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Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, I. Semester. I. Band.

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zunächst um eine Beschränkung des Einflusses Omer Paschas, der durch den
Krieg zu einer Hauptgröhe geworden war, wenn auch sein Ansehen im Serail
stets auf schwachen Füßen gestanden hatte, sondern wesentlich um die Zwistig-
keiten zwischen Reschid und Risa Pascha. Ersterer starb zu Anfang des Jahres
1858, bald nachdem Lord Stratford de Redlisfe von Constantinopel abberufen
worden war; und ihm folgte Fethi Achmed Pascha, der dem Sultan be¬
sonders befreundete und einen sehr starken Einfluß auf ihn ausübende Gro߬
meister der Artillerie ins Grab nach. Wenn Risa Pascha durch den Tod
Reschids eines bedeutenden und sicherlich des größten unb am meisten
zu fürchtenden Gegners ledig geworden war, so gewann er direct auch durch
das Hinscheiden Fethi Achmed Paschas, indem er als neu ernannter Muschir
von Top-Hane vnd gleichzeitiger Scraskier, dessen Platz einnahm, und die
entscheidende Stelle am Ohre des Sultans gewann. -- Man kann die Periode,
welche darauf folgte, in zwei Abschnitte eintheilen; in eine erste Zeithälfte,
wo der Einfluß Risus entschieden über jeden andern dominirte. und eine
zweite, in der er nachdrücklich von den türkischen Reformern, an deren Spitze
Mchemmed Kiprisli Pascha, der heutige Großvezier steht, bekämpft wurde.
Risa Pascha befindet sich noch heute in einer starken und respectablen Stellung,
aber er repräsentirt nicht, wie vor anderthalb Jahren noch, die ministerielle All¬
macht. Die Bewegung und Leitung des Reiches geht im Wesentlichen gegen¬
wärtig vom saber Asam (Großvezier) aus; nur im Serail selber besitzt der
Doppelminister Seraskier und Muschir von Top-Hane ein Feld, auf dem er
ausschließlich herrscht, und welches ihm in jedem Augenblick zur starken Basis
und zum Rückhalt werden kann, um den reformirenden und den Neuerungen
zugewendeten Premierminister (Großvezier) in nachdrücklichster Weise anzugrei¬
fen. Alle anderen türkischen Staatsmänner, die vordem mit Risa und Me-
hemmed Kiprisli ziemlich auf einer Linie gestanden, sind, nachdem der ganze
- Gegensatz zwischen Alt und Neu, Stillstand und Fortschritt, Reform und Be¬
lassen beim Früheren sich in diesen beiden verkörpert hat. mehr in die zweite
Linie zurückgewichen; und zwar weniger um von dort aus für den Einen
oder Anderen Partei zu nehmen, als vielmehr um von annähernd neutraler und
jedenfalls von einer Zwischenposition aus dem Kampfe der Extreme zuzuschauen.
Es gilt dies auch von Fuad und Ali Pascha, welchen ersteren schon seine
Entsendung nach Syrien daran hindert, an den Angelegenheiten im Schooße
des Ministeriums einen unmittelbaren Antheil zu nehmen.

Man kann durchaus nicht läugnen, daß die Zukunft der Türkei im hohen
Maße davon abhängt: ob Mchemmed Kiprisli Pascha sich in seinem hohen
Amte zu erhalten wissen wird, oder nicht. Sein Auskommen zum entscheidend¬
sten Einflüsse im Divan war so lange nicht möglich, als der alte Reschid lebte.
Heute kann man sagen, daß er im "besseren Sinne" dessen Stelle eingenom-


zunächst um eine Beschränkung des Einflusses Omer Paschas, der durch den
Krieg zu einer Hauptgröhe geworden war, wenn auch sein Ansehen im Serail
stets auf schwachen Füßen gestanden hatte, sondern wesentlich um die Zwistig-
keiten zwischen Reschid und Risa Pascha. Ersterer starb zu Anfang des Jahres
1858, bald nachdem Lord Stratford de Redlisfe von Constantinopel abberufen
worden war; und ihm folgte Fethi Achmed Pascha, der dem Sultan be¬
sonders befreundete und einen sehr starken Einfluß auf ihn ausübende Gro߬
meister der Artillerie ins Grab nach. Wenn Risa Pascha durch den Tod
Reschids eines bedeutenden und sicherlich des größten unb am meisten
zu fürchtenden Gegners ledig geworden war, so gewann er direct auch durch
das Hinscheiden Fethi Achmed Paschas, indem er als neu ernannter Muschir
von Top-Hane vnd gleichzeitiger Scraskier, dessen Platz einnahm, und die
entscheidende Stelle am Ohre des Sultans gewann. — Man kann die Periode,
welche darauf folgte, in zwei Abschnitte eintheilen; in eine erste Zeithälfte,
wo der Einfluß Risus entschieden über jeden andern dominirte. und eine
zweite, in der er nachdrücklich von den türkischen Reformern, an deren Spitze
Mchemmed Kiprisli Pascha, der heutige Großvezier steht, bekämpft wurde.
Risa Pascha befindet sich noch heute in einer starken und respectablen Stellung,
aber er repräsentirt nicht, wie vor anderthalb Jahren noch, die ministerielle All¬
macht. Die Bewegung und Leitung des Reiches geht im Wesentlichen gegen¬
wärtig vom saber Asam (Großvezier) aus; nur im Serail selber besitzt der
Doppelminister Seraskier und Muschir von Top-Hane ein Feld, auf dem er
ausschließlich herrscht, und welches ihm in jedem Augenblick zur starken Basis
und zum Rückhalt werden kann, um den reformirenden und den Neuerungen
zugewendeten Premierminister (Großvezier) in nachdrücklichster Weise anzugrei¬
fen. Alle anderen türkischen Staatsmänner, die vordem mit Risa und Me-
hemmed Kiprisli ziemlich auf einer Linie gestanden, sind, nachdem der ganze
- Gegensatz zwischen Alt und Neu, Stillstand und Fortschritt, Reform und Be¬
lassen beim Früheren sich in diesen beiden verkörpert hat. mehr in die zweite
Linie zurückgewichen; und zwar weniger um von dort aus für den Einen
oder Anderen Partei zu nehmen, als vielmehr um von annähernd neutraler und
jedenfalls von einer Zwischenposition aus dem Kampfe der Extreme zuzuschauen.
Es gilt dies auch von Fuad und Ali Pascha, welchen ersteren schon seine
Entsendung nach Syrien daran hindert, an den Angelegenheiten im Schooße
des Ministeriums einen unmittelbaren Antheil zu nehmen.

