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Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, II. Semester. IV. Band.

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an der Ausübung eines Handwerks behindert waren. Die anfängliche Noth¬
wendigkeit ward bald zur Gewohnheit, welche Lykurg zum bindenden Gesetz
erhob, und je weiter im Laufe der Zeit die Kluft, je untilgbarer der Haß
ward zwischen Siegern und Besiegten, desto schroffer erhob sich der Spartiat
in stolzem Selbstbewußtsein, mit um so tiefrer Verachtung blickte er herab auf
die Arbeit, die eines freien Bürgers unwürdig sei. Die Bestellung der Aecker
und die Betreibung der Handwerke war sonnt im Süden des Peloponnes
durchaus aus die halbfreien Periöken und die unfreien Heloten beschränkt, und
es ist nur zu verwundern, daß dieser Umstand sowie die Heranziehung der Ersteren
zu Kriegsdiensten und die gelegentlichen Gewaltmaßregeln gegen Letztere, vor
Allem der oft blutige Gensdarmeudienst der Krypteia, einer gedeihlichen Ent¬
faltung der Arbeitsthätigkeit nicht noch hinderlicher waren. Aehnliche Verhält¬
nisse mögen in den meisten andern dorischen Staaten und in Kreta, sowie in
dem von einer stolzen Adelsoligarchie beherrschten Thessalien stattgefunden,haben.
Korinth allein machte hiervon eine bemerkenswerthe Ausnahme; die Einträg¬
lichkeit der Gewerbe hatte dort frühzeitig auch eine höhere Schätzung derselben
gelehrt, und der Mangel ausgedehnten Grundbesitzes wies von selbst auf die
Pflege der Handwerke und aus kaufmännische Unternehmungen hin. In der
korinthischen Kolonie Epidauros hingegen gab es keine Handwerker außer deu
öffentlichen Sklaven.

Natürlich mußten diese tiefgreifenden Umwandlungen im Peloponnes so¬
wie im Norden des eigentlichen Hellas einen wesentlichen Einfluß üben auch
auf die Staaten nicht dorischer Bevölkerung. Der steten Kriegsbereitschaft
der Spartaner gegenüber war man, um die politische Selbständigkeit wahren
und sich früher oder später von der lakcdämonischen Hegemonie emancipiren
zu können, zu einer ähnlichen Wehrhaftmachung der gesammten freien Bürger¬
schaft genöthigt. In Böotien war oh"edles eine gewisse Herrschaft der spä¬
ter eingedrungenen Aeolicr über die ältern Landeseinwohner, wenn auch nicht
in so ausgeprägter Weise wie in Lakonien und Messenien, gegeben. Lokris
und Phokis mögen zwar, wenigstens in früherer Zeit, weder das Verhältniß
der Leibeigenschaft noch das der Sklaverei gekannt haben, doch waren diese
Staaten zu klein und zu wenig befähigt zu einem großartigen Eingreifen in
die culturgeschichtliche Entwicklung Gesammtgriechcnlands, als daß die Aus¬
nahme, die sie bildeten, von irgend welcher Bedeutung hätte sein können.
Die wilden Aetolier vollends und die rauhen Atarnanen können hier ebenso
wenig in Betracht kommen, als die Verhältnisse der Epiroten für uns In¬
teresse haben. Wol aber sind die Zustände in Attika von hoher Wichtigkeit.

In diesem kleinen, von der Natur nicht eben reich gesegneten Lande von
kaum 40 Quadratmeilen wurden Sklaven ohne Zweifel schon lange vor der
solonischen Zeit, jedoch wol meist nur zu persönlicher Bedienung der Vorneh-


an der Ausübung eines Handwerks behindert waren. Die anfängliche Noth¬
wendigkeit ward bald zur Gewohnheit, welche Lykurg zum bindenden Gesetz
erhob, und je weiter im Laufe der Zeit die Kluft, je untilgbarer der Haß
ward zwischen Siegern und Besiegten, desto schroffer erhob sich der Spartiat
in stolzem Selbstbewußtsein, mit um so tiefrer Verachtung blickte er herab auf
die Arbeit, die eines freien Bürgers unwürdig sei. Die Bestellung der Aecker
und die Betreibung der Handwerke war sonnt im Süden des Peloponnes
durchaus aus die halbfreien Periöken und die unfreien Heloten beschränkt, und
es ist nur zu verwundern, daß dieser Umstand sowie die Heranziehung der Ersteren
zu Kriegsdiensten und die gelegentlichen Gewaltmaßregeln gegen Letztere, vor
Allem der oft blutige Gensdarmeudienst der Krypteia, einer gedeihlichen Ent¬
faltung der Arbeitsthätigkeit nicht noch hinderlicher waren. Aehnliche Verhält¬
nisse mögen in den meisten andern dorischen Staaten und in Kreta, sowie in
dem von einer stolzen Adelsoligarchie beherrschten Thessalien stattgefunden,haben.
Korinth allein machte hiervon eine bemerkenswerthe Ausnahme; die Einträg¬
lichkeit der Gewerbe hatte dort frühzeitig auch eine höhere Schätzung derselben
gelehrt, und der Mangel ausgedehnten Grundbesitzes wies von selbst auf die
Pflege der Handwerke und aus kaufmännische Unternehmungen hin. In der
korinthischen Kolonie Epidauros hingegen gab es keine Handwerker außer deu
öffentlichen Sklaven.

