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Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, I. Semester. I. Band.

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buchenen Brüder in den zu jedem Gehöft gehörenden Kälber und gehen
nun allmälig in die Stellung bloßer Dienstboten über.

Gefreit wird fast immer nur nach praktischen Rücksichten. Selten verirrt
sich die Neigung eines Burschen zu einem Mädchen, welches den Eltern nicht
anstehen könnte; gewöhnlich wählt er eine aus demselben Dorfe, da eine
Fremde, wie man sich ausdrückt, "met armer Water böse" -- mit anderen
Wasser getauft ist. Kaum kommt es vor. daß einer unter seinen Stand und
Vermögen verheirathet.

Einfach wie die geschilderten Verhältnisse ist auch das tägliche Leben der
Leute. Den Tag über nimmt sie die ländliche Arbeit in Anspruch. Nach der
Abendmahlzeit sehen sich im Sommer die jungen Leute vor die Hofthür und
erzählen sich "Lauschen und Riemels".- wie sie uns Fritz Reuter mitgetheilt
hat. An den langen Winterabenden bleibt man in der Stube, der Vater
liest bei einer Thranlampe oder einem Talglicht in einem Buch, die weiblichen
Hausgenossen spinnen oder schälen Kartoffeln, die Söhne schnitzen Löffel oder
flechten Weidenkörbe. Mitunter gibt ein witziger Kopf Räthsel oder aus der
Stadt mitgebrachte Kunststückchen zum Besten, häufiger spielen die Männer
Karten: Scherwenzel. Solo. Fünfkart. Schafskopf. Hund u. s. w. Jeder hat
die Mütze auf dem Kopf, die Pfeife mit ff. grünem Jägcrtabnk im Munde
und ist bemüht, die Atmosphäre in der niedrigen Stube so angenehm als
möglich zu machen, wozu bisweilen eine Brütgans hinter dem Ofen das Ihre
beiträgt.

Des Sonntags geht man früh zur Kirche, des Nachmittags in die Stadt
zum Einkauf, des Abends in den Krug, doch nur selten lange. Säufer sind
un Allgemeinen nicht häufig, obwol der Bauer nur beim größten Durst Wasser
trinkt. Sein gewöhnliches Getränk ist seibstgcbrautes säuerliches mit gelben
Wurzeln abgekochtes und versüßtes Bier und gelegentlich ein Schnaps. Letz¬
terer ist. wie Scorpionenöl äußerlich, ein Universalmittel für alle innern Uebel,
Zumal gegen "Wasser in den Stiefeln". Außerordeutlich sind die Leistungen
des mecklenburger Bauern auf dem Gebiet des Essens. Früh ehe man aufs
Feld geht, ißt man in der einen Gegend eine breiartige Suppe aus Mehl und
Milch, scherzweise "Sanftlieschen" genannt, in der andern Kartoffeln mit
Speck in Wasser gekocht, im Süden Butterbrot, wozu man Eichoricnkaffee
in Menge trinkt. Echter Kaffee wird selten getrunken; doch schreibt ihm der
Volksglaube große stärkende Kräfte zu. Nach jenem ersten Essen, dem "Morgen¬
brot", folgt gegen 8 Uhr tels "Hochimt". anch "Kleinmittag" genannt, bei
dem es Speck und Brot in Fülle, einen Schnaps oder auch selbst gebrautes
Bier gibt. Vorsorgliche Gemüther -- und das sind die Meisten -- nehmen
sich von da ein tüchtig Stück Brot mit zur Arbeit, für den Fall, daß der
Magen."grölen" sollte. Mittags 12 Uhr folgt die Hauptmahlzeit, die aus


buchenen Brüder in den zu jedem Gehöft gehörenden Kälber und gehen
nun allmälig in die Stellung bloßer Dienstboten über.

Gefreit wird fast immer nur nach praktischen Rücksichten. Selten verirrt
sich die Neigung eines Burschen zu einem Mädchen, welches den Eltern nicht
anstehen könnte; gewöhnlich wählt er eine aus demselben Dorfe, da eine
Fremde, wie man sich ausdrückt, „met armer Water böse" — mit anderen
Wasser getauft ist. Kaum kommt es vor. daß einer unter seinen Stand und
Vermögen verheirathet.

Einfach wie die geschilderten Verhältnisse ist auch das tägliche Leben der
Leute. Den Tag über nimmt sie die ländliche Arbeit in Anspruch. Nach der
Abendmahlzeit sehen sich im Sommer die jungen Leute vor die Hofthür und
erzählen sich „Lauschen und Riemels".- wie sie uns Fritz Reuter mitgetheilt
hat. An den langen Winterabenden bleibt man in der Stube, der Vater
liest bei einer Thranlampe oder einem Talglicht in einem Buch, die weiblichen
Hausgenossen spinnen oder schälen Kartoffeln, die Söhne schnitzen Löffel oder
flechten Weidenkörbe. Mitunter gibt ein witziger Kopf Räthsel oder aus der
Stadt mitgebrachte Kunststückchen zum Besten, häufiger spielen die Männer
Karten: Scherwenzel. Solo. Fünfkart. Schafskopf. Hund u. s. w. Jeder hat
die Mütze auf dem Kopf, die Pfeife mit ff. grünem Jägcrtabnk im Munde
und ist bemüht, die Atmosphäre in der niedrigen Stube so angenehm als
möglich zu machen, wozu bisweilen eine Brütgans hinter dem Ofen das Ihre
beiträgt.

