Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, II. Semester. IV. Band.erzogen werden sollten. Das Toleranzpatent selbst sprach das "Vorrecht" der erzogen werden sollten. Das Toleranzpatent selbst sprach das „Vorrecht" der <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0474" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/110822"/> <p xml:id="ID_1434" prev="#ID_1433" next="#ID_1435"> erzogen werden sollten. Das Toleranzpatent selbst sprach das „Vorrecht" der<lb/> katholischen Kirche offen aus und stellte sich ganz auf den Standpunkt des<lb/> Catechismus romanus, welcher die evangelische Kirche als eine Domäne der<lb/> katholischen ansieht. Dagegen gestattete dasselbe den Evangelischen ein soge¬<lb/> nanntes Privatexercitium, ferner das Recht, auf eigene Kosten überall da,<lb/> wo 100 Familien oder 500 Seelen beisammen wären, Schulen und „Bet¬<lb/> häuser" zu errichten, jedoch sollten letztere keine Thürme und Glocken und<lb/> keinen Eingang von der Gasse haben. Die Stolgebühren sollten sie den<lb/> katholischen Pfarrern entrichten, welchen auch das ausschließliche Recht der Ma¬<lb/> trikelführung zustand. Auch sollten sie zum Häuser- und Güterankäufe. zum<lb/> Bürger- und Meisterrecht, zu academischen Würden und zum Civilstaatsdienste<lb/> nur dispensando zugelassen werden. Endlich sollten in gemischten Ehen, wenn<lb/> der Vater katholisch, alle Kinder katholisch erzogen werden müssen; dagegen,<lb/> wenn der Vater evangelisch, die Söhne evangelisch erzogen werden können.<lb/> An dieser schmalen Ncchtsbasis hat die spätere Gesetzgebung bis zum Jahre<lb/> 1848 nichts geändert. In diesem Jahre jedoch leuchtete auch den deutsch-<lb/> slavischen Protestanten eine neue Morgenröthe. Schon die Ministerialver-<lb/> fügungen vom 30. Januar 1849 verbannten den Namen „Akatholiken" und<lb/> substituirten demselben die Bezeichnung „Evangelische Augsburger" und „Evan¬<lb/> gelische helvetischen Bekenntnisses", regelten den Uebertritt von einem kirchlichen<lb/> Bekenntnisse zum andern nach dem für Ungarn geltenden Gesetz, gestatteten den<lb/> evangelischen Seelsorgern, die Taus-, Trauungs- und Sterbregister gleich den<lb/> katholischen zu führen und befreiten die Evangelischen von allen Gievigkeiten<lb/> an katholische Seelsorger und Schullehrer. — Die Reichsverfassung vom 4.<lb/> März 1849 und das Patent vom 31. December 1851 gingen noch weiter,<lb/> indem sie jeder Kirche das Recht der gemeinsamen öffentlichen Religionsübung<lb/> und die selbständige Verwaltung ihrer Angelegenheiten, ferner den Besitz und<lb/> Genuß der für ihre Cultus-, Unterrichts- und Wohlthätigkeitszwecke bestimm-<lb/> ten Anstalten, Stiftungen und Fonds zusicherten. Zudem hatte der Staat<lb/> bereits im Jahre 1849 die Superintendenten und Vertrauensmänner dersel¬<lb/> ben zu einer Conferenz nach Wien berufen, welche in ihrem Gutachten über<lb/> die evangelischen Kirchenangelcgenhciten eine freie Presbyterial- und Synodal¬<lb/> verfassung und die durchgreifendste Parität für die evangelische Kirche in An¬<lb/> spruch nahm. — Allein diese Anträge wurden nie bestätigt. Obwol das Mi¬<lb/> nisterium in seinem dem Concordat vorangegangenen und an den Kaiser<lb/> gerichteten Vortrage vom 7. April 1850 ausdrücklich ausgesprochen hatte, daß<lb/> auch die Superintendenten und deren Vertrauensmänner in ihren Eingaben<lb/> Wünsche geltend gemacht hätten, welche „sorgfältige Berücksichtigung erheischen",<lb/> so blieben diese Wünsche dennoch unberücksichtigt, ohne Zweifel, weil die Re¬<lb/> gierung laut jenes Vortrages sich vorbehalten hatte, über die durch die Su-</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0474]
