Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, I. Semester. I. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

chen man die Armee durch die verschiedensten Mittel zu enthnsiasmiren suchte.
Demungeachtet hat man seither fünf Eisenbahngesellschaften und vielen an¬
dern industriellen Unternehmungen die Concession ertheilt, ohne jenen Zusatz
zu berücksichtigen; ja man sicherte bei dem Verkaufe der Staatsbahnen nicht
einmal die Stellung der dort bereits bediensteten ehemaligen Militärs. So
trachtet Jeder, seine gesetzliche Dienstzeit, so gut als es eben gehen mag,
hinzubringen und wo möglich durch längeren Urlaub oder durch die Erdich¬
tung eines körperlichen Leidens, auch wol durch Selbstbeschädigung abzukürzen.
Nie gab es so viele Selbstverstümmler als jetzt!

Man könnte dagegen einwenden, daß sich wol in keinem Staate Viele
finden würden, denen das Loos eines gemeinen Soldaten während des Frie¬
dens angenehm erscheinen wird. Es ist aber denn dock ein großer Unter¬
schied: während'der englische und der französische Krieger im Felde reichlich,
bisweilen luxuriös verpflegt wurden, erhielt der östreichische Soldat weder
Kaffee noch ein anderes die Nerventhätigkeit erhöhendes Mittel, nur ein Mi¬
nimum von Fleisch, Mehl oder Hülsenfrüchten und eine geringere Portion Brod
oder Zwieback. als selbst der russische. Jetzt ist allerdings dem ersten Uebel¬
stande abgeholfen und die Vertheilung von Kaffee bewilligt. Auch sind die
für Tapferkeit ertheilten Medaillen theilweise mit dem Genusse einer Zulage
in Geld verbunden, doch bezieht der Soldat diese Zulage nur solange, als
er sich im activen Dienste befindet. Endlich wird auch für die Invaliden
nur wenig gesorgt. Die Jnvalidenhäuser sind zu klein, schlecht dotirt und
überhaupt von einem dem verstümmelten Krieger willkommenen Asyle beinahe
der vollständige Gegensatz. Invaliden, welche in den Jnvalidenhäusern keinen
Platz finden, erhalten zwar den sogenannten "Paientalgehalt". Derselbe ist
aber wirklick außerordentlich niedrig und geht verloren, sobald der Betreffende
auf irgend welche Weise zu einem anderweitigen, dreimal größeren täglichen
Einkommen gelangt.

Auch das Offizierscorps hatte keine Ursache zu besondrer Zufriedenheit.
Die Unzulänglichkeit der Gagen wurde bereits besprochen. Dieselbe wird
aber noch vermehrt durch die häusigen, gewöhnlich mit bedeutenden Geld¬
auslagen verknüpften Versetzungen zu andern Truppenkörpern, (die meist statt¬
finden, um irgend einem Hochadeligen Platz zu raschem Vorrücken zu ver¬
schaffen), durch die an und für sich kostspielige Uniformirung, durch die
häufigen Abänderungen an derselben, und endlich durch verschiedene Auslagen,
zu welchen der Offizier von seinen Vorgesetzten genöthigt wird. z. B. für
Unterhaltung von Musikbanden, Errichtung von Offiziers-Rcitbahnen und Schieß'
Stätten und tgi. Auch ist jeder, selbst der honetteste Nebenerwerb verpönt,
und es werden namentlich schriftstellernde Offiziere, besonders solche, die wirk¬
lich Talent besitzen, vielfach verfolgt, bis sie entweder die Feder bei Seite le-


chen man die Armee durch die verschiedensten Mittel zu enthnsiasmiren suchte.
Demungeachtet hat man seither fünf Eisenbahngesellschaften und vielen an¬
dern industriellen Unternehmungen die Concession ertheilt, ohne jenen Zusatz
zu berücksichtigen; ja man sicherte bei dem Verkaufe der Staatsbahnen nicht
einmal die Stellung der dort bereits bediensteten ehemaligen Militärs. So
trachtet Jeder, seine gesetzliche Dienstzeit, so gut als es eben gehen mag,
hinzubringen und wo möglich durch längeren Urlaub oder durch die Erdich¬
tung eines körperlichen Leidens, auch wol durch Selbstbeschädigung abzukürzen.
Nie gab es so viele Selbstverstümmler als jetzt!

