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Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, I. Semester. I. Band.

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den Erfolg dieser Reformen bestätigt werden. Wir, unserer Seits. haben
die besten Hoffnungen, aber eine unfehlbare Garantie ist noch nirgends
Bl. geboten.




Land und Leute in Mecklenburg.
^

An Aberglauben mangelt es unter den mecklenburgischen Bauern nich
und in vielen Gebräuchen und Meinungen klingen noch Reste des alten Heiden-
thums nach. An den Wodanscultus erinnert vor Allem die Sitte, die letzte
Garbe auf dem Felde stehen zu lassen, sie mit Bändern zu schmücken und sie
dem "Wode" mit den Worten zu weihen: "Wode, sale dinen Rosse nu
Voder, nu Distel un Dorn, tom andern Jahr beler Korn." Dieser Gebrauch
war im 17. Jahrhundert noch sehr verbreitet; jetzt sind hier und da nur noch
die Reime im Munde des Volkes. Anderwärts heißt die Garbe "de Ernte-
wod" oder "de Wulf" (der Wolf war Wodans heiliges Thier), wieder in an¬
dern Gegenden, z. B. an der preußischen Grenze, nennt man sie "de Otte".
Bei Ludwigslust führt die Binderin, welcher die letzte Garbe zu Theil wurde,
das ganze Jahr den Namen "de Wolf". Bei Parchim macht man aus der
Garbe eine Puppe, die man mit Bändern verziert und jubelnd auf dem letz¬
ten Erntewagen heimführt. Bei Rostock verbindet man mit diesem "Wolf" den
Begriff des Schadens. Die Magd, die hier die letzte Garbe band, muß die¬
selbe unter demMusruf "de Wulf" mit geschlossnen Augen hinterrücks von sich
werfen, sonst wird sie unfruchtbar. Im südöstlichen Landestheile ist die gleiche
Sitte auf die Kartoffelernte übertragen worden: wer hier die letzte Staude
dieser Frucht hat ausheben müssen, heißt "de Kantüffelwulf".

Andere Erinnerungen an den alten Gott knüpfen sich an die Weihnachtszeit.

In den Tagen vor den Zwölften geht er in der Gestalt des "Rugklas" unar¬
tige Kinder bestrafend umher und treibt er als der wilde Jäger Wode in den Lüften
sein Wesen. In den Zwölften ferner, der Zeit des alten Julfestes, darf man
keine Arbeit vornehmen, welche beschmutzt, nicht die Ställe reinigen, nicht
spinnen und waschen, keine Erbsen essen u. s. w. "Wer in den Zwölften
den Zaun bekleidet (Wäsche zum Trocknen darauf hängt), der muß noch in
dem Jahre den Kirchhof bekleiden." sagt der Bolksmund.


Grenzboten I, 1861. 18

den Erfolg dieser Reformen bestätigt werden. Wir, unserer Seits. haben
die besten Hoffnungen, aber eine unfehlbare Garantie ist noch nirgends
Bl. geboten.




Land und Leute in Mecklenburg.
^

An Aberglauben mangelt es unter den mecklenburgischen Bauern nich
und in vielen Gebräuchen und Meinungen klingen noch Reste des alten Heiden-
thums nach. An den Wodanscultus erinnert vor Allem die Sitte, die letzte
Garbe auf dem Felde stehen zu lassen, sie mit Bändern zu schmücken und sie
dem „Wode" mit den Worten zu weihen: „Wode, sale dinen Rosse nu
Voder, nu Distel un Dorn, tom andern Jahr beler Korn." Dieser Gebrauch
war im 17. Jahrhundert noch sehr verbreitet; jetzt sind hier und da nur noch
die Reime im Munde des Volkes. Anderwärts heißt die Garbe „de Ernte-
wod" oder „de Wulf" (der Wolf war Wodans heiliges Thier), wieder in an¬
dern Gegenden, z. B. an der preußischen Grenze, nennt man sie „de Otte".
Bei Ludwigslust führt die Binderin, welcher die letzte Garbe zu Theil wurde,
das ganze Jahr den Namen „de Wolf". Bei Parchim macht man aus der
Garbe eine Puppe, die man mit Bändern verziert und jubelnd auf dem letz¬
ten Erntewagen heimführt. Bei Rostock verbindet man mit diesem „Wolf" den
Begriff des Schadens. Die Magd, die hier die letzte Garbe band, muß die¬
selbe unter demMusruf „de Wulf" mit geschlossnen Augen hinterrücks von sich
werfen, sonst wird sie unfruchtbar. Im südöstlichen Landestheile ist die gleiche
Sitte auf die Kartoffelernte übertragen worden: wer hier die letzte Staude
dieser Frucht hat ausheben müssen, heißt „de Kantüffelwulf".

