Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, II. Semester. IV. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

zweigt, von denen die erstere den deutsch-slavischen Provinzen, die zweite Ungarn
und dessen Ncbenländcrn, die dritte aber Siebenbürgen angehört.

Betrachten wir zunächst die meistberechtigte Landeskirche, jene i" Sieben¬
bürgen. In diesem Lande besaßen die Evangelischen, seitdem sächsische Kauf¬
leute lutherische Schriften von der Leipziger Messe in die Heimat mitgebracht
und die Reformation unter Deutschen und Magyaren Eingang gefunden hatte,
das Recht ungehinderter Religionsübung und die Freiheit, sich nach ihren eig¬
nen Grundsätzen kirchlich einzurichten. Die positiven Gesetze des Landes haben
dies wiederholt anerkannt und als Siebenbürgen, nachdem es seit der Schlacht
bei Mohacs 150 Jahre lang ein selbständiges Fürstenthum unter meist pro¬
testantischen Fürsten magyarischen Stammes gebildet hatte, unter östreichische
Herrschaft kam, erhielt das sogenannte Leopoldinische Diplom vom Jahr 1691
die alten Neligivnsgesetze des Landes ausdrücklich aufrecht; ja das ein Jahr¬
hundert später erschienene Landtagsgesetz (1791) sprach im 53. Artikel aus, daß die
gesetzliche Gleichberechtigung der Confessionen durch spätere Verordnungen nicht
ausgehoben werden könne, und stellte in Beziehung auf die Erziehung der Kin¬
der aus gemischten Ehen die unabänderliche Regel fest, daß die Kinder der
Religion der Aeltern nach dem Geschlechte folgen und die diesem Princip wider¬
sprechenden etwaigen Reverse keine Giltigkeit haben sollten. Und gewiß steht
es einzig da, daß dem Staat auch das Obcraufsichtsrecht nur in Betreff der
kirchlichen Stiftungen speciell vorbehalten ist, so daß die evang. Kirche Sieben¬
bürgens von demselben in einer Weise emcincipirt ist, wie kaum eine zweite
auf unserem Kontinent. Unter dem Schutze solcher Gesetze hat sich diese Kirche
frei und selbstthätig entwickeln können, in vollster Harmonie mit den übrigen
recipirten Kirchengemeinschaften, und wenn es auch im Laufe der Zeiten an
Angriffen von gegnerischer Seite nicht gefehlt hat, so war das die Rechts¬
gleichheit gewährleistende Gesetz vom Jahre 1791 doch immer ein fester Damm
gegen die drohende Ueberfluthung.

Nicht ganz so günstig ist die Rechtslage der evangelischen Kirche in Un¬
garn. Der schwer erkämpfte Wiener und Linzer Friede, das Fundamentalgesetz
dieser Landeskirche beiderlei Bekenntnisses, gewährte zwar das Recht der freien
Religionsübung, gleichwie der auf diesen Tractaten auferbaute 26. Gesetzartikel
des Landtages 1791; auch enthielt namentlich der letztere neben bedingter Au¬
tonomie bezüglich der Schul- und Kirchenverfassung manche aus dem Grund¬
satz der Rechtsgleichheit fließende Bestimmungen; allein die volle Rechts¬
gleichheit gewährte derselbe lange nicht. Dies galt insbesondre von der Er¬
ziehung der Kinder aus gemischten Ehen. Nachgrade indeß brach sich das
Recht des Protestantismus immer mehr Bahn. Auf den Landtagen traten
selbst katholische Laien für die Sache der Evangelischen in die Schranken.
So kam es, daß ein Landesgesetz vom Jahre 1844 den Uebertritt von einer


zweigt, von denen die erstere den deutsch-slavischen Provinzen, die zweite Ungarn
und dessen Ncbenländcrn, die dritte aber Siebenbürgen angehört.