Man könnte dagegen einwenden, daß sich wol in keinem Staate Viele
finden würden, denen das Loos eines gemeinen Soldaten während des Frie¬
dens angenehm erscheinen wird. Es ist aber denn dock ein großer Unter¬
schied: während'der englische und der französische Krieger im Felde reichlich,
bisweilen luxuriös verpflegt wurden, erhielt der östreichische Soldat weder
Kaffee noch ein anderes die Nerventhätigkeit erhöhendes Mittel, nur ein Mi¬
nimum von Fleisch, Mehl oder Hülsenfrüchten und eine geringere Portion Brod
oder Zwieback. als selbst der russische. Jetzt ist allerdings dem ersten Uebel¬
stande abgeholfen und die Vertheilung von Kaffee bewilligt. Auch sind die
für Tapferkeit ertheilten Medaillen theilweise mit dem Genusse einer Zulage
in Geld verbunden, doch bezieht der Soldat diese Zulage nur solange, als
er sich im activen Dienste befindet. Endlich wird auch für die Invaliden
nur wenig gesorgt. Die Jnvalidenhäuser sind zu klein, schlecht dotirt und
überhaupt von einem dem verstümmelten Krieger willkommenen Asyle beinahe
der vollständige Gegensatz. Invaliden, welche in den Jnvalidenhäusern keinen
Platz finden, erhalten zwar den sogenannten „Paientalgehalt". Derselbe ist
aber wirklick außerordentlich niedrig und geht verloren, sobald der Betreffende
auf irgend welche Weise zu einem anderweitigen, dreimal größeren täglichen
Einkommen gelangt.

Auch das Offizierscorps hatte keine Ursache zu besondrer Zufriedenheit.
Die Unzulänglichkeit der Gagen wurde bereits besprochen. Dieselbe wird
aber noch vermehrt durch die häusigen, gewöhnlich mit bedeutenden Geld¬
auslagen verknüpften Versetzungen zu andern Truppenkörpern, (die meist statt¬
finden, um irgend einem Hochadeligen Platz zu raschem Vorrücken zu ver¬
schaffen), durch die an und für sich kostspielige Uniformirung, durch die
häufigen Abänderungen an derselben, und endlich durch verschiedene Auslagen,
zu welchen der Offizier von seinen Vorgesetzten genöthigt wird. z. B. für
Unterhaltung von Musikbanden, Errichtung von Offiziers-Rcitbahnen und Schieß'
Stätten und tgi. Auch ist jeder, selbst der honetteste Nebenerwerb verpönt,
und es werden namentlich schriftstellernde Offiziere, besonders solche, die wirk¬
lich Talent besitzen, vielfach verfolgt, bis sie entweder die Feder bei Seite le-