Andere Erinnerungen an den alten Gott knüpfen sich an die Weihnachtszeit.

In den Tagen vor den Zwölften geht er in der Gestalt des „Rugklas" unar¬
tige Kinder bestrafend umher und treibt er als der wilde Jäger Wode in den Lüften
sein Wesen. In den Zwölften ferner, der Zeit des alten Julfestes, darf man
keine Arbeit vornehmen, welche beschmutzt, nicht die Ställe reinigen, nicht
spinnen und waschen, keine Erbsen essen u. s. w. „Wer in den Zwölften
den Zaun bekleidet (Wäsche zum Trocknen darauf hängt), der muß noch in
dem Jahre den Kirchhof bekleiden." sagt der Bolksmund.


Grenzboten I, 1861. 18
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[0147] den Erfolg dieser Reformen bestätigt werden. Wir, unserer Seits. haben die besten Hoffnungen, aber eine unfehlbare Garantie ist noch nirgends Bl. geboten. Land und Leute in Mecklenburg. ^ An Aberglauben mangelt es unter den mecklenburgischen Bauern nich und in vielen Gebräuchen und Meinungen klingen noch Reste des alten Heiden- thums nach. An den Wodanscultus erinnert vor Allem die Sitte, die letzte Garbe auf dem Felde stehen zu lassen, sie mit Bändern zu schmücken und sie dem „Wode" mit den Worten zu weihen: „Wode, sale dinen Rosse nu Voder, nu Distel un Dorn, tom andern Jahr beler Korn." Dieser Gebrauch war im 17. Jahrhundert noch sehr verbreitet; jetzt sind hier und da nur noch die Reime im Munde des Volkes. Anderwärts heißt die Garbe „de Ernte- wod" oder „de Wulf" (der Wolf war Wodans heiliges Thier), wieder in an¬ dern Gegenden, z. B. an der preußischen Grenze, nennt man sie „de Otte". Bei Ludwigslust führt die Binderin, welcher die letzte Garbe zu Theil wurde, das ganze Jahr den Namen „de Wolf". Bei Parchim macht man aus der Garbe eine Puppe, die man mit Bändern verziert und jubelnd auf dem letz¬ ten Erntewagen heimführt. Bei Rostock verbindet man mit diesem „Wolf" den Begriff des Schadens. Die Magd, die hier die letzte Garbe band, muß die¬ selbe unter demMusruf „de Wulf" mit geschlossnen Augen hinterrücks von sich werfen, sonst wird sie unfruchtbar. Im südöstlichen Landestheile ist die gleiche Sitte auf die Kartoffelernte übertragen worden: wer hier die letzte Staude dieser Frucht hat ausheben müssen, heißt „de Kantüffelwulf". Andere Erinnerungen an den alten Gott knüpfen sich an die Weihnachtszeit. In den Tagen vor den Zwölften geht er in der Gestalt des „Rugklas" unar¬ tige Kinder bestrafend umher und treibt er als der wilde Jäger Wode in den Lüften sein Wesen. In den Zwölften ferner, der Zeit des alten Julfestes, darf man keine Arbeit vornehmen, welche beschmutzt, nicht die Ställe reinigen, nicht spinnen und waschen, keine Erbsen essen u. s. w. „Wer in den Zwölften den Zaun bekleidet (Wäsche zum Trocknen darauf hängt), der muß noch in dem Jahre den Kirchhof bekleiden." sagt der Bolksmund. Grenzboten I, 1861. 18

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341793_110893/147>, abgerufen am 26.08.2024.