erzogen werden sollten. Das Toleranzpatent selbst sprach das „Vorrecht" der
katholischen Kirche offen aus und stellte sich ganz auf den Standpunkt des
Catechismus romanus, welcher die evangelische Kirche als eine Domäne der
katholischen ansieht. Dagegen gestattete dasselbe den Evangelischen ein soge¬
nanntes Privatexercitium, ferner das Recht, auf eigene Kosten überall da,
wo 100 Familien oder 500 Seelen beisammen wären, Schulen und „Bet¬
häuser" zu errichten, jedoch sollten letztere keine Thürme und Glocken und
keinen Eingang von der Gasse haben. Die Stolgebühren sollten sie den
katholischen Pfarrern entrichten, welchen auch das ausschließliche Recht der Ma¬
trikelführung zustand. Auch sollten sie zum Häuser- und Güterankäufe. zum
Bürger- und Meisterrecht, zu academischen Würden und zum Civilstaatsdienste
nur dispensando zugelassen werden. Endlich sollten in gemischten Ehen, wenn
der Vater katholisch, alle Kinder katholisch erzogen werden müssen; dagegen,
wenn der Vater evangelisch, die Söhne evangelisch erzogen werden können.
An dieser schmalen Ncchtsbasis hat die spätere Gesetzgebung bis zum Jahre
1848 nichts geändert. In diesem Jahre jedoch leuchtete auch den deutsch-
slavischen Protestanten eine neue Morgenröthe. Schon die Ministerialver-
fügungen vom 30. Januar 1849 verbannten den Namen „Akatholiken" und
substituirten demselben die Bezeichnung „Evangelische Augsburger" und „Evan¬
gelische helvetischen Bekenntnisses", regelten den Uebertritt von einem kirchlichen
Bekenntnisse zum andern nach dem für Ungarn geltenden Gesetz, gestatteten den
evangelischen Seelsorgern, die Taus-, Trauungs- und Sterbregister gleich den
katholischen zu führen und befreiten die Evangelischen von allen Gievigkeiten
an katholische Seelsorger und Schullehrer. — Die Reichsverfassung vom 4.
März 1849 und das Patent vom 31. December 1851 gingen noch weiter,
indem sie jeder Kirche das Recht der gemeinsamen öffentlichen Religionsübung
und die selbständige Verwaltung ihrer Angelegenheiten, ferner den Besitz und
Genuß der für ihre Cultus-, Unterrichts- und Wohlthätigkeitszwecke bestimm-
ten Anstalten, Stiftungen und Fonds zusicherten. Zudem hatte der Staat
bereits im Jahre 1849 die Superintendenten und Vertrauensmänner dersel¬
ben zu einer Conferenz nach Wien berufen, welche in ihrem Gutachten über
die evangelischen Kirchenangelcgenhciten eine freie Presbyterial- und Synodal¬
verfassung und die durchgreifendste Parität für die evangelische Kirche in An¬
spruch nahm. — Allein diese Anträge wurden nie bestätigt. Obwol das Mi¬
nisterium in seinem dem Concordat vorangegangenen und an den Kaiser
gerichteten Vortrage vom 7. April 1850 ausdrücklich ausgesprochen hatte, daß
auch die Superintendenten und deren Vertrauensmänner in ihren Eingaben
Wünsche geltend gemacht hätten, welche „sorgfältige Berücksichtigung erheischen",
so blieben diese Wünsche dennoch unberücksichtigt, ohne Zweifel, weil die Re¬
gierung laut jenes Vortrages sich vorbehalten hatte, über die durch die Su-
Informationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.
Weitere Informationen:Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur. Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (ꝛ): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja; Nachkorrektur erfolgte automatisch.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2025 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |