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Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, I. Semester. I. Band.

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ihm dies "ach heftigem Kampf gelungen, so drehen sich die Kreise von Neuem
und es ist jetzt an den verheiratheten Frauen, sich durch dieselben hindurch
zu drängen. Die Verwirrung, das Kreischen und Jauchzen bei diesem Spiel,
an dem oft an fünfzig Personen theilnehmen, ist unbeschreiblich. Am Ende
erHaschen dann die Frauen die inzwischen gewaltig zerzauste Braut und bringen
sie mit den Resten ihrer jungfräulichen Krone in die Brautkammer, wo sie ihr
die Mütze oder Haube aufsetzen, die sie zur Frau macht.

Bei großen Hochzeiten findet am Sonnabend und Sonntag noch eine
Nachfeier statt, bei welcher wieder getanzt und das vom Hochzeitsschmaus
übrig gebliebne Essen verzehrt wird. Nur die Gäste aus der Stadt geben
Hochzeitsgeschenke, die bäuerlichen unterlassen dies, doch will die Sitte in
einigen Gegenden, daß jede geladene Familie ein Huhn zum Gastmahle bei¬
steuert.

Die Gebräuche, die sich an Todesfälle knüpfen, haben wenig Eigenthüm¬
liches. Das Volk fürchtet den Tod im Allgemeinen nicht, da ihm ja nie¬
mand entrinnt. Viele alte Frauen haben jahrelang das selbstgesponnene
Leichenhemd in der Lade liegen und den ihnen schon bei Lebzeiten angemeß-
nen Sarg in der Kirche stehn. Ein alter Kuhhirt ersparte sich mühsam drei¬
ßig Thaler, um sich mit Geläut begraben zu lassen. Bei der Beerdigung, an
der oft mehre Hunderte theilnehmen. geht der Leichenzug gewohnlich, bevor
er sich nach dem Grabe bewegt, einmal um die Kirche herum, damit "der
Todte nicht wiederkomme". Nach vollzvgner Einsenkung begibt sich das Leichen-
gefolge entweder in den Krug oder in das Sterbehaus, wo e.in Schmaus seiner
wartet, der in der Regel in Schweinebraten mit dickem Reis und Pflaumen
besteht. Man nennt das scherzend "de Hut verkehren", die Haut verzehren.
Altgläubige beobachten bei Todesfällen allerlei Regeln der Vorsicht. Man
darf z. B. die Leiche, wenn sie nicht spuken soll, nicht an einem unverdeckter
Spiegel vorbeitragen, sich nicht auf die Bahre setzen, nichts ins Grab fallen
lassen, weil man sonst bald sterben muß. Kommt dem Todten ein Zipfel
seiner Bekleidung in den Mund, so holt er seine Familie nach. Man legt
ihm deshalb, um die Bekleidung zusammenzuhalten, ein,e Scholle Nasen ans
die Brust. Eine Stecknadel dazu zu nehmen, ist nicht gerathen, da sie schon
von jemand gebraucht sein könnte und dieser dann sterben müßte. An man¬
chen Orten wird im Sterbehause von der Stelle, wo die Bahre gestanden,
bis zur Hausthür Asche gestreut, wobei der Streuende rückwärts geht. Ander¬
wärts fegt man sofort nach dem Hinaustragen der Leiche das Haus, ebenfalls
rückwärts schreitend, und läßt niemand eher über die Schwelle, als bis diese
Reinigung vollzogen ist.

" Ein Ueberblick über die Familienfeste des Mecklenburgers zeigt, daß sie
sehr einfach sind und wie das ganze übrige Leben im Wesentlichen aus euch-


ihm dies »ach heftigem Kampf gelungen, so drehen sich die Kreise von Neuem
und es ist jetzt an den verheiratheten Frauen, sich durch dieselben hindurch
zu drängen. Die Verwirrung, das Kreischen und Jauchzen bei diesem Spiel,
an dem oft an fünfzig Personen theilnehmen, ist unbeschreiblich. Am Ende
erHaschen dann die Frauen die inzwischen gewaltig zerzauste Braut und bringen
sie mit den Resten ihrer jungfräulichen Krone in die Brautkammer, wo sie ihr
die Mütze oder Haube aufsetzen, die sie zur Frau macht.

Bei großen Hochzeiten findet am Sonnabend und Sonntag noch eine
Nachfeier statt, bei welcher wieder getanzt und das vom Hochzeitsschmaus
übrig gebliebne Essen verzehrt wird. Nur die Gäste aus der Stadt geben
Hochzeitsgeschenke, die bäuerlichen unterlassen dies, doch will die Sitte in
einigen Gegenden, daß jede geladene Familie ein Huhn zum Gastmahle bei¬
steuert.

Die Gebräuche, die sich an Todesfälle knüpfen, haben wenig Eigenthüm¬
liches. Das Volk fürchtet den Tod im Allgemeinen nicht, da ihm ja nie¬
mand entrinnt. Viele alte Frauen haben jahrelang das selbstgesponnene
Leichenhemd in der Lade liegen und den ihnen schon bei Lebzeiten angemeß-
nen Sarg in der Kirche stehn. Ein alter Kuhhirt ersparte sich mühsam drei¬
ßig Thaler, um sich mit Geläut begraben zu lassen. Bei der Beerdigung, an
der oft mehre Hunderte theilnehmen. geht der Leichenzug gewohnlich, bevor
er sich nach dem Grabe bewegt, einmal um die Kirche herum, damit „der
Todte nicht wiederkomme". Nach vollzvgner Einsenkung begibt sich das Leichen-
gefolge entweder in den Krug oder in das Sterbehaus, wo e.in Schmaus seiner
wartet, der in der Regel in Schweinebraten mit dickem Reis und Pflaumen
besteht. Man nennt das scherzend „de Hut verkehren", die Haut verzehren.
Altgläubige beobachten bei Todesfällen allerlei Regeln der Vorsicht. Man
darf z. B. die Leiche, wenn sie nicht spuken soll, nicht an einem unverdeckter
Spiegel vorbeitragen, sich nicht auf die Bahre setzen, nichts ins Grab fallen
lassen, weil man sonst bald sterben muß. Kommt dem Todten ein Zipfel
seiner Bekleidung in den Mund, so holt er seine Familie nach. Man legt
ihm deshalb, um die Bekleidung zusammenzuhalten, ein,e Scholle Nasen ans
die Brust. Eine Stecknadel dazu zu nehmen, ist nicht gerathen, da sie schon
von jemand gebraucht sein könnte und dieser dann sterben müßte. An man¬
chen Orten wird im Sterbehause von der Stelle, wo die Bahre gestanden,
bis zur Hausthür Asche gestreut, wobei der Streuende rückwärts geht. Ander¬
wärts fegt man sofort nach dem Hinaustragen der Leiche das Haus, ebenfalls
rückwärts schreitend, und läßt niemand eher über die Schwelle, als bis diese
Reinigung vollzogen ist.

» Ein Ueberblick über die Familienfeste des Mecklenburgers zeigt, daß sie
sehr einfach sind und wie das ganze übrige Leben im Wesentlichen aus euch-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341793_110893/108>, abgerufen am 25.08.2024.