Des Sonntags geht man früh zur Kirche, des Nachmittags in die Stadt
zum Einkauf, des Abends in den Krug, doch nur selten lange. Säufer sind
un Allgemeinen nicht häufig, obwol der Bauer nur beim größten Durst Wasser
trinkt. Sein gewöhnliches Getränk ist seibstgcbrautes säuerliches mit gelben
Wurzeln abgekochtes und versüßtes Bier und gelegentlich ein Schnaps. Letz¬
terer ist. wie Scorpionenöl äußerlich, ein Universalmittel für alle innern Uebel,
Zumal gegen „Wasser in den Stiefeln". Außerordeutlich sind die Leistungen
des mecklenburger Bauern auf dem Gebiet des Essens. Früh ehe man aufs
Feld geht, ißt man in der einen Gegend eine breiartige Suppe aus Mehl und
Milch, scherzweise „Sanftlieschen" genannt, in der andern Kartoffeln mit
Speck in Wasser gekocht, im Süden Butterbrot, wozu man Eichoricnkaffee
in Menge trinkt. Echter Kaffee wird selten getrunken; doch schreibt ihm der
Volksglaube große stärkende Kräfte zu. Nach jenem ersten Essen, dem „Morgen¬
brot", folgt gegen 8 Uhr tels „Hochimt". anch „Kleinmittag" genannt, bei
dem es Speck und Brot in Fülle, einen Schnaps oder auch selbst gebrautes
Bier gibt. Vorsorgliche Gemüther — und das sind die Meisten — nehmen
sich von da ein tüchtig Stück Brot mit zur Arbeit, für den Fall, daß der
Magen.„grölen" sollte. Mittags 12 Uhr folgt die Hauptmahlzeit, die aus


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[0103] buchenen Brüder in den zu jedem Gehöft gehörenden Kälber und gehen nun allmälig in die Stellung bloßer Dienstboten über. Gefreit wird fast immer nur nach praktischen Rücksichten. Selten verirrt sich die Neigung eines Burschen zu einem Mädchen, welches den Eltern nicht anstehen könnte; gewöhnlich wählt er eine aus demselben Dorfe, da eine Fremde, wie man sich ausdrückt, „met armer Water böse" — mit anderen Wasser getauft ist. Kaum kommt es vor. daß einer unter seinen Stand und Vermögen verheirathet. Einfach wie die geschilderten Verhältnisse ist auch das tägliche Leben der Leute. Den Tag über nimmt sie die ländliche Arbeit in Anspruch. Nach der Abendmahlzeit sehen sich im Sommer die jungen Leute vor die Hofthür und erzählen sich „Lauschen und Riemels".- wie sie uns Fritz Reuter mitgetheilt hat. An den langen Winterabenden bleibt man in der Stube, der Vater liest bei einer Thranlampe oder einem Talglicht in einem Buch, die weiblichen Hausgenossen spinnen oder schälen Kartoffeln, die Söhne schnitzen Löffel oder flechten Weidenkörbe. Mitunter gibt ein witziger Kopf Räthsel oder aus der Stadt mitgebrachte Kunststückchen zum Besten, häufiger spielen die Männer Karten: Scherwenzel. Solo. Fünfkart. Schafskopf. Hund u. s. w. Jeder hat die Mütze auf dem Kopf, die Pfeife mit ff. grünem Jägcrtabnk im Munde und ist bemüht, die Atmosphäre in der niedrigen Stube so angenehm als möglich zu machen, wozu bisweilen eine Brütgans hinter dem Ofen das Ihre beiträgt. Des Sonntags geht man früh zur Kirche, des Nachmittags in die Stadt zum Einkauf, des Abends in den Krug, doch nur selten lange. Säufer sind un Allgemeinen nicht häufig, obwol der Bauer nur beim größten Durst Wasser trinkt. Sein gewöhnliches Getränk ist seibstgcbrautes säuerliches mit gelben Wurzeln abgekochtes und versüßtes Bier und gelegentlich ein Schnaps. Letz¬ terer ist. wie Scorpionenöl äußerlich, ein Universalmittel für alle innern Uebel, Zumal gegen „Wasser in den Stiefeln". Außerordeutlich sind die Leistungen des mecklenburger Bauern auf dem Gebiet des Essens. Früh ehe man aufs Feld geht, ißt man in der einen Gegend eine breiartige Suppe aus Mehl und Milch, scherzweise „Sanftlieschen" genannt, in der andern Kartoffeln mit Speck in Wasser gekocht, im Süden Butterbrot, wozu man Eichoricnkaffee in Menge trinkt. Echter Kaffee wird selten getrunken; doch schreibt ihm der Volksglaube große stärkende Kräfte zu. Nach jenem ersten Essen, dem „Morgen¬ brot", folgt gegen 8 Uhr tels „Hochimt". anch „Kleinmittag" genannt, bei dem es Speck und Brot in Fülle, einen Schnaps oder auch selbst gebrautes Bier gibt. Vorsorgliche Gemüther — und das sind die Meisten — nehmen sich von da ein tüchtig Stück Brot mit zur Arbeit, für den Fall, daß der Magen.„grölen" sollte. Mittags 12 Uhr folgt die Hauptmahlzeit, die aus

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341793_110893/103>, abgerufen am 25.08.2024.