Man kann durchaus nicht läugnen, daß die Zukunft der Türkei im hohen
Maße davon abhängt: ob Mchemmed Kiprisli Pascha sich in seinem hohen
Amte zu erhalten wissen wird, oder nicht. Sein Auskommen zum entscheidend¬
sten Einflüsse im Divan war so lange nicht möglich, als der alte Reschid lebte.
Heute kann man sagen, daß er im „besseren Sinne" dessen Stelle eingenom-


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[0144] zunächst um eine Beschränkung des Einflusses Omer Paschas, der durch den Krieg zu einer Hauptgröhe geworden war, wenn auch sein Ansehen im Serail stets auf schwachen Füßen gestanden hatte, sondern wesentlich um die Zwistig- keiten zwischen Reschid und Risa Pascha. Ersterer starb zu Anfang des Jahres 1858, bald nachdem Lord Stratford de Redlisfe von Constantinopel abberufen worden war; und ihm folgte Fethi Achmed Pascha, der dem Sultan be¬ sonders befreundete und einen sehr starken Einfluß auf ihn ausübende Gro߬ meister der Artillerie ins Grab nach. Wenn Risa Pascha durch den Tod Reschids eines bedeutenden und sicherlich des größten unb am meisten zu fürchtenden Gegners ledig geworden war, so gewann er direct auch durch das Hinscheiden Fethi Achmed Paschas, indem er als neu ernannter Muschir von Top-Hane vnd gleichzeitiger Scraskier, dessen Platz einnahm, und die entscheidende Stelle am Ohre des Sultans gewann. — Man kann die Periode, welche darauf folgte, in zwei Abschnitte eintheilen; in eine erste Zeithälfte, wo der Einfluß Risus entschieden über jeden andern dominirte. und eine zweite, in der er nachdrücklich von den türkischen Reformern, an deren Spitze Mchemmed Kiprisli Pascha, der heutige Großvezier steht, bekämpft wurde. Risa Pascha befindet sich noch heute in einer starken und respectablen Stellung, aber er repräsentirt nicht, wie vor anderthalb Jahren noch, die ministerielle All¬ macht. Die Bewegung und Leitung des Reiches geht im Wesentlichen gegen¬ wärtig vom saber Asam (Großvezier) aus; nur im Serail selber besitzt der Doppelminister Seraskier und Muschir von Top-Hane ein Feld, auf dem er ausschließlich herrscht, und welches ihm in jedem Augenblick zur starken Basis und zum Rückhalt werden kann, um den reformirenden und den Neuerungen zugewendeten Premierminister (Großvezier) in nachdrücklichster Weise anzugrei¬ fen. Alle anderen türkischen Staatsmänner, die vordem mit Risa und Me- hemmed Kiprisli ziemlich auf einer Linie gestanden, sind, nachdem der ganze - Gegensatz zwischen Alt und Neu, Stillstand und Fortschritt, Reform und Be¬ lassen beim Früheren sich in diesen beiden verkörpert hat. mehr in die zweite Linie zurückgewichen; und zwar weniger um von dort aus für den Einen oder Anderen Partei zu nehmen, als vielmehr um von annähernd neutraler und jedenfalls von einer Zwischenposition aus dem Kampfe der Extreme zuzuschauen. Es gilt dies auch von Fuad und Ali Pascha, welchen ersteren schon seine Entsendung nach Syrien daran hindert, an den Angelegenheiten im Schooße des Ministeriums einen unmittelbaren Antheil zu nehmen. Man kann durchaus nicht läugnen, daß die Zukunft der Türkei im hohen Maße davon abhängt: ob Mchemmed Kiprisli Pascha sich in seinem hohen Amte zu erhalten wissen wird, oder nicht. Sein Auskommen zum entscheidend¬ sten Einflüsse im Divan war so lange nicht möglich, als der alte Reschid lebte. Heute kann man sagen, daß er im „besseren Sinne" dessen Stelle eingenom-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341793_110893/144>, abgerufen am 23.07.2024.