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Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, I. Semester. I. Band.

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haft empfohlen wurde) alle Selbstthätigkeit und dadurch auch das Selbstge¬
fühl systematisch unterdrückt; die maßlose Bevormundung, Aengstlichkeit und
Pedanterie führten dahin, daß selbst die geringste Dienstverrichtung des Sol¬
daten von mehreren Unteroffizieren und mindestens von einem Offizier, die
Thätigkeit des letzteren aber wieder von mehreren höheren Vorgesetzten, ja
selbst von seinem Obersten nicht nur überwacht, sondern bis in'die kleinsten
Details angeordnet wurde. Mit einem Worte, der Stabsoffizier mußte die
Dienste des Offiziers und dieser wieder den Dienst des Korporals überneh¬
men, um als eifriger Soldat angesehen zu werden!

Bei der Einführung des neuen Münzfußes (1858) und des neuen Ge-
bührcnsystems wurde aber sogar die Löhnung des gemeinen Soldaten noch
um etwas vermindert, was eine allgemeine Unzufriedenheit erregte. Nur die
Erwartung, daß nach Beendigung des damals nahe bevorstehenden Krieges
eine Menge Verbesserungen erfolgen würden, beschwichtigte den lauten Aus¬
bruch des Mißvergnügens. ' Ueberhaupt war man bei den meisten Gelegen¬
heiten, wo man die erhöhte Willigkeit der Armee in Anspruch nehmen mußte,
mit Ursagen und Versprechungen, welche man später nicht erfüllen konnte,
sehr freigebig. So erklärten sogar Generale (ob aus Inspiration oder aus
eigenem Antriebe?), daß nach der Geburt eines Kronprinzen die Dienstzeit
aller dermalen bei der Truppe befindlichen Soldaten um zwei Jahre vermin¬
dert werden würde. Ebenso wurden Offiziere, welche über ihre kärgliche Be¬
soldung klagten, gewöhnlich mit der Versicherung einer bald zu gewürtigen-
den Gagevermehrung vertröstet; natürlich blieben auch diese Zusagen unerfüllt.
Würde aber auch ein oder das andere Mal eine wirklich wohlthätige Ma߬
regel eingeführt, so war doch gewöhnlich ein Zusatz, welcher das Ganze ver¬
kümmerte und beschränkte, beigefügt. So hatte das neue Pensionsgesetz un¬
geachtet seiner zahlreichen Schattenseiten vor dem früheren viele Vorzüge vor¬
aus; aber kurz vorher entzog man den Artillerieoffizieren die bis dahin
gewährte Begünstigung der Versetzung in den Ruhestand mit dem Pensions¬
genusse des nächst höhern Grades. Ueberhaupt beschnitt man die wohlbegrün¬
deten Vorrechte der Artillerie und der, sogenannten technischen Truppen soviel
als möglich, weil eben bei den obersten Behörden mehrere Männer waren,
welche für wissenschaftliche Bildung keinen Sinn hatten und den Exerzirplatz
als alleinigen Prüfstein militärischer Tüchtigkeit betrachteten. So wurde ein
nichts weniger als technisch gebildeter Jnfanteriemajor nur darum als Oberst¬
lieutenant in das Jngenieurcorps versetzt, weil sein Bataillon bei einer Pa¬
rade in Wien sich durch vorzüglich steife Haltung hervorgethan hatte, die
Zöglinge der Jngenieurakademie sich aber beim Tirailliren das Mißfallen
eines Hochgestellten zugezogen hatten.

Die Zahl der Unzufriedenen wurde übrigens alljährlich durch die aus den


haft empfohlen wurde) alle Selbstthätigkeit und dadurch auch das Selbstge¬
fühl systematisch unterdrückt; die maßlose Bevormundung, Aengstlichkeit und
Pedanterie führten dahin, daß selbst die geringste Dienstverrichtung des Sol¬
daten von mehreren Unteroffizieren und mindestens von einem Offizier, die
Thätigkeit des letzteren aber wieder von mehreren höheren Vorgesetzten, ja
selbst von seinem Obersten nicht nur überwacht, sondern bis in'die kleinsten
Details angeordnet wurde. Mit einem Worte, der Stabsoffizier mußte die
Dienste des Offiziers und dieser wieder den Dienst des Korporals überneh¬
men, um als eifriger Soldat angesehen zu werden!

