Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, I. Semester. I. Band.allgemeinen Freudentaumel vergessen worden. Nun aber wurde die Schuld des Allerdings wurden die meisten Truppen reorganisier und hiebei mehrere Um dieselben möglichst bald los zu werden, wendete man verschiedene Am ärgsten aber verfuhr man mit den Freiwilligen. In dem Aufrufe > 22*
allgemeinen Freudentaumel vergessen worden. Nun aber wurde die Schuld des Allerdings wurden die meisten Truppen reorganisier und hiebei mehrere Um dieselben möglichst bald los zu werden, wendete man verschiedene Am ärgsten aber verfuhr man mit den Freiwilligen. In dem Aufrufe > 22*
<TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0181" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/111075"/> <p xml:id="ID_551" prev="#ID_550"> allgemeinen Freudentaumel vergessen worden. Nun aber wurde die Schuld des<lb/> ganzen Unheils überall — nur nicht dort, wo sie wirklich lag — aufgesucht. Zuerst<lb/> wurden zahlreiche Pensionirungcn eingeleitet. Wer während seiner ganzen<lb/> Dienstzeit nur das Geringste gethan, was mißliebig gedeutet werden konnte,<lb/> war sicher, aus die Liste der Auszumusternden gesetzt zu werden, wofern er<lb/> nicht besonders einflußreiche Gönner besaß. Das Avancement in den untern<lb/> Stellen wurde gänzlich eingestellt, wogegen bei der Generalität, beim General-<lb/> stabe und beim Adjntantencorps ungeachtet vieler Ueberzähligen fortwährend<lb/> Beförderungen stattfanden. Die Befehle über ordonanzmäßigen Anzug, über<lb/> Ehrenbezeigungen u. tgi. wurden verschärft und die Parade- und Exerzirplätze<lb/> nunmehr höchstens zur Nachtzeit leer. Die Insolenz der kleinen Tyrannen<lb/> wuchs zu einer früher kaum geahnten Höhe. Da der Finanzminister seine<lb/> Klagen dringender als je erhob, so suchte man um jeden Preis überall zu<lb/> sparen und beging Ungereimtheiten und Ungerechtigkeiten in Menge. Von allen<lb/> Gebühren, besonders aber von jenen der Subalternoffizicre, Unteroffiziere und<lb/> selbst der Soldaten wurde etwas abgezwackt, und sogar die ohnehin magere<lb/> Kriegsgebühr auf eine bedeutend geringere Ration herabgesetzt.</p><lb/> <p xml:id="ID_552"> Allerdings wurden die meisten Truppen reorganisier und hiebei mehrere<lb/> der frühern Einrichtung anklebende Fehler verbessert; aber die Hast und ander¬<lb/> seits die Halbheit, womit diese Reformen durchgeführt wurden, sowie der<lb/> häufig angefügte Beisatz „Provisorium", erstickten im Voraus das Vertrauen.<lb/> Durch diese Reorganisation sielen sehr viele Offiziere als überzählig aus.</p><lb/> <p xml:id="ID_553"> Um dieselben möglichst bald los zu werden, wendete man verschiedene<lb/> Mittel an. Den meisten Erfolg hatte die Bewilligung des Auftrittes mit<lb/> einer zweijährigen Gageabfertigung. Diese Maßregel, in gewöhnlichen Zeiten<lb/> sehr billig ja gerecht, war in diesem Zeitpunkte durchaus inhuman, indem<lb/> Viele, durch augenblickliche Unzufriedenheit, durch die schlechten Avancements¬<lb/> verhältnisse und häusig auch durch Geldverlegenheiten aufgeregt, sich durch<lb/> die geringe Summe von 800—1000 Gulden blenden ließen und, ohne eine<lb/> gesicherte Zukunft vor sich zu haben, den Abschied forderten. Mehr als 800<lb/> Offiziere verließen in der kurzen Zeit von sechs Monaten das Heer. Als man<lb/> nun aber die Masse der Ueberzähligen hinlänglich gelichtet glaubte, wurde<lb/> diese Begünstigung sofort aufgehoben und nunmehr nur der Austritt ohne<lb/> Entschädigung gestattet.