reorga
nisircn und ein ganz neues Verpflegungswesen einführen. Wer aber weiß,
wie schwierig jede solche Aenderung in einer Zeit ist, wo selbst die mit dem


verzichteten denn Viele auf ihre, meist vortheilhaften Privatanstellungen und
traten freudig als Offiziere in die Armee oder zu den Freicorps ein, wenn
auch mit niederem Range, als sie ehedem bekleidet hatten. Die Wiener Frei¬
willigen langten kurz nach der Schlacht bei Solferino in Verona an, und ein
Bataillon derselben nahm noch an einer Expedition gegen die Franzosen
Theil. Die Auflösung begann im September und es wurden nun alle neu
eingetretenen Offiziere mit einem Zehrgelde von ungefähr 100 Gulden ohne
Weiteres entlassen und ihnen zugleich bedeutet, ihre Uniform und ihren Titel
sofort abzulegen. In ihren Hoffnungen so unerwartet und bitter getäuscht,
fügten sich diese Veteranen (denn die Meisten hatten schon früher zehn bis
fünfzehn Jahre gedient) gleichwohl ohne Murren in ihr Schicksal und eilten
nur, ihre Heimath zu erreichen, um ihre früheren Anstellungen zu erlangen,
was damals auch fast allen noch gelungen wäre. Da erschien aber ein kaiser¬
licher Befehl des Inhalts, „daß alle diese Offiziere wieder in die Armee ein¬
gereiht werden sollten, wofern keine begründete Einwendung gegen sie zu
machen sei."

Darauf reichten die. welche sich im Besitze einer guten Conduite wußten,
ihre Gesuche ein und opferten in dem monatelangen Zeitraume, welcher bis
zur Entscheidung verfloß, willig ihre letzte Habe auf, indem sie die sichere
Hoffnung auf die Erreichung ihres Zieles tröstete. Nach beinahe einem Vier¬
teljahr aber wurden fast alle unter den nichtigsten Verwänden abgewiesen und
mußten nun zu ihrem noch größeren Schrecken erfahren, daß mittlerweile auch
ihre Privatanstellungen an Andere vergeben worden waren. So wurden mit
einem Federstriche mehrere hundert wanke-rc Staatsdiener brodlos und damit
zu Unzufriednen gemacht. Sollte die Regierung jetzt wieder Freicorps errichten
wollen, man würde trotz der lockendsten Versprechungen schwerlich ein einziges
Bataillon zusammenbringen; man müßte denn dasselbe aus Vagabunden und
den Bewohnern der Strafhäuser recrutiren. Denn auch die Mannschaft war
in ihren Erwartungen vollständig getäuscht worden. Man wollte bei der Auf¬
lösung der Wiener Freicorps die Leute überreden, in die Jägertruppe ein¬
zutreten, und von 1300 Mann meldeten sich nur 43 (von denen zudem die
Hälfte untauglich waren) zur Annahme einer ein- bis zweijährigen Dienstzeit!

Nur bei der Reiterei und namentlich bei den freiwilligen Husaren und
Uhlanen erhielt sich ein besserer Geist und guter Wille.

Daß man sich aber die bitteren Erfahrungen des letzten Feldzuges nicht
besonders zu Herzen genommen hat, zeigt sich noch jetzt bei verschiedenen Ge¬
legenheiten. So will man jetzt, wo der Ausbruch des Krieges in wenigen
Wochen zu erwarten ist, die Verpflegsbeamten und Kriegscommissäre reorga
nisircn und ein ganz neues Verpflegungswesen einführen. Wer aber weiß,
wie schwierig jede solche Aenderung in einer Zeit ist, wo selbst die mit dem


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341793_110893/182>, abgerufen am 15.01.2025.