Bei der Einführung des neuen Münzfußes (1858) und des neuen Ge-
bührcnsystems wurde aber sogar die Löhnung des gemeinen Soldaten noch
um etwas vermindert, was eine allgemeine Unzufriedenheit erregte. Nur die
Erwartung, daß nach Beendigung des damals nahe bevorstehenden Krieges
eine Menge Verbesserungen erfolgen würden, beschwichtigte den lauten Aus¬
bruch des Mißvergnügens. ' Ueberhaupt war man bei den meisten Gelegen¬
heiten, wo man die erhöhte Willigkeit der Armee in Anspruch nehmen mußte,
mit Ursagen und Versprechungen, welche man später nicht erfüllen konnte,
sehr freigebig. So erklärten sogar Generale (ob aus Inspiration oder aus
eigenem Antriebe?), daß nach der Geburt eines Kronprinzen die Dienstzeit
aller dermalen bei der Truppe befindlichen Soldaten um zwei Jahre vermin¬
dert werden würde. Ebenso wurden Offiziere, welche über ihre kärgliche Be¬
soldung klagten, gewöhnlich mit der Versicherung einer bald zu gewürtigen-
den Gagevermehrung vertröstet; natürlich blieben auch diese Zusagen unerfüllt.
Würde aber auch ein oder das andere Mal eine wirklich wohlthätige Ma߬
regel eingeführt, so war doch gewöhnlich ein Zusatz, welcher das Ganze ver¬
kümmerte und beschränkte, beigefügt. So hatte das neue Pensionsgesetz un¬
geachtet seiner zahlreichen Schattenseiten vor dem früheren viele Vorzüge vor¬
aus; aber kurz vorher entzog man den Artillerieoffizieren die bis dahin
gewährte Begünstigung der Versetzung in den Ruhestand mit dem Pensions¬
genusse des nächst höhern Grades. Ueberhaupt beschnitt man die wohlbegrün¬
deten Vorrechte der Artillerie und der, sogenannten technischen Truppen soviel
als möglich, weil eben bei den obersten Behörden mehrere Männer waren,
welche für wissenschaftliche Bildung keinen Sinn hatten und den Exerzirplatz
als alleinigen Prüfstein militärischer Tüchtigkeit betrachteten. So wurde ein
nichts weniger als technisch gebildeter Jnfanteriemajor nur darum als Oberst¬
lieutenant in das Jngenieurcorps versetzt, weil sein Bataillon bei einer Pa¬
rade in Wien sich durch vorzüglich steife Haltung hervorgethan hatte, die
Zöglinge der Jngenieurakademie sich aber beim Tirailliren das Mißfallen
eines Hochgestellten zugezogen hatten.

Die Zahl der Unzufriedenen wurde übrigens alljährlich durch die aus den


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[0174] haft empfohlen wurde) alle Selbstthätigkeit und dadurch auch das Selbstge¬ fühl systematisch unterdrückt; die maßlose Bevormundung, Aengstlichkeit und Pedanterie führten dahin, daß selbst die geringste Dienstverrichtung des Sol¬ daten von mehreren Unteroffizieren und mindestens von einem Offizier, die Thätigkeit des letzteren aber wieder von mehreren höheren Vorgesetzten, ja selbst von seinem Obersten nicht nur überwacht, sondern bis in'die kleinsten Details angeordnet wurde. Mit einem Worte, der Stabsoffizier mußte die Dienste des Offiziers und dieser wieder den Dienst des Korporals überneh¬ men, um als eifriger Soldat angesehen zu werden! Bei der Einführung des neuen Münzfußes (1858) und des neuen Ge- bührcnsystems wurde aber sogar die Löhnung des gemeinen Soldaten noch um etwas vermindert, was eine allgemeine Unzufriedenheit erregte. Nur die Erwartung, daß nach Beendigung des damals nahe bevorstehenden Krieges eine Menge Verbesserungen erfolgen würden, beschwichtigte den lauten Aus¬ bruch des Mißvergnügens. ' Ueberhaupt war man bei den meisten Gelegen¬ heiten, wo man die erhöhte Willigkeit der Armee in Anspruch nehmen mußte, mit Ursagen und Versprechungen, welche man später nicht erfüllen konnte, sehr freigebig. So erklärten sogar Generale (ob aus Inspiration oder aus eigenem Antriebe?), daß nach der Geburt eines Kronprinzen die Dienstzeit aller dermalen bei der Truppe befindlichen Soldaten um zwei Jahre vermin¬ dert werden würde. Ebenso wurden Offiziere, welche über ihre kärgliche Be¬ soldung klagten, gewöhnlich mit der Versicherung einer bald zu gewürtigen- den Gagevermehrung vertröstet; natürlich blieben auch diese Zusagen unerfüllt. Würde aber auch ein oder das andere Mal eine wirklich wohlthätige Ma߬ regel eingeführt, so war doch gewöhnlich ein Zusatz, welcher das Ganze ver¬ kümmerte und beschränkte, beigefügt. So hatte das neue Pensionsgesetz un¬ geachtet seiner zahlreichen Schattenseiten vor dem früheren viele Vorzüge vor¬ aus; aber kurz vorher entzog man den Artillerieoffizieren die bis dahin gewährte Begünstigung der Versetzung in den Ruhestand mit dem Pensions¬ genusse des nächst höhern Grades. Ueberhaupt beschnitt man die wohlbegrün¬ deten Vorrechte der Artillerie und der, sogenannten technischen Truppen soviel als möglich, weil eben bei den obersten Behörden mehrere Männer waren, welche für wissenschaftliche Bildung keinen Sinn hatten und den Exerzirplatz als alleinigen Prüfstein militärischer Tüchtigkeit betrachteten. So wurde ein nichts weniger als technisch gebildeter Jnfanteriemajor nur darum als Oberst¬ lieutenant in das Jngenieurcorps versetzt, weil sein Bataillon bei einer Pa¬ rade in Wien sich durch vorzüglich steife Haltung hervorgethan hatte, die Zöglinge der Jngenieurakademie sich aber beim Tirailliren das Mißfallen eines Hochgestellten zugezogen hatten. Die Zahl der Unzufriedenen wurde übrigens alljährlich durch die aus den

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341793_110893/174>, abgerufen am 26.06.2024.