</p><lb/> <p xml:id="ID_554" next="#ID_555"> Am ärgsten aber verfuhr man mit den Freiwilligen. In dem Aufrufe<lb/> Zur Errichtung von Freicorps hieß es ausdrücklich, „daß allen Offizieren ihre<lb/> Eharge unter allen Umständen garantirt werde und daß der Kaiser sich vor¬<lb/> behalte, bei Auflösung der Freicorps über die Eintheilung der Offiziere zu<lb/> verfügen." Der letztere Beisatz wurde Vielen erst nachträglich bekannt gemacht,<lb/> dabei jedoch versichert, daß von einer Entlassung keine Rede sein könne. So</p><lb/> <fw type="sig" place="bottom"> > 22*</fw><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0181]
allgemeinen Freudentaumel vergessen worden. Nun aber wurde die Schuld des
ganzen Unheils überall — nur nicht dort, wo sie wirklich lag — aufgesucht. Zuerst
wurden zahlreiche Pensionirungcn eingeleitet. Wer während seiner ganzen
Dienstzeit nur das Geringste gethan, was mißliebig gedeutet werden konnte,
war sicher, aus die Liste der Auszumusternden gesetzt zu werden, wofern er
nicht besonders einflußreiche Gönner besaß. Das Avancement in den untern
Stellen wurde gänzlich eingestellt, wogegen bei der Generalität, beim General-
stabe und beim Adjntantencorps ungeachtet vieler Ueberzähligen fortwährend
Beförderungen stattfanden. Die Befehle über ordonanzmäßigen Anzug, über
Ehrenbezeigungen u. tgi. wurden verschärft und die Parade- und Exerzirplätze
nunmehr höchstens zur Nachtzeit leer. Die Insolenz der kleinen Tyrannen
wuchs zu einer früher kaum geahnten Höhe. Da der Finanzminister seine
Klagen dringender als je erhob, so suchte man um jeden Preis überall zu
sparen und beging Ungereimtheiten und Ungerechtigkeiten in Menge. Von allen
Gebühren, besonders aber von jenen der Subalternoffizicre, Unteroffiziere und
selbst der Soldaten wurde etwas abgezwackt, und sogar die ohnehin magere
Kriegsgebühr auf eine bedeutend geringere Ration herabgesetzt.
Allerdings wurden die meisten Truppen reorganisier und hiebei mehrere
der frühern Einrichtung anklebende Fehler verbessert; aber die Hast und ander¬
seits die Halbheit, womit diese Reformen durchgeführt wurden, sowie der
häufig angefügte Beisatz „Provisorium", erstickten im Voraus das Vertrauen.
Durch diese Reorganisation sielen sehr viele Offiziere als überzählig aus.
Um dieselben möglichst bald los zu werden, wendete man verschiedene
Mittel an. Den meisten Erfolg hatte die Bewilligung des Auftrittes mit
einer zweijährigen Gageabfertigung. Diese Maßregel, in gewöhnlichen Zeiten
sehr billig ja gerecht, war in diesem Zeitpunkte durchaus inhuman, indem
Viele, durch augenblickliche Unzufriedenheit, durch die schlechten Avancements¬
verhältnisse und häusig auch durch Geldverlegenheiten aufgeregt, sich durch
die geringe Summe von 800—1000 Gulden blenden ließen und, ohne eine
gesicherte Zukunft vor sich zu haben, den Abschied forderten. Mehr als 800
Offiziere verließen in der kurzen Zeit von sechs Monaten das Heer. Als man
nun aber die Masse der Ueberzähligen hinlänglich gelichtet glaubte, wurde
diese Begünstigung sofort aufgehoben und nunmehr nur der Austritt ohne
Entschädigung gestattet.
Am ärgsten aber verfuhr man mit den Freiwilligen. In dem Aufrufe
Zur Errichtung von Freicorps hieß es ausdrücklich, „daß allen Offizieren ihre
Eharge unter allen Umständen garantirt werde und daß der Kaiser sich vor¬
behalte, bei Auflösung der Freicorps über die Eintheilung der Offiziere zu
verfügen." Der letztere Beisatz wurde Vielen erst nachträglich bekannt gemacht,
dabei jedoch versichert, daß von einer Entlassung keine Rede sein könne. So
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