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Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, I. Semester. I. Band.

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des Kopfes schüsselartig bedeckenden Spanhutes. Das Mieder ist gleichfalls
schwarz, mit rothem oder schwarzem Bande umsäumt, an der Brust durch einen
bunten Latz (Boschen) geschlossen, das Tuch gewöhnlich bunt, Sonntags
schwarz, beim Abendmahl weiß. Die ganze Tracht ist entschieden weniger ge-
schmackvoll als die sächsische, namentlich sehen die großen Mützenstriche hä߬
lich aus, und das ist um so mehr zu beklagen, als die Frauen dieser Ge¬
genden schon an sich nicht hat wohlgestaltet sind, als die vom sächsischen
Stamm.

Die schwarze Tracht gestattet ferner weniger, als die bunte, sociale Unter¬
scheidungszeichen. Letztere läßt namentlich bei den Frauen den Stand recht
wol zeigen, und das will unter Bauern noch etwas bedeuten. Die Frau
des Husners. der seine vier oder sechs Pferde im Stall hat, ist etwas besseres,
als die des Büdners, der seinen kleinen Acker mit fremdem Geschirr bestellt,
diese wieder vornehmer, als die des Tagelöhners, der seine Parzelle mit dem
Spaten bearbeitet. "Schultenmutter" klingt ganz anders, als "Möllersch"
oder "Meiersch". Warum soll sie nicht auch ernster, würdiger auftreten, warum
ihre Stellung im Dorfe nicht außer einem stattlicheren "Dickbuk" (ein wohl¬
gerundeter Bauch ist dem mecklenburger Bauer ein Ehrenzeichen, das er sorg¬
sam pflegt) auch durch besonders viel Goldstickerei an Tuch und Mütze re-
präsentiren?

Wir folgen unserm Berichterstatter in das Familienleben. Da gilt zu¬
nächst, daß der Hausvater Herr im Hause ist. Er leitet namentlich die Ver¬
waltung des äußern, seine Frau die des innern Hauswesens. Zwischen den
Kindern jeden Geschlechts besteht eine feste Nangabstufung sowol hinsichtlich
ihrer Bedeutung in der Familie, wie hinsichtlich ihrer Beschäftigung. Der
älteste Sohn hat den nächsten Platz nach dem Vater und führt, sobald er er¬
wachsen, bei der Arbeit eine Art Oberaufsicht. Doch muß er, gleich seinen
Brüdern, von der Pike auf dienen, vom Gänsejungen zum Kuhjungen, von
dieser Würde zum Ochsen- oder Kleinknecht, endlich zum Pferde- oder Groß-
e'recht sich emporarbeiten. Ebenso die Töchter. Auch hier findet eine Stufen¬
folge statt, die mit dem Departement des Federviehs beginnt und mit dem
der Kühe endigt. Die Küche bleibt Reservat der Hausfrau. Von der Con-
firmation an bezieht jedes Kind seinen Dienstbotenlohn, der auf der obersten
Stufe für die Söhne 14--24 Thaler, für die Töchter 10--18 Thaler zu be¬
tragen pflegt. Ungern gibt der Bauer seine Kinder in fremden Dienst, und
sein Familiensinn geht so weit, daß er beim Mangel eigner Kinder lieber die
von Verwandten, als fremde Knechte oder Mägde ins Haus nimmt. Auch
wenn der Vater stirbt und der älteste Sohn die Wirthschaft übernimmt, blei¬
ben die Geschwister bei ihm, die Schwestern bis zu ihrer Verheirathung. die
Brüder über diese hinaus. Hcirathet der Erbe, so ziehen die bei ihm ver-


des Kopfes schüsselartig bedeckenden Spanhutes. Das Mieder ist gleichfalls
schwarz, mit rothem oder schwarzem Bande umsäumt, an der Brust durch einen
bunten Latz (Boschen) geschlossen, das Tuch gewöhnlich bunt, Sonntags
schwarz, beim Abendmahl weiß. Die ganze Tracht ist entschieden weniger ge-
schmackvoll als die sächsische, namentlich sehen die großen Mützenstriche hä߬
lich aus, und das ist um so mehr zu beklagen, als die Frauen dieser Ge¬
genden schon an sich nicht hat wohlgestaltet sind, als die vom sächsischen
Stamm.

Die schwarze Tracht gestattet ferner weniger, als die bunte, sociale Unter¬
scheidungszeichen. Letztere läßt namentlich bei den Frauen den Stand recht
wol zeigen, und das will unter Bauern noch etwas bedeuten. Die Frau
des Husners. der seine vier oder sechs Pferde im Stall hat, ist etwas besseres,
als die des Büdners, der seinen kleinen Acker mit fremdem Geschirr bestellt,
diese wieder vornehmer, als die des Tagelöhners, der seine Parzelle mit dem
Spaten bearbeitet. „Schultenmutter" klingt ganz anders, als „Möllersch"
oder „Meiersch". Warum soll sie nicht auch ernster, würdiger auftreten, warum
ihre Stellung im Dorfe nicht außer einem stattlicheren „Dickbuk" (ein wohl¬
gerundeter Bauch ist dem mecklenburger Bauer ein Ehrenzeichen, das er sorg¬
sam pflegt) auch durch besonders viel Goldstickerei an Tuch und Mütze re-
präsentiren?

Wir folgen unserm Berichterstatter in das Familienleben. Da gilt zu¬
nächst, daß der Hausvater Herr im Hause ist. Er leitet namentlich die Ver¬
waltung des äußern, seine Frau die des innern Hauswesens. Zwischen den
Kindern jeden Geschlechts besteht eine feste Nangabstufung sowol hinsichtlich
ihrer Bedeutung in der Familie, wie hinsichtlich ihrer Beschäftigung. Der
älteste Sohn hat den nächsten Platz nach dem Vater und führt, sobald er er¬
wachsen, bei der Arbeit eine Art Oberaufsicht. Doch muß er, gleich seinen
Brüdern, von der Pike auf dienen, vom Gänsejungen zum Kuhjungen, von
dieser Würde zum Ochsen- oder Kleinknecht, endlich zum Pferde- oder Groß-
e'recht sich emporarbeiten. Ebenso die Töchter. Auch hier findet eine Stufen¬
folge statt, die mit dem Departement des Federviehs beginnt und mit dem
der Kühe endigt. Die Küche bleibt Reservat der Hausfrau. Von der Con-
firmation an bezieht jedes Kind seinen Dienstbotenlohn, der auf der obersten
Stufe für die Söhne 14—24 Thaler, für die Töchter 10—18 Thaler zu be¬
tragen pflegt. Ungern gibt der Bauer seine Kinder in fremden Dienst, und
sein Familiensinn geht so weit, daß er beim Mangel eigner Kinder lieber die
von Verwandten, als fremde Knechte oder Mägde ins Haus nimmt. Auch
wenn der Vater stirbt und der älteste Sohn die Wirthschaft übernimmt, blei¬
ben die Geschwister bei ihm, die Schwestern bis zu ihrer Verheirathung. die
Brüder über diese hinaus. Hcirathet der Erbe, so ziehen die bei ihm ver-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341793_110893/102>, abgerufen am 25.08.2024.