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Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, II. Semester. IV. Band.

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treter ihrer Hintersassen und Städte betrachtete, jedoch nicht als Vertreter des
ganzen Landes und der Bewohner desselben. Der Erbvergleich ist demnach keine
Staatsverfassungsurkundc, wie es auf dem außerordentlichen Landtage des
Jahres 1848 die Stände, und namentlich auch die Ritterschaft selbst mit fol¬
genden Worten aussprachen, "daß sie nur sich und unmittelbar ihre Angehö¬
rigen vermöge des ihnen zustehenden Rechtes, und somit nur die dahin ge¬
hörigen Interessen vertreten."

Aus freier Entschließung und völlig ungezwungen erkannten die Stände,
auf diesem Ausspruche fußend, den Widerspruch, in welchem ihre Vertretung
mit dem Begriffe einer wahren Landesvertretung steht. Sie lösten sich im
Jahre 1848 deshalb ohne ausdrücklichen Vorbehalt,*) mit einstimmiger Bil¬
ligung des desfallsigen Beschlusses, auf. Am 10. October 1849 wurde ein
neues, mit der inzwischen zusammengetretenen Abgeordnetenversammluug be¬
rathenes Staatsgrnndgesetz publicirt, jedoch in Folge des bekannten Freien-
walderschiedsspruchs am 14. September 1850 gleichfalls wieder aufgehoben.
Die alten Stände traten darauf wieder zusammen, jedoch ausgesprochner
Maßen nicht zu dem Zwecke, um in der früheren Weise weiter zu bestehn,
sondern nur, um zur Berathung einer neuen, dem Geiste der Gegenwart ent¬
sprechenderen Verfassung behilflich zu sein. Daß dies wirklich der Zweck, we¬
nigstens der Hauptzweck ihres damals erneuerten Zusnmmentretens war, sagt
das h. Publicandum vom 14. September 1850 ausdrücklich mit folgenden
Wörtern "Wir werden ungesäumt die erforderlichen Einleitungen treffen, da¬
mit das Werk der Reform der ständischen Vertretung und der Landesverfass¬
ung, welches auf dem außerordentlichen Landtage des Frühjahres 1848 be¬
gonnen wurde, unter verfassungsmäßiger Mitwirkung Unserer getreuen Stände
wieder aufgenommen werde." Diese Worte lassen nur die obige Deutung zu.
An den a. o. Landtag des Jahres 1848 sollten die wieder zusammengetrete¬
nen Stände anknüpfen, also an diesen Landtag, dessen Berufung nur ge¬
schehn war, um den bisher unberücksichtigt gebliebenen Interessen des Landes
zu genügen, dessen Resultat die -- freilich nur einstweilige, aber unbe¬
dingte -- Aufhebung der ständischen Verfassung war. und auf welchem die
Stände eine Höhe der Selbsterkenntniß offenbart hatten, die sich in den oben
angeführten Worten zur Genüge darlegt und beiläufig in der mecklenburgischen
Geschichte unerhört ist. Auf dem a. o. Landtage 1843 war nicht nur von
ihnen die Nothwendigkeit einer Verfassungsreform anerkannt, es füßle sogar
der ständische Widerstand gegen die mit der Abgeordnetenversammluug ver¬
einbarte Verfassung mit auf der Anerkennung dieser Nothwendigkeit?, insofern
gegen jene Verfassung eben nur der Einwurf erhoben wurde, daß sie ohne
ständische Begutachtung zu Stande gekommen sei. Der freienwalder Schieds-
Vrg>. I. Wiggcrs, Vr7 Das Verfassungsrecht in Großh. Mecklenburg-Schwerin.


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treter ihrer Hintersassen und Städte betrachtete, jedoch nicht als Vertreter des
ganzen Landes und der Bewohner desselben. Der Erbvergleich ist demnach keine
Staatsverfassungsurkundc, wie es auf dem außerordentlichen Landtage des
Jahres 1848 die Stände, und namentlich auch die Ritterschaft selbst mit fol¬
genden Worten aussprachen, „daß sie nur sich und unmittelbar ihre Angehö¬
rigen vermöge des ihnen zustehenden Rechtes, und somit nur die dahin ge¬
hörigen Interessen vertreten."

