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Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, I. Semester. I. Band.

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Wolle vor: Bvmsied oder Fünfkamm, noch Art des Atlas gewebt, indem
die Fäden des fünften Kammes über'die andern fallen, ein sehr dauerhaftes
Gewebe. Vierkamm oder Rasch, vorzüglich zu Beinkleidern benutzt, Flanell,
gewöhnlich zu Frauenröcken verwendet, endlich Fcmdcrdauk, dem Flanell
ähnlich, aber mit einem leinenen Aufzug von zwei Fäden, Sehr stark und
meist schwarz gefärbt, dient es besonders den "schwarzen" Bauern bei Rostock
zu Rocken. Die Männer tragen im Allgemeinen ungefärbte Leinwand, die in
der Gegend zwischen Güstrow, Dargun und Stavenhagen gebleicht, sonst
aber in der ursprünglichen' grauen Farbe gebraucht wird. Ausnahmen bilden
jene schwarzen Bauern bei Rostock und Doberan, sowie die braunen im Natze-
burgischen. Zur alten Tracht gehört ein kleiner runder Hut mit schmalem
Rande. Derselbe hat jetzt an vielen Orten der gewöhnlichen Schirmmütze
Platz gemacht und findet sich nur noch fast allgemein bei den Biestower
Bauern, wo er bei den Jungesellen mit einer weißen, bei den verheiratheten
Männern mit einer schwarzen Schnur eingefaßt ist. Früher trug man nur
wollene Strümpfe und Schuhe, jetzt hat diese beinahe überall der hohe
Stiefel verdrängt. Hauptstück der Volkstracht ist der lange Kittel von
halbwollenem Zeug, der Sonntags mit einem Tuchrock, bei der Arbeit
mit einer Schooßjacke vertauscht wird. Er ist das einzige Kleidungs¬
stück, für welches man eine scherzende Bezeichnung hat. Das Volk nennt ihn
"de olle Jakob". Regenschirme sind e,rst seit Kurzem in Gebrauch, dagegen
gehört schon seit lange zum Sonntagsstaat eines wohlhabenden Bauern die
Pfeife mit dem silberbeschlagenen Meerschaumkopf.

Interessanter und kleidsamer ist die Tracht der Mädchen und Frauen,
unter denen man in manchen Gegenden ungewöhnlich vielen regelmäßig ge¬
bildeten Gesichtern und schlanken Gestalten begegnet. Betrachten wir ein
junges Mädchen in der sächsischen (bunten) Tracht. Den Hinterkopf bedeckt
eine kleine Pappmützc (Klöppel), die mit reicher Goldstickerei und vielen aus
den Rücken herabhängenden seidnen Bändern (Start) geschmückt ist. Die
Stirn faßt ein schmaler, fein gekräuselter "Strich" ein, der von den Schläfen
abwärts etwas weiter wird. Die Brust ist mit einem niedrigen Mieder
(Jope) bedeckt, das mit schwarzem oder buntem Band umsäumt ist, und unter
welches die Zipfel des um den Hals geschlungenen, häufig mit Gold- und
Seidenfaden gestickten Halstuches gesteckt werden. Eine herzförmige, mit
Steinen besetzte Schnalle hält letzteres zusammen. Die langen bauschigen
Aermel des Mieders sind oft unter mit silbernen Knöpfen versehen. Der
kurze Rock hat am Schweif einen handbreiten Bandbesatz, dessen Farbe nach
den Verhältnissen wechselt, bald schwarz, bald bunt ist. Schürze und Hals¬
tuch sind bei Leichenbegängnissen weiß, die Strümpfe früher roth, jetzt eben¬
falls weiß, die Schuhe sehr stark ausgeschnitten, mit Schnallen versehen und


Wolle vor: Bvmsied oder Fünfkamm, noch Art des Atlas gewebt, indem
die Fäden des fünften Kammes über'die andern fallen, ein sehr dauerhaftes
Gewebe. Vierkamm oder Rasch, vorzüglich zu Beinkleidern benutzt, Flanell,
gewöhnlich zu Frauenröcken verwendet, endlich Fcmdcrdauk, dem Flanell
ähnlich, aber mit einem leinenen Aufzug von zwei Fäden, Sehr stark und
meist schwarz gefärbt, dient es besonders den „schwarzen" Bauern bei Rostock
zu Rocken. Die Männer tragen im Allgemeinen ungefärbte Leinwand, die in
der Gegend zwischen Güstrow, Dargun und Stavenhagen gebleicht, sonst
aber in der ursprünglichen' grauen Farbe gebraucht wird. Ausnahmen bilden
jene schwarzen Bauern bei Rostock und Doberan, sowie die braunen im Natze-
burgischen. Zur alten Tracht gehört ein kleiner runder Hut mit schmalem
Rande. Derselbe hat jetzt an vielen Orten der gewöhnlichen Schirmmütze
Platz gemacht und findet sich nur noch fast allgemein bei den Biestower
Bauern, wo er bei den Jungesellen mit einer weißen, bei den verheiratheten
Männern mit einer schwarzen Schnur eingefaßt ist. Früher trug man nur
wollene Strümpfe und Schuhe, jetzt hat diese beinahe überall der hohe
Stiefel verdrängt. Hauptstück der Volkstracht ist der lange Kittel von
halbwollenem Zeug, der Sonntags mit einem Tuchrock, bei der Arbeit
mit einer Schooßjacke vertauscht wird. Er ist das einzige Kleidungs¬
stück, für welches man eine scherzende Bezeichnung hat. Das Volk nennt ihn
„de olle Jakob". Regenschirme sind e,rst seit Kurzem in Gebrauch, dagegen
gehört schon seit lange zum Sonntagsstaat eines wohlhabenden Bauern die
Pfeife mit dem silberbeschlagenen Meerschaumkopf.

Interessanter und kleidsamer ist die Tracht der Mädchen und Frauen,
unter denen man in manchen Gegenden ungewöhnlich vielen regelmäßig ge¬
bildeten Gesichtern und schlanken Gestalten begegnet. Betrachten wir ein
junges Mädchen in der sächsischen (bunten) Tracht. Den Hinterkopf bedeckt
eine kleine Pappmützc (Klöppel), die mit reicher Goldstickerei und vielen aus
den Rücken herabhängenden seidnen Bändern (Start) geschmückt ist. Die
Stirn faßt ein schmaler, fein gekräuselter „Strich" ein, der von den Schläfen
abwärts etwas weiter wird. Die Brust ist mit einem niedrigen Mieder
(Jope) bedeckt, das mit schwarzem oder buntem Band umsäumt ist, und unter
welches die Zipfel des um den Hals geschlungenen, häufig mit Gold- und
Seidenfaden gestickten Halstuches gesteckt werden. Eine herzförmige, mit
Steinen besetzte Schnalle hält letzteres zusammen. Die langen bauschigen
Aermel des Mieders sind oft unter mit silbernen Knöpfen versehen. Der
kurze Rock hat am Schweif einen handbreiten Bandbesatz, dessen Farbe nach
den Verhältnissen wechselt, bald schwarz, bald bunt ist. Schürze und Hals¬
tuch sind bei Leichenbegängnissen weiß, die Strümpfe früher roth, jetzt eben¬
falls weiß, die Schuhe sehr stark ausgeschnitten, mit Schnallen versehen und


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341793_110893/100>, abgerufen am 25.08.2024.