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Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, I. Semester. I. Band.

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die Begegnung mit glühenden Patrioten, wie Knesebeck, Pfuel u. A, ein
reicher Gewinn. Wie dadurch der deutsche Sinn und die Vaterlandsliebe die
tiefsten Wurzeln faßten, sein Denken und Fühlen überhaupt eine bestimmte
Richtung empfing, so hielt auch seine Erinnerung die Ereignisse jener Zeit
mit merkwürdiger Treue fest. Dahlmann liebte es noch in seinen alten Ta¬
gen von den Ereignissen seiner Reise zu erzählen: mit welcher Anschaulichkeit
und Wärme, wie ihm Alles und Jedes bis zum einzelnen Baume und Strauche
der Landschaft gegenwärtig war. wie er, in die Kämpfe der vergangenen Tage
sich> versenkend, noch in später Zeit mit seinem ganzen Herzen bei der Erör¬
terung der Frage stand, welche Schuld den Erzherzog Johann an dem Ver¬
luste der Schlacht bei Wagram treffe, dies bleibt Allen unvergeßlich, die das
Glück zu seinen Zuhörern machte. Möglich, daß ihn die politischen Ereig¬
nisse, denen er so nahe gestanden, auch dem Studium der Geschichte zuführten.
Denn während ihn bis dahin die Alten ausschließlich in Anspruch genommen,
ja sogar, wenigstens in den Jugendjahren, das Studium der Geschichte voll¬
kommen gleichgiltig gelassen, sehen wir ihn gleich nach dem Jahre 1809 mit
einer Darstellung der Geschichte der sächsischen Kaiser beschäftigt. Doch blieb
seine Hauptkraft noch immer der Philologie zugewendet, und seine Habilitations¬
schrift (von den Anfängen und der Entwickelung der attischen Komödie) wie
seine ersten Vorlesungen in Kopenhagen 1811 (über die Wolken des Aristo-
phanes) waren philologischen Gegenstünden gewidmet. Aber schon im folgenden
Jahre traf ihn nach Hegewisch's Tod der Ruf als Professor der Geschichte
nach Kiel, welchen er. wenn auch zögernd und schüchtern, annahm. "Ich
wurde." pflegte er scherzend zu äußern. "Professor der Geschichte, obgleich ich
in meinem ganzen Leben kein historisches Collegium gehört hatte."

Während er sich in seinen neuen Beruf mit der stillen Pflichttreue, die
ihn in allen Lagen auszeichnete, einzuarbeiten begann, erzitterte schon Europa
vom Schlachtengetöse. Unmittelbar an dem Befreiungskampfe mitzuwirken,
war ihm nicht vergönnt, doch durste er sich rühmen, auch seinen Theil, soweit
eben die Gelegenheit reichte, beigetragen zu haben, zur Belebung der Geister,
zur Entflammung des Muthes. Durch schwedische Blätter erfuhr man in
Kiel den Ausgang des russischen Krieges rascher, als im größten Theile des
übrigen Deutschlands. Dahlmann war eifrigst bemüht, diese Nachrichten zu
sammeln und an die Angehörigen nach Wismar zu senden. Seine Briefe
gaben die einzige, die sicherste Kunde von den Ereignissen, sie wanderten weit
durch das Mecklenburger Land bis an den Hof und bereiteten wirksam die
Erhebung des Volkes vor. Wir besitzen noch ein anderes Zeugniß von der
glühenden Theilnahme Dahlmann's an dem großen Werke der Befreiung
Deutschlands. Am 7. Juli 1815 feierte die Kieler Universität die Erinnerung
an die Schlacht von Waterloo. Dahlmann trat als Festredner auf. Mit der


die Begegnung mit glühenden Patrioten, wie Knesebeck, Pfuel u. A, ein
reicher Gewinn. Wie dadurch der deutsche Sinn und die Vaterlandsliebe die
tiefsten Wurzeln faßten, sein Denken und Fühlen überhaupt eine bestimmte
Richtung empfing, so hielt auch seine Erinnerung die Ereignisse jener Zeit
mit merkwürdiger Treue fest. Dahlmann liebte es noch in seinen alten Ta¬
gen von den Ereignissen seiner Reise zu erzählen: mit welcher Anschaulichkeit
und Wärme, wie ihm Alles und Jedes bis zum einzelnen Baume und Strauche
der Landschaft gegenwärtig war. wie er, in die Kämpfe der vergangenen Tage
sich> versenkend, noch in später Zeit mit seinem ganzen Herzen bei der Erör¬
terung der Frage stand, welche Schuld den Erzherzog Johann an dem Ver¬
luste der Schlacht bei Wagram treffe, dies bleibt Allen unvergeßlich, die das
Glück zu seinen Zuhörern machte. Möglich, daß ihn die politischen Ereig¬
nisse, denen er so nahe gestanden, auch dem Studium der Geschichte zuführten.
Denn während ihn bis dahin die Alten ausschließlich in Anspruch genommen,
ja sogar, wenigstens in den Jugendjahren, das Studium der Geschichte voll¬
kommen gleichgiltig gelassen, sehen wir ihn gleich nach dem Jahre 1809 mit
einer Darstellung der Geschichte der sächsischen Kaiser beschäftigt. Doch blieb
seine Hauptkraft noch immer der Philologie zugewendet, und seine Habilitations¬
schrift (von den Anfängen und der Entwickelung der attischen Komödie) wie
seine ersten Vorlesungen in Kopenhagen 1811 (über die Wolken des Aristo-
phanes) waren philologischen Gegenstünden gewidmet. Aber schon im folgenden
Jahre traf ihn nach Hegewisch's Tod der Ruf als Professor der Geschichte
nach Kiel, welchen er. wenn auch zögernd und schüchtern, annahm. „Ich
wurde." pflegte er scherzend zu äußern. „Professor der Geschichte, obgleich ich
in meinem ganzen Leben kein historisches Collegium gehört hatte."

Während er sich in seinen neuen Beruf mit der stillen Pflichttreue, die
ihn in allen Lagen auszeichnete, einzuarbeiten begann, erzitterte schon Europa
vom Schlachtengetöse. Unmittelbar an dem Befreiungskampfe mitzuwirken,
war ihm nicht vergönnt, doch durste er sich rühmen, auch seinen Theil, soweit
eben die Gelegenheit reichte, beigetragen zu haben, zur Belebung der Geister,
zur Entflammung des Muthes. Durch schwedische Blätter erfuhr man in
Kiel den Ausgang des russischen Krieges rascher, als im größten Theile des
übrigen Deutschlands. Dahlmann war eifrigst bemüht, diese Nachrichten zu
sammeln und an die Angehörigen nach Wismar zu senden. Seine Briefe
gaben die einzige, die sicherste Kunde von den Ereignissen, sie wanderten weit
durch das Mecklenburger Land bis an den Hof und bereiteten wirksam die
Erhebung des Volkes vor. Wir besitzen noch ein anderes Zeugniß von der
glühenden Theilnahme Dahlmann's an dem großen Werke der Befreiung
Deutschlands. Am 7. Juli 1815 feierte die Kieler Universität die Erinnerung
an die Schlacht von Waterloo. Dahlmann trat als Festredner auf. Mit der


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341793_110893/134>, abgerufen am 22.07.2024.