Natürlich mußten diese tiefgreifenden Umwandlungen im Peloponnes so¬
wie im Norden des eigentlichen Hellas einen wesentlichen Einfluß üben auch
auf die Staaten nicht dorischer Bevölkerung. Der steten Kriegsbereitschaft
der Spartaner gegenüber war man, um die politische Selbständigkeit wahren
und sich früher oder später von der lakcdämonischen Hegemonie emancipiren
zu können, zu einer ähnlichen Wehrhaftmachung der gesammten freien Bürger¬
schaft genöthigt. In Böotien war oh»edles eine gewisse Herrschaft der spä¬
ter eingedrungenen Aeolicr über die ältern Landeseinwohner, wenn auch nicht
in so ausgeprägter Weise wie in Lakonien und Messenien, gegeben. Lokris
und Phokis mögen zwar, wenigstens in früherer Zeit, weder das Verhältniß
der Leibeigenschaft noch das der Sklaverei gekannt haben, doch waren diese
Staaten zu klein und zu wenig befähigt zu einem großartigen Eingreifen in
die culturgeschichtliche Entwicklung Gesammtgriechcnlands, als daß die Aus¬
nahme, die sie bildeten, von irgend welcher Bedeutung hätte sein können.
Die wilden Aetolier vollends und die rauhen Atarnanen können hier ebenso
wenig in Betracht kommen, als die Verhältnisse der Epiroten für uns In¬
teresse haben. Wol aber sind die Zustände in Attika von hoher Wichtigkeit.

In diesem kleinen, von der Natur nicht eben reich gesegneten Lande von
kaum 40 Quadratmeilen wurden Sklaven ohne Zweifel schon lange vor der
solonischen Zeit, jedoch wol meist nur zu persönlicher Bedienung der Vorneh-


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[0074] an der Ausübung eines Handwerks behindert waren. Die anfängliche Noth¬ wendigkeit ward bald zur Gewohnheit, welche Lykurg zum bindenden Gesetz erhob, und je weiter im Laufe der Zeit die Kluft, je untilgbarer der Haß ward zwischen Siegern und Besiegten, desto schroffer erhob sich der Spartiat in stolzem Selbstbewußtsein, mit um so tiefrer Verachtung blickte er herab auf die Arbeit, die eines freien Bürgers unwürdig sei. Die Bestellung der Aecker und die Betreibung der Handwerke war sonnt im Süden des Peloponnes durchaus aus die halbfreien Periöken und die unfreien Heloten beschränkt, und es ist nur zu verwundern, daß dieser Umstand sowie die Heranziehung der Ersteren zu Kriegsdiensten und die gelegentlichen Gewaltmaßregeln gegen Letztere, vor Allem der oft blutige Gensdarmeudienst der Krypteia, einer gedeihlichen Ent¬ faltung der Arbeitsthätigkeit nicht noch hinderlicher waren. Aehnliche Verhält¬ nisse mögen in den meisten andern dorischen Staaten und in Kreta, sowie in dem von einer stolzen Adelsoligarchie beherrschten Thessalien stattgefunden,haben. Korinth allein machte hiervon eine bemerkenswerthe Ausnahme; die Einträg¬ lichkeit der Gewerbe hatte dort frühzeitig auch eine höhere Schätzung derselben gelehrt, und der Mangel ausgedehnten Grundbesitzes wies von selbst auf die Pflege der Handwerke und aus kaufmännische Unternehmungen hin. In der korinthischen Kolonie Epidauros hingegen gab es keine Handwerker außer deu öffentlichen Sklaven. Natürlich mußten diese tiefgreifenden Umwandlungen im Peloponnes so¬ wie im Norden des eigentlichen Hellas einen wesentlichen Einfluß üben auch auf die Staaten nicht dorischer Bevölkerung. Der steten Kriegsbereitschaft der Spartaner gegenüber war man, um die politische Selbständigkeit wahren und sich früher oder später von der lakcdämonischen Hegemonie emancipiren zu können, zu einer ähnlichen Wehrhaftmachung der gesammten freien Bürger¬ schaft genöthigt. In Böotien war oh»edles eine gewisse Herrschaft der spä¬ ter eingedrungenen Aeolicr über die ältern Landeseinwohner, wenn auch nicht in so ausgeprägter Weise wie in Lakonien und Messenien, gegeben. Lokris und Phokis mögen zwar, wenigstens in früherer Zeit, weder das Verhältniß der Leibeigenschaft noch das der Sklaverei gekannt haben, doch waren diese Staaten zu klein und zu wenig befähigt zu einem großartigen Eingreifen in die culturgeschichtliche Entwicklung Gesammtgriechcnlands, als daß die Aus¬ nahme, die sie bildeten, von irgend welcher Bedeutung hätte sein können. Die wilden Aetolier vollends und die rauhen Atarnanen können hier ebenso wenig in Betracht kommen, als die Verhältnisse der Epiroten für uns In¬ teresse haben. Wol aber sind die Zustände in Attika von hoher Wichtigkeit. In diesem kleinen, von der Natur nicht eben reich gesegneten Lande von kaum 40 Quadratmeilen wurden Sklaven ohne Zweifel schon lange vor der solonischen Zeit, jedoch wol meist nur zu persönlicher Bedienung der Vorneh-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341594_110347/74>, abgerufen am 15.01.2025.