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Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, II. Semester. IV. Band.

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ist es ein ungeheurer Gewinn, wenn ein Blitzstrahl die Lage entdeckt; den"
man kann umkehren. -- Mit dem letzten Militärsystem kann Oestreich nicht
fortregieren, das weiß es jetzt. Auch ist es zu liberalen Einrichtungen jeder
Art erbötig, es hat sich mir noch nicht recht klar gemacht, welche man wünscht.
Schmerling ist Minister, und Schmerling hat, abgesehn von sonstigen Vor¬
zügen, noch das voraus, daß er Deutschland kennt. -- Vielleicht wird er seine
College" darauf aufmerksam'machen, daß auf Nußland, auf Frankreich, auf
England nicht zu bauen ist; daß, wenn noch irgend eine Hoffnung "gefaßt
werden sollte, diese Hoffnung auf Deutschland ruht, aus Deutschland, d. h.
auf Preußen. -- Ein absolutistisches Cabinet hat den Bundesbeschluß in der
kurhessischen Frage veranlaßt; das neue "liberale" Cabinet kann, ohne sich
etwas zu vergeben, in Anbetracht der veränderten Umstände jetzt im Einver-
ständniß mit Preußen einen andern Bundesbeschluß zuwege bringen.

Was nun die Mittelstädten betrifft, so müssen ti-e Freunde der Freiheit,
der Ordnung und des Fortschritts erwägen, daß die Regierungen derselben
von den Wünschen ihrer Völker noch lange nicht hinreichend in Kenntniß ge¬
setzt sind. Man glaube nicht, seine Pflicht gethan zu haben, wenn man über
Preußen die Nase rümpft, und dann behaglich und mit dem Bewußtsein einer
großen That die Hände in die Tasche steckt. Wenn wir nicht vorwärts kom¬
men, hat das Volk mehr Schuld als die Regierungen.

Es sind freilich Beifallsadrcssen an die kurhessischen Liberalen von hier
und dn eingegangen; diese werden ihren Eindruck auf das Gemüth nicht ver¬
fehlen, aber ihre gesetzliche Wirkung ist null lind nichtig. -- Für gesetzliche,
und, was dasselbe heißt, factische Wirkung gibt es nur ein Mittel.

Der Bürger von Sachsen, Hannover, Würtemberg u. s. w. hat es zu¬
nächst nur mit seiner eignen Regierung zu thun. -- Wenn er die Ueber¬
zeugung hat, daß zur Erhaltung Deutschlands, also auch zur Erhaltung des
eignen Staats, die Wiederherstellung der Ordnung in Kurhessen nothwendig
ist. so hat er diese Ueberzeugung seiner eignen Regierung auszudrücken;
entweder durch Vermittelung des gesetzlichen Organs, wo ein solches vorhan¬
den ist, des Landtags; oder unmittelbar, in der Form einer Petition.

Der Abgeordnete Cichorius aus Leipzig hat in der sächsischen Kammer
den Antrag gestellt: die Regierung zu ersuchen. in Anbetracht, daß nur so der
Friede herzustellen ist, ihren Gesandten am Bunde dahin zu instruiren, das;
der vorige Bundcsbeschluß zurückzunehmen und die Nechtsgiltigkeit der Ver¬
fassung von 1831 anzuerkennen ist. -- Der Antrag ist in allen Motiven
äußerst gemäßigt, übrigens logisch correct gestellt. -- Er würde auf die Re¬
gierung einen viel großem Eindruck machen, wenn sie erführe, daß er in
ihrem ganzen Lande, wo überhaupt politische Bildung herrscht, auch an con-
servativen Kreisen (womit wir natürlich nicht die Kreise des Junkerthnms


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ist es ein ungeheurer Gewinn, wenn ein Blitzstrahl die Lage entdeckt; den»
man kann umkehren. — Mit dem letzten Militärsystem kann Oestreich nicht
fortregieren, das weiß es jetzt. Auch ist es zu liberalen Einrichtungen jeder
Art erbötig, es hat sich mir noch nicht recht klar gemacht, welche man wünscht.
Schmerling ist Minister, und Schmerling hat, abgesehn von sonstigen Vor¬
zügen, noch das voraus, daß er Deutschland kennt. — Vielleicht wird er seine
College» darauf aufmerksam'machen, daß auf Nußland, auf Frankreich, auf
England nicht zu bauen ist; daß, wenn noch irgend eine Hoffnung «gefaßt
werden sollte, diese Hoffnung auf Deutschland ruht, aus Deutschland, d. h.
auf Preußen. — Ein absolutistisches Cabinet hat den Bundesbeschluß in der
kurhessischen Frage veranlaßt; das neue „liberale" Cabinet kann, ohne sich
etwas zu vergeben, in Anbetracht der veränderten Umstände jetzt im Einver-
ständniß mit Preußen einen andern Bundesbeschluß zuwege bringen.

Was nun die Mittelstädten betrifft, so müssen ti-e Freunde der Freiheit,
der Ordnung und des Fortschritts erwägen, daß die Regierungen derselben
von den Wünschen ihrer Völker noch lange nicht hinreichend in Kenntniß ge¬
setzt sind. Man glaube nicht, seine Pflicht gethan zu haben, wenn man über
Preußen die Nase rümpft, und dann behaglich und mit dem Bewußtsein einer
großen That die Hände in die Tasche steckt. Wenn wir nicht vorwärts kom¬
men, hat das Volk mehr Schuld als die Regierungen.

Es sind freilich Beifallsadrcssen an die kurhessischen Liberalen von hier
und dn eingegangen; diese werden ihren Eindruck auf das Gemüth nicht ver¬
fehlen, aber ihre gesetzliche Wirkung ist null lind nichtig. — Für gesetzliche,
und, was dasselbe heißt, factische Wirkung gibt es nur ein Mittel.

Der Bürger von Sachsen, Hannover, Würtemberg u. s. w. hat es zu¬
nächst nur mit seiner eignen Regierung zu thun. — Wenn er die Ueber¬
zeugung hat, daß zur Erhaltung Deutschlands, also auch zur Erhaltung des
eignen Staats, die Wiederherstellung der Ordnung in Kurhessen nothwendig
ist. so hat er diese Ueberzeugung seiner eignen Regierung auszudrücken;
entweder durch Vermittelung des gesetzlichen Organs, wo ein solches vorhan¬
den ist, des Landtags; oder unmittelbar, in der Form einer Petition.

Der Abgeordnete Cichorius aus Leipzig hat in der sächsischen Kammer
den Antrag gestellt: die Regierung zu ersuchen. in Anbetracht, daß nur so der
Friede herzustellen ist, ihren Gesandten am Bunde dahin zu instruiren, das;
der vorige Bundcsbeschluß zurückzunehmen und die Nechtsgiltigkeit der Ver¬
fassung von 1831 anzuerkennen ist. — Der Antrag ist in allen Motiven
äußerst gemäßigt, übrigens logisch correct gestellt. — Er würde auf die Re¬
gierung einen viel großem Eindruck machen, wenn sie erführe, daß er in
ihrem ganzen Lande, wo überhaupt politische Bildung herrscht, auch an con-
servativen Kreisen (womit wir natürlich nicht die Kreise des Junkerthnms


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341594_110347/527>, abgerufen am 15.01.2025.