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Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, I. Semester. I. Band.

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darum Werth haben, weil Venetie" (neben Rom) abermals den .Knoten der
italienischen Frage bildet, der sich wieder geschürzt, nachdem er vor eilf Jahren
zum letzten Mal zerhauen worden, dessen Entwirrung durch Vertrag ein Meister¬
stück der Diplomatie sein würde. Nur als Faden für die Einreihung der her¬
vorzuhebenden Punkte diene uns ein rascher Ueberblick des Auf- und Nieder¬
gangs der Lagunenstadt in den Jahren -1848 und 1849.

' Der Antrieb, welchen Pius der Neunte dem Nationalgefühl der Italiener
gegen den Druck Oestreichs gegeben hatte, veranlaßte zunächst eine gesetzliche
Bewegung. Auf dem Gelchrtencongreß in Venedig am 13. September 1847
(Reuchlin I, 327) gaben die Vertreter der Wissenschaft ihre Stimme ab, und
der erwachte öffentliche Geist drang sogar in die Scheinbilder von Bezirks-
und Landesvertretungen (Provinzial- und Centralcongregationen), die sich zu
Beschlüssen ernannten, vor denen ihren eingeschüchterten Mitgliedern früher
die Haut geschaudert haben winde. Die Mitglieder der Generalcongregatio-
M)i wurden von der Regierung aus einer dreifachen Candidatenliste ernannt,
welche vou den Gemeindercithen") unter dem Vorsitz kaiserlicher Bezirtscom-
missäre aufgestellt waren. Die Auswahl siel nicht gerade auf diejenigen, welche
die meisten Stimmen erhalten hatten, sondern auf die der Regierung am
meisten ergebenen Männer, deren Gesinnung durch ein Jahrgehalt von 2000 si.
warm gehalten wurde. Zu den Befugnissen dieser Mustervertretuugen gehörte,
daß sie "der Negierung von den Begehren und Wünschen des Landes Kennt¬
niß geben" sollten. Zweiunddreißig Jahre lang, von 1815 bis 1847, hatte!,
sie nicht gefunden, daß das Land etwas zu wünschen habe; erst im December
1847 wagten sie zu entdecken und zu äußern, das Land habe den Wunsch,
daß die 1815 von Oestreich für das Lombardisch-Venetianische Königreich ver¬
kündeten Grundgesetze gehalten werden möchten. Mailand ging voran, Vene¬
dig folgte nach (December 1847 und Januar 1848), Nach den gesetzlichen
Bestimmungen von 1815 sollten die Lombardei und Venetien unter dem Kaiser
von Oestreich ein besonders Königreich bilden; die Nationalität sollte geachtet,
eine wahre Landesvertretung eingeführt, die Freiheit der Presse gesetzlich ge¬
regelt werden. -- Um die nämlicheZeit(l848)begab sichAehnliches in Dentschland;
die schlechtesten Wahlgesetze verhinderten nicht, daß die Kammern gegen den
Druck, welchen Oestreich durch den Bundestag übte, sich erhoben. Hier wie
dort traten die Symptome einer tiefen Unzufriedenheit schon vor der Pariser
Februarrevolution an das Licht. In dem östreichischen Italien denionstrirtc,
das Volk in den Theatern, enthielt sich des Rauchers und des Lottospiels,
um die Einkünfte der Regierung zu schmälern, und vermied die Unterdrücker



") Der Gemeinderath ist auch nach dem Diplom vom 20. Oktober die Geburtsstätte für
die spärlichen bürgerlichen Elemente in den Landtagen und dem Reichsrathe des nicht unga¬
rischen Oestreich!

darum Werth haben, weil Venetie» (neben Rom) abermals den .Knoten der
italienischen Frage bildet, der sich wieder geschürzt, nachdem er vor eilf Jahren
zum letzten Mal zerhauen worden, dessen Entwirrung durch Vertrag ein Meister¬
stück der Diplomatie sein würde. Nur als Faden für die Einreihung der her¬
vorzuhebenden Punkte diene uns ein rascher Ueberblick des Auf- und Nieder¬
gangs der Lagunenstadt in den Jahren -1848 und 1849.

' Der Antrieb, welchen Pius der Neunte dem Nationalgefühl der Italiener
gegen den Druck Oestreichs gegeben hatte, veranlaßte zunächst eine gesetzliche
Bewegung. Auf dem Gelchrtencongreß in Venedig am 13. September 1847
(Reuchlin I, 327) gaben die Vertreter der Wissenschaft ihre Stimme ab, und
der erwachte öffentliche Geist drang sogar in die Scheinbilder von Bezirks-
und Landesvertretungen (Provinzial- und Centralcongregationen), die sich zu
Beschlüssen ernannten, vor denen ihren eingeschüchterten Mitgliedern früher
die Haut geschaudert haben winde. Die Mitglieder der Generalcongregatio-
M)i wurden von der Regierung aus einer dreifachen Candidatenliste ernannt,
welche vou den Gemeindercithen") unter dem Vorsitz kaiserlicher Bezirtscom-
missäre aufgestellt waren. Die Auswahl siel nicht gerade auf diejenigen, welche
die meisten Stimmen erhalten hatten, sondern auf die der Regierung am
meisten ergebenen Männer, deren Gesinnung durch ein Jahrgehalt von 2000 si.
warm gehalten wurde. Zu den Befugnissen dieser Mustervertretuugen gehörte,
daß sie „der Negierung von den Begehren und Wünschen des Landes Kennt¬
niß geben" sollten. Zweiunddreißig Jahre lang, von 1815 bis 1847, hatte!,
sie nicht gefunden, daß das Land etwas zu wünschen habe; erst im December
1847 wagten sie zu entdecken und zu äußern, das Land habe den Wunsch,
daß die 1815 von Oestreich für das Lombardisch-Venetianische Königreich ver¬
kündeten Grundgesetze gehalten werden möchten. Mailand ging voran, Vene¬
dig folgte nach (December 1847 und Januar 1848), Nach den gesetzlichen
Bestimmungen von 1815 sollten die Lombardei und Venetien unter dem Kaiser
von Oestreich ein besonders Königreich bilden; die Nationalität sollte geachtet,
eine wahre Landesvertretung eingeführt, die Freiheit der Presse gesetzlich ge¬
regelt werden. — Um die nämlicheZeit(l848)begab sichAehnliches in Dentschland;
die schlechtesten Wahlgesetze verhinderten nicht, daß die Kammern gegen den
Druck, welchen Oestreich durch den Bundestag übte, sich erhoben. Hier wie
dort traten die Symptome einer tiefen Unzufriedenheit schon vor der Pariser
Februarrevolution an das Licht. In dem östreichischen Italien denionstrirtc,
das Volk in den Theatern, enthielt sich des Rauchers und des Lottospiels,
um die Einkünfte der Regierung zu schmälern, und vermied die Unterdrücker



") Der Gemeinderath ist auch nach dem Diplom vom 20. Oktober die Geburtsstätte für
die spärlichen bürgerlichen Elemente in den Landtagen und dem Reichsrathe des nicht unga¬
rischen Oestreich!
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341793_110893/12>, abgerufen am 22.07.2024.