Aus freier Entschließung und völlig ungezwungen erkannten die Stände,
auf diesem Ausspruche fußend, den Widerspruch, in welchem ihre Vertretung
mit dem Begriffe einer wahren Landesvertretung steht. Sie lösten sich im
Jahre 1848 deshalb ohne ausdrücklichen Vorbehalt,*) mit einstimmiger Bil¬
ligung des desfallsigen Beschlusses, auf. Am 10. October 1849 wurde ein
neues, mit der inzwischen zusammengetretenen Abgeordnetenversammluug be¬
rathenes Staatsgrnndgesetz publicirt, jedoch in Folge des bekannten Freien-
walderschiedsspruchs am 14. September 1850 gleichfalls wieder aufgehoben.
Die alten Stände traten darauf wieder zusammen, jedoch ausgesprochner
Maßen nicht zu dem Zwecke, um in der früheren Weise weiter zu bestehn,
sondern nur, um zur Berathung einer neuen, dem Geiste der Gegenwart ent¬
sprechenderen Verfassung behilflich zu sein. Daß dies wirklich der Zweck, we¬
nigstens der Hauptzweck ihres damals erneuerten Zusnmmentretens war, sagt
das h. Publicandum vom 14. September 1850 ausdrücklich mit folgenden
Wörtern „Wir werden ungesäumt die erforderlichen Einleitungen treffen, da¬
mit das Werk der Reform der ständischen Vertretung und der Landesverfass¬
ung, welches auf dem außerordentlichen Landtage des Frühjahres 1848 be¬
gonnen wurde, unter verfassungsmäßiger Mitwirkung Unserer getreuen Stände
wieder aufgenommen werde." Diese Worte lassen nur die obige Deutung zu.
An den a. o. Landtag des Jahres 1848 sollten die wieder zusammengetrete¬
nen Stände anknüpfen, also an diesen Landtag, dessen Berufung nur ge¬
schehn war, um den bisher unberücksichtigt gebliebenen Interessen des Landes
zu genügen, dessen Resultat die — freilich nur einstweilige, aber unbe¬
dingte — Aufhebung der ständischen Verfassung war. und auf welchem die
Stände eine Höhe der Selbsterkenntniß offenbart hatten, die sich in den oben
angeführten Worten zur Genüge darlegt und beiläufig in der mecklenburgischen
Geschichte unerhört ist. Auf dem a. o. Landtage 1843 war nicht nur von
ihnen die Nothwendigkeit einer Verfassungsreform anerkannt, es füßle sogar
der ständische Widerstand gegen die mit der Abgeordnetenversammluug ver¬
einbarte Verfassung mit auf der Anerkennung dieser Nothwendigkeit?, insofern
gegen jene Verfassung eben nur der Einwurf erhoben wurde, daß sie ohne
ständische Begutachtung zu Stande gekommen sei. Der freienwalder Schieds-
Vrg>. I. Wiggcrs, Vr7 Das Verfassungsrecht in Großh. Mecklenburg-Schwerin.


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[0095] treter ihrer Hintersassen und Städte betrachtete, jedoch nicht als Vertreter des ganzen Landes und der Bewohner desselben. Der Erbvergleich ist demnach keine Staatsverfassungsurkundc, wie es auf dem außerordentlichen Landtage des Jahres 1848 die Stände, und namentlich auch die Ritterschaft selbst mit fol¬ genden Worten aussprachen, „daß sie nur sich und unmittelbar ihre Angehö¬ rigen vermöge des ihnen zustehenden Rechtes, und somit nur die dahin ge¬ hörigen Interessen vertreten." Aus freier Entschließung und völlig ungezwungen erkannten die Stände, auf diesem Ausspruche fußend, den Widerspruch, in welchem ihre Vertretung mit dem Begriffe einer wahren Landesvertretung steht. Sie lösten sich im Jahre 1848 deshalb ohne ausdrücklichen Vorbehalt,*) mit einstimmiger Bil¬ ligung des desfallsigen Beschlusses, auf. Am 10. October 1849 wurde ein neues, mit der inzwischen zusammengetretenen Abgeordnetenversammluug be¬ rathenes Staatsgrnndgesetz publicirt, jedoch in Folge des bekannten Freien- walderschiedsspruchs am 14. September 1850 gleichfalls wieder aufgehoben. Die alten Stände traten darauf wieder zusammen, jedoch ausgesprochner Maßen nicht zu dem Zwecke, um in der früheren Weise weiter zu bestehn, sondern nur, um zur Berathung einer neuen, dem Geiste der Gegenwart ent¬ sprechenderen Verfassung behilflich zu sein. Daß dies wirklich der Zweck, we¬ nigstens der Hauptzweck ihres damals erneuerten Zusnmmentretens war, sagt das h. Publicandum vom 14. September 1850 ausdrücklich mit folgenden Wörtern „Wir werden ungesäumt die erforderlichen Einleitungen treffen, da¬ mit das Werk der Reform der ständischen Vertretung und der Landesverfass¬ ung, welches auf dem außerordentlichen Landtage des Frühjahres 1848 be¬ gonnen wurde, unter verfassungsmäßiger Mitwirkung Unserer getreuen Stände wieder aufgenommen werde." Diese Worte lassen nur die obige Deutung zu. An den a. o. Landtag des Jahres 1848 sollten die wieder zusammengetrete¬ nen Stände anknüpfen, also an diesen Landtag, dessen Berufung nur ge¬ schehn war, um den bisher unberücksichtigt gebliebenen Interessen des Landes zu genügen, dessen Resultat die — freilich nur einstweilige, aber unbe¬ dingte — Aufhebung der ständischen Verfassung war. und auf welchem die Stände eine Höhe der Selbsterkenntniß offenbart hatten, die sich in den oben angeführten Worten zur Genüge darlegt und beiläufig in der mecklenburgischen Geschichte unerhört ist. Auf dem a. o. Landtage 1843 war nicht nur von ihnen die Nothwendigkeit einer Verfassungsreform anerkannt, es füßle sogar der ständische Widerstand gegen die mit der Abgeordnetenversammluug ver¬ einbarte Verfassung mit auf der Anerkennung dieser Nothwendigkeit?, insofern gegen jene Verfassung eben nur der Einwurf erhoben wurde, daß sie ohne ständische Begutachtung zu Stande gekommen sei. Der freienwalder Schieds- Vrg>. I. Wiggcrs, Vr7 Das Verfassungsrecht in Großh. Mecklenburg-Schwerin. 11*

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341594_110347/95>, abgerufen am 15.01.2025.