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Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, I. Semester. I. Band.

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seits im Lichte einer nationalen Parteisache zu sehen, die den Bonner Eng¬
ländern wirklich zugefügte Beleidigung geriet!) in Vergessenheit.

- In Folge der diplomatischen Anfragen und der Wichtigkeit, welche die
Angelegenheit gewonnen hatte, hatte die preußische Negierung eine noch¬
malige genaue Untersuchung aller auf den Eisenbahnvorsall bezüglichen That¬
sachen angeordnet und veröffentlichte die wichtigsten Zeugenaussagen, nament¬
lich die Hoffmann's und Dr. Parow's. Sie waren geeignet, die Ueberzeugung
zu verstärken, daß der ganze Streit von Anfang nur durch das Benehmen des
Engländers hervorgerufen worden war. Andrerseits gab Capt. Macdonald
am 11. October vor einem Friedensrichter in Sussex eine eidliche Erklärung
über den Vorgang ab, welche gleichfalls in die Zeitungen übergegangen ist.
Die Behauptungen stehen sich keineswegs in der Weise gegenüber, daß noth-
wendig entweder auf der einen oder der andern Seite ein Meineid vorliegen
muß; vielmehr scheint es, daß jeder Theil in der Hitze des Moments nur das
bemerkt und behalten hat, was von dem andern Provocirendes ausgegangen
war; auch gesteht Macdonald ein, daß er Hrn. Hoffmann Widerstand geleistet
und ihn zurückgedrängt habe, und gibt damit das entscheidende Factum zu.
Aber die unbedingte und ausschließliche Schuld des englischen Reisenden wurde
in Deutschland, seine völlige Unschuld jenseits des Canals zum nationalen
Dogma.

Allmälig verlautete, daß Herr Möller wegen seiner Aeußerung gegen die
Engländer einen Verweis erhalten hatte, aber -- es verlautete nur. Erst in
dem Plaidoyer gegen die Unterzeichner des Protestes erwähnte es Hr. v. Ammon,
während es doch wol in der Ordnung gewesen wäre, daß. wenn nicht der
Wortlaut des Verweises, so doch das Factum, daß er ertheilt worden war,
eine officielle Publication gesunden hätte. Da der von den Beleidigten ein¬
geschlagene Weg der Selbsthilfe von der Staatsbehörde bemängelt wurde, so
hätte eine anderweitige öffentliche Genugthuung einem gesunden Rechtsgefühl
entsprochen. Aber die Parteigegensätze waren zu scharf geworden, als daß in
dieser Hinsicht noch eine Theilnahme für sie möglich gewesen wäre.

In der zweiten Hälfte deS Monats December kam der Proceß gegen sie
zur öffentlichen Verhandlung, am 17. war der größte Theil des Zeugenverhörs,
am 18. die Plaidoyers. Es war augenscheinlich daraus angelegt, alle ein¬
schlügigen Facta ohne Ausnahme rü ein recht Helles Licht zu stellen, daher
denn auch noch einmal- die Aussagen über den Eisenbahnvorfall vorkamen,
aber um so unbegreiflicher ist es, daß man nicht für eine stenographische Auf¬
zeichnung gesorgt hat. Der Bericht der Kölnischen Zeitung ist hinterher so-
wol von der Staatsanwaltschaft als namentlich von den Angeklagten, die
dieses Blatt überhaupt der Parteilichkeit zeihen, für ungenügend erklärt wor¬
den, so daß es an jedem rechten Anhalt fehlt. Der königliche Oberprocurator


seits im Lichte einer nationalen Parteisache zu sehen, die den Bonner Eng¬
ländern wirklich zugefügte Beleidigung geriet!) in Vergessenheit.

- In Folge der diplomatischen Anfragen und der Wichtigkeit, welche die
Angelegenheit gewonnen hatte, hatte die preußische Negierung eine noch¬
malige genaue Untersuchung aller auf den Eisenbahnvorsall bezüglichen That¬
sachen angeordnet und veröffentlichte die wichtigsten Zeugenaussagen, nament¬
lich die Hoffmann's und Dr. Parow's. Sie waren geeignet, die Ueberzeugung
zu verstärken, daß der ganze Streit von Anfang nur durch das Benehmen des
Engländers hervorgerufen worden war. Andrerseits gab Capt. Macdonald
am 11. October vor einem Friedensrichter in Sussex eine eidliche Erklärung
über den Vorgang ab, welche gleichfalls in die Zeitungen übergegangen ist.
Die Behauptungen stehen sich keineswegs in der Weise gegenüber, daß noth-
wendig entweder auf der einen oder der andern Seite ein Meineid vorliegen
muß; vielmehr scheint es, daß jeder Theil in der Hitze des Moments nur das
bemerkt und behalten hat, was von dem andern Provocirendes ausgegangen
war; auch gesteht Macdonald ein, daß er Hrn. Hoffmann Widerstand geleistet
und ihn zurückgedrängt habe, und gibt damit das entscheidende Factum zu.
Aber die unbedingte und ausschließliche Schuld des englischen Reisenden wurde
in Deutschland, seine völlige Unschuld jenseits des Canals zum nationalen
Dogma.

Allmälig verlautete, daß Herr Möller wegen seiner Aeußerung gegen die
Engländer einen Verweis erhalten hatte, aber — es verlautete nur. Erst in
dem Plaidoyer gegen die Unterzeichner des Protestes erwähnte es Hr. v. Ammon,
während es doch wol in der Ordnung gewesen wäre, daß. wenn nicht der
Wortlaut des Verweises, so doch das Factum, daß er ertheilt worden war,
eine officielle Publication gesunden hätte. Da der von den Beleidigten ein¬
geschlagene Weg der Selbsthilfe von der Staatsbehörde bemängelt wurde, so
hätte eine anderweitige öffentliche Genugthuung einem gesunden Rechtsgefühl
entsprochen. Aber die Parteigegensätze waren zu scharf geworden, als daß in
dieser Hinsicht noch eine Theilnahme für sie möglich gewesen wäre.

In der zweiten Hälfte deS Monats December kam der Proceß gegen sie
zur öffentlichen Verhandlung, am 17. war der größte Theil des Zeugenverhörs,
am 18. die Plaidoyers. Es war augenscheinlich daraus angelegt, alle ein¬
schlügigen Facta ohne Ausnahme rü ein recht Helles Licht zu stellen, daher
denn auch noch einmal- die Aussagen über den Eisenbahnvorfall vorkamen,
aber um so unbegreiflicher ist es, daß man nicht für eine stenographische Auf¬
zeichnung gesorgt hat. Der Bericht der Kölnischen Zeitung ist hinterher so-
wol von der Staatsanwaltschaft als namentlich von den Angeklagten, die
dieses Blatt überhaupt der Parteilichkeit zeihen, für ungenügend erklärt wor¬
den, so daß es an jedem rechten Anhalt fehlt. Der königliche Oberprocurator


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341793_110893/116>, abgerufen am 26.08.2024.