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0176" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/111070"/>
          <p xml:id="ID_529" prev="#ID_528"> chen man die Armee durch die verschiedensten Mittel zu enthnsiasmiren suchte.<lb/>
Demungeachtet hat man seither fünf Eisenbahngesellschaften und vielen an¬<lb/>
dern industriellen Unternehmungen die Concession ertheilt, ohne jenen Zusatz<lb/>
zu berücksichtigen; ja man sicherte bei dem Verkaufe der Staatsbahnen nicht<lb/>
einmal die Stellung der dort bereits bediensteten ehemaligen Militärs. So<lb/>
trachtet Jeder, seine gesetzliche Dienstzeit, so gut als es eben gehen mag,<lb/>
hinzubringen und wo möglich durch längeren Urlaub oder durch die Erdich¬<lb/>
tung eines körperlichen Leidens, auch wol durch Selbstbeschädigung abzukürzen.<lb/>
Nie gab es so viele Selbstverstümmler als jetzt!</p><lb/>
          <p xml:id="ID_530"> Man könnte dagegen einwenden, daß sich wol in keinem Staate Viele<lb/>
finden würden, denen das Loos eines gemeinen Soldaten während des Frie¬<lb/>
dens angenehm erscheinen wird. Es ist aber denn dock ein großer Unter¬<lb/>
schied: während'der englische und der französische Krieger im Felde reichlich,<lb/>
bisweilen luxuriös verpflegt wurden, erhielt der östreichische Soldat weder<lb/>
Kaffee noch ein anderes die Nerventhätigkeit erhöhendes Mittel, nur ein Mi¬<lb/>
nimum von Fleisch, Mehl oder Hülsenfrüchten und eine geringere Portion Brod<lb/>
oder Zwieback. als selbst der russische. Jetzt ist allerdings dem ersten Uebel¬<lb/>
stande abgeholfen und die Vertheilung von Kaffee bewilligt. Auch sind die<lb/>
für Tapferkeit ertheilten Medaillen theilweise mit dem Genusse einer Zulage<lb/>
in Geld verbunden, doch bezieht der Soldat diese Zulage nur solange, als<lb/>
er sich im activen Dienste befindet. Endlich wird auch für die Invaliden<lb/>
nur wenig gesorgt. Die Jnvalidenhäuser sind zu klein, schlecht dotirt und<lb/>
überhaupt von einem dem verstümmelten Krieger willkommenen Asyle beinahe<lb/>
der vollständige Gegensatz. Invaliden, welche in den Jnvalidenhäusern keinen<lb/>
Platz finden, erhalten zwar den sogenannten &#x201E;Paientalgehalt". Derselbe ist<lb/>
aber wirklick außerordentlich niedrig und geht verloren, sobald der Betreffende<lb/>
auf irgend welche Weise zu einem anderweitigen, dreimal größeren täglichen<lb/>
Einkommen gelangt.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_531" next="#ID_532"> Auch das Offizierscorps hatte keine Ursache zu besondrer Zufriedenheit.<lb/>
Die Unzulänglichkeit der Gagen wurde bereits besprochen. Dieselbe wird<lb/>
aber noch vermehrt durch die häusigen, gewöhnlich mit bedeutenden Geld¬<lb/>
auslagen verknüpften Versetzungen zu andern Truppenkörpern, (die meist statt¬<lb/>
finden, um irgend einem Hochadeligen Platz zu raschem Vorrücken zu ver¬<lb/>
schaffen), durch die an und für sich kostspielige Uniformirung, durch die<lb/>
häufigen Abänderungen an derselben, und endlich durch verschiedene Auslagen,<lb/>
zu welchen der Offizier von seinen Vorgesetzten genöthigt wird. z. B. für<lb/>
Unterhaltung von Musikbanden, Errichtung von Offiziers-Rcitbahnen und Schieß'<lb/>
Stätten und tgi. Auch ist jeder, selbst der honetteste Nebenerwerb verpönt,<lb/>
und es werden namentlich schriftstellernde Offiziere, besonders solche, die wirk¬<lb/>
lich Talent besitzen, vielfach verfolgt, bis sie entweder die Feder bei Seite le-</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0176] chen man die Armee durch die verschiedensten Mittel zu enthnsiasmiren suchte. Demungeachtet hat man seither fünf Eisenbahngesellschaften und vielen an¬ dern industriellen Unternehmungen die Concession ertheilt, ohne jenen Zusatz zu berücksichtigen; ja man sicherte bei dem Verkaufe der Staatsbahnen nicht einmal die Stellung der dort bereits bediensteten ehemaligen Militärs. So trachtet Jeder, seine gesetzliche Dienstzeit, so gut als es eben gehen mag, hinzubringen und wo möglich durch längeren Urlaub oder durch die Erdich¬ tung eines körperlichen Leidens, auch wol durch Selbstbeschädigung abzukürzen. Nie gab es so viele Selbstverstümmler als jetzt! Man könnte dagegen einwenden, daß sich wol in keinem Staate Viele finden würden, denen das Loos eines gemeinen Soldaten während des Frie¬ dens angenehm erscheinen wird. Es ist aber denn dock ein großer Unter¬ schied: während'der englische und der französische Krieger im Felde reichlich, bisweilen luxuriös verpflegt wurden, erhielt der östreichische Soldat weder Kaffee noch ein anderes die Nerventhätigkeit erhöhendes Mittel, nur ein Mi¬ nimum von Fleisch, Mehl oder Hülsenfrüchten und eine geringere Portion Brod oder Zwieback. als selbst der russische. Jetzt ist allerdings dem ersten Uebel¬ stande abgeholfen und die Vertheilung von Kaffee bewilligt. Auch sind die für Tapferkeit ertheilten Medaillen theilweise mit dem Genusse einer Zulage in Geld verbunden, doch bezieht der Soldat diese Zulage nur solange, als er sich im activen Dienste befindet. Endlich wird auch für die Invaliden nur wenig gesorgt. Die Jnvalidenhäuser sind zu klein, schlecht dotirt und überhaupt von einem dem verstümmelten Krieger willkommenen Asyle beinahe der vollständige Gegensatz. Invaliden, welche in den Jnvalidenhäusern keinen Platz finden, erhalten zwar den sogenannten „Paientalgehalt". Derselbe ist aber wirklick außerordentlich niedrig und geht verloren, sobald der Betreffende auf irgend welche Weise zu einem anderweitigen, dreimal größeren täglichen Einkommen gelangt. Auch das Offizierscorps hatte keine Ursache zu besondrer Zufriedenheit. Die Unzulänglichkeit der Gagen wurde bereits besprochen. Dieselbe wird aber noch vermehrt durch die häusigen, gewöhnlich mit bedeutenden Geld¬ auslagen verknüpften Versetzungen zu andern Truppenkörpern, (die meist statt¬ finden, um irgend einem Hochadeligen Platz zu raschem Vorrücken zu ver¬ schaffen), durch die an und für sich kostspielige Uniformirung, durch die häufigen Abänderungen an derselben, und endlich durch verschiedene Auslagen, zu welchen der Offizier von seinen Vorgesetzten genöthigt wird. z. B. für Unterhaltung von Musikbanden, Errichtung von Offiziers-Rcitbahnen und Schieß' Stätten und tgi. Auch ist jeder, selbst der honetteste Nebenerwerb verpönt, und es werden namentlich schriftstellernde Offiziere, besonders solche, die wirk¬ lich Talent besitzen, vielfach verfolgt, bis sie entweder die Feder bei Seite le-

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341793_110893
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341793_110893/176
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341793_110893/176>, abgerufen am 28.09.2024.