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Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, I. Semester. I. Band.

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Schluß des Antilibanon oder Wadi Et Teiin. Daheim in Aegypten nahm die
Sache einen andern Gang. Die wüste Ketzerei Hakims empörte die Recht¬
gläubigen, seine unerhörte Grausamkeit das ganze Volk. Sitt El Mull, die
eigne Schwester des tyrannischen Mystikers, stellte sich an die Spitze der Mi߬
vergnügten und ließ ihn, als er seiner Gewohnheit gemäß eines Abends ans
seinem weißen Esel nach dem Mokattamberg geritten, von vertrauten Männern
ermorden. Nachdem sie ihn mit Dolchstichen getödtet. zogen sie ihm die Kleider
ans, die sie sorgfältig wieder zuknöpften, während sie den Leichnam verbargen.
Das Zuknöpfen der Kleider scheint auf Befehl der Schwester stattgefunden zu
haben, welche den Glauben an die Gottheit des Bruders erhalten wissen
wollte. Wenigstens sagte man, als der Chalif nicht wiederkehrte und die nach
ihm Ausgefärbten die Kleider in diesem Zustande ohne den Körper fanden,
Hakim habe sich nur unsichtbar gemacht, um die Seinen zu prüfen und die
Abtrünnigen unter ihnen bei seiner Wiederkehr strafen zu können. Um dieses
Wunder zu erklären, sagen die Drusen, daß Hakim einen Leib von feinerer
Substanz als der menschliche Körper gehabt, der aus seiner Hülle verschwinden
konnte, ohne sie aufzuknöpfen und zu zerreißen. Er war, wie es im Koran
heißt: "gleich dem trügerischen Wasscrschein, den der Durstige für Gewässer
hält, wenn er aber dahin kommt, findet er nichts, aber Gott findet er bei sich."
Daß Dolchstiche an den Kleidern sichtbar waren, wird von den Drusen nicht
in Abrede gestellt, aber als ein mysteriöses Zeichen gewisser Absichten ihres
Gottes angesehen.

Hakim hinterließ zwei Söhne, aber dieselben wurden von der Secte nicht
als seine Kinder anerkannt. Man erzählt, daß der eine derselben, der dem
Vater in der Chalifenwürde folgte. Ali Eß Ssahir. zu Hamza gesagt habe:
"Verehre mich wie Ihr meinen Vater verehrt habt." jener aber habe erwidert:
"Unser Herr, der gepriesen sei, hat weder gezeugt noch ist er gezeugt worden."
Ali entgegnete: "Also bin ich und mein Bruder Mohammed unehelich?"'Hamza
sprach: "Du hast es gesagt und gegen dich selbst Zeugniß abgelegt." Dadurch
in Wuth versetzt, befahl Ali die Ermordung der Unitarier. Wie viel davon
wahr ist, wissen wir nicht. Sicher ist, daß Ali Eß Ssahir, um das durch die
Tyrannei seines Vaters schwer bedrängte und erbitterte Volk für sich zu gewin¬
nen, die etwaigen Hoffnungen auf göttliche Verehrung aufgab und sich von
der Lehre Hcnnzas abwendend den Befehl ertheilte, jedermann solle zum Js-
zurückkehren. Die, welche bei der Secte verblieben, wurden entweder
ttetödtet oder flohen zu ihren Glaubensgenossen nach Syrien, wo sie sich meist
'w Antilibanon niederließen.

Wir wenden uns jetzt zu den Glaubenssätzen der Drüsen. die bei näherer
Vetrachtung als ein Gemisch von Philosophemen der Neuplatoniker. von An¬
fängen ein die Gnostiker, an den Islam und an die Meinungen der Bateni-


Schluß des Antilibanon oder Wadi Et Teiin. Daheim in Aegypten nahm die
Sache einen andern Gang. Die wüste Ketzerei Hakims empörte die Recht¬
gläubigen, seine unerhörte Grausamkeit das ganze Volk. Sitt El Mull, die
eigne Schwester des tyrannischen Mystikers, stellte sich an die Spitze der Mi߬
vergnügten und ließ ihn, als er seiner Gewohnheit gemäß eines Abends ans
seinem weißen Esel nach dem Mokattamberg geritten, von vertrauten Männern
ermorden. Nachdem sie ihn mit Dolchstichen getödtet. zogen sie ihm die Kleider
ans, die sie sorgfältig wieder zuknöpften, während sie den Leichnam verbargen.
Das Zuknöpfen der Kleider scheint auf Befehl der Schwester stattgefunden zu
haben, welche den Glauben an die Gottheit des Bruders erhalten wissen
wollte. Wenigstens sagte man, als der Chalif nicht wiederkehrte und die nach
ihm Ausgefärbten die Kleider in diesem Zustande ohne den Körper fanden,
Hakim habe sich nur unsichtbar gemacht, um die Seinen zu prüfen und die
Abtrünnigen unter ihnen bei seiner Wiederkehr strafen zu können. Um dieses
Wunder zu erklären, sagen die Drusen, daß Hakim einen Leib von feinerer
Substanz als der menschliche Körper gehabt, der aus seiner Hülle verschwinden
konnte, ohne sie aufzuknöpfen und zu zerreißen. Er war, wie es im Koran
heißt: „gleich dem trügerischen Wasscrschein, den der Durstige für Gewässer
hält, wenn er aber dahin kommt, findet er nichts, aber Gott findet er bei sich."
Daß Dolchstiche an den Kleidern sichtbar waren, wird von den Drusen nicht
in Abrede gestellt, aber als ein mysteriöses Zeichen gewisser Absichten ihres
Gottes angesehen.

Hakim hinterließ zwei Söhne, aber dieselben wurden von der Secte nicht
als seine Kinder anerkannt. Man erzählt, daß der eine derselben, der dem
Vater in der Chalifenwürde folgte. Ali Eß Ssahir. zu Hamza gesagt habe:
„Verehre mich wie Ihr meinen Vater verehrt habt." jener aber habe erwidert:
„Unser Herr, der gepriesen sei, hat weder gezeugt noch ist er gezeugt worden."
Ali entgegnete: „Also bin ich und mein Bruder Mohammed unehelich?"'Hamza
sprach: „Du hast es gesagt und gegen dich selbst Zeugniß abgelegt." Dadurch
in Wuth versetzt, befahl Ali die Ermordung der Unitarier. Wie viel davon
wahr ist, wissen wir nicht. Sicher ist, daß Ali Eß Ssahir, um das durch die
Tyrannei seines Vaters schwer bedrängte und erbitterte Volk für sich zu gewin¬
nen, die etwaigen Hoffnungen auf göttliche Verehrung aufgab und sich von
der Lehre Hcnnzas abwendend den Befehl ertheilte, jedermann solle zum Js-
zurückkehren. Die, welche bei der Secte verblieben, wurden entweder
ttetödtet oder flohen zu ihren Glaubensgenossen nach Syrien, wo sie sich meist
'w Antilibanon niederließen.

Wir wenden uns jetzt zu den Glaubenssätzen der Drüsen. die bei näherer
Vetrachtung als ein Gemisch von Philosophemen der Neuplatoniker. von An¬
fängen ein die Gnostiker, an den Islam und an die Meinungen der Bateni-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341793_110893/153>, abgerufen am 27.08.2024.