Betrachten wir zunächst die meistberechtigte Landeskirche, jene i» Sieben¬
bürgen. In diesem Lande besaßen die Evangelischen, seitdem sächsische Kauf¬
leute lutherische Schriften von der Leipziger Messe in die Heimat mitgebracht
und die Reformation unter Deutschen und Magyaren Eingang gefunden hatte,
das Recht ungehinderter Religionsübung und die Freiheit, sich nach ihren eig¬
nen Grundsätzen kirchlich einzurichten. Die positiven Gesetze des Landes haben
dies wiederholt anerkannt und als Siebenbürgen, nachdem es seit der Schlacht
bei Mohacs 150 Jahre lang ein selbständiges Fürstenthum unter meist pro¬
testantischen Fürsten magyarischen Stammes gebildet hatte, unter östreichische
Herrschaft kam, erhielt das sogenannte Leopoldinische Diplom vom Jahr 1691
die alten Neligivnsgesetze des Landes ausdrücklich aufrecht; ja das ein Jahr¬
hundert später erschienene Landtagsgesetz (1791) sprach im 53. Artikel aus, daß die
gesetzliche Gleichberechtigung der Confessionen durch spätere Verordnungen nicht
ausgehoben werden könne, und stellte in Beziehung auf die Erziehung der Kin¬
der aus gemischten Ehen die unabänderliche Regel fest, daß die Kinder der
Religion der Aeltern nach dem Geschlechte folgen und die diesem Princip wider¬
sprechenden etwaigen Reverse keine Giltigkeit haben sollten. Und gewiß steht
es einzig da, daß dem Staat auch das Obcraufsichtsrecht nur in Betreff der
kirchlichen Stiftungen speciell vorbehalten ist, so daß die evang. Kirche Sieben¬
bürgens von demselben in einer Weise emcincipirt ist, wie kaum eine zweite
auf unserem Kontinent. Unter dem Schutze solcher Gesetze hat sich diese Kirche
frei und selbstthätig entwickeln können, in vollster Harmonie mit den übrigen
recipirten Kirchengemeinschaften, und wenn es auch im Laufe der Zeiten an
Angriffen von gegnerischer Seite nicht gefehlt hat, so war das die Rechts¬
gleichheit gewährleistende Gesetz vom Jahre 1791 doch immer ein fester Damm
gegen die drohende Ueberfluthung.

Nicht ganz so günstig ist die Rechtslage der evangelischen Kirche in Un¬
garn. Der schwer erkämpfte Wiener und Linzer Friede, das Fundamentalgesetz
dieser Landeskirche beiderlei Bekenntnisses, gewährte zwar das Recht der freien
Religionsübung, gleichwie der auf diesen Tractaten auferbaute 26. Gesetzartikel
des Landtages 1791; auch enthielt namentlich der letztere neben bedingter Au¬
tonomie bezüglich der Schul- und Kirchenverfassung manche aus dem Grund¬
satz der Rechtsgleichheit fließende Bestimmungen; allein die volle Rechts¬
gleichheit gewährte derselbe lange nicht. Dies galt insbesondre von der Er¬
ziehung der Kinder aus gemischten Ehen. Nachgrade indeß brach sich das
Recht des Protestantismus immer mehr Bahn. Auf den Landtagen traten
selbst katholische Laien für die Sache der Evangelischen in die Schranken.
So kam es, daß ein Landesgesetz vom Jahre 1844 den Uebertritt von einer


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0472" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/110820"/>
          <p xml:id="ID_1429" prev="#ID_1428"> zweigt, von denen die erstere den deutsch-slavischen Provinzen, die zweite Ungarn<lb/>
und dessen Ncbenländcrn, die dritte aber Siebenbürgen angehört.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1430"> Betrachten wir zunächst die meistberechtigte Landeskirche, jene i» Sieben¬<lb/>
bürgen. In diesem Lande besaßen die Evangelischen, seitdem sächsische Kauf¬<lb/>
leute lutherische Schriften von der Leipziger Messe in die Heimat mitgebracht<lb/>
und die Reformation unter Deutschen und Magyaren Eingang gefunden hatte,<lb/>
das Recht ungehinderter Religionsübung und die Freiheit, sich nach ihren eig¬<lb/>
nen Grundsätzen kirchlich einzurichten. Die positiven Gesetze des Landes haben<lb/>
dies wiederholt anerkannt und als Siebenbürgen, nachdem es seit der Schlacht<lb/>
bei Mohacs 150 Jahre lang ein selbständiges Fürstenthum unter meist pro¬<lb/>
testantischen Fürsten magyarischen Stammes gebildet hatte, unter östreichische<lb/>
Herrschaft kam, erhielt das sogenannte Leopoldinische Diplom vom Jahr 1691<lb/>
die alten Neligivnsgesetze des Landes ausdrücklich aufrecht; ja das ein Jahr¬<lb/>
hundert später erschienene Landtagsgesetz (1791) sprach im 53. Artikel aus, daß die<lb/>
gesetzliche Gleichberechtigung der Confessionen durch spätere Verordnungen nicht<lb/>
ausgehoben werden könne, und stellte in Beziehung auf die Erziehung der Kin¬<lb/>
der aus gemischten Ehen die unabänderliche Regel fest, daß die Kinder der<lb/>
Religion der Aeltern nach dem Geschlechte folgen und die diesem Princip wider¬<lb/>
sprechenden etwaigen Reverse keine Giltigkeit haben sollten. Und gewiß steht<lb/>
es einzig da, daß dem Staat auch das Obcraufsichtsrecht nur in Betreff der<lb/>
kirchlichen Stiftungen speciell vorbehalten ist, so daß die evang. Kirche Sieben¬<lb/>
bürgens von demselben in einer Weise emcincipirt ist, wie kaum eine zweite<lb/>
auf unserem Kontinent. Unter dem Schutze solcher Gesetze hat sich diese Kirche<lb/>
frei und selbstthätig entwickeln können, in vollster Harmonie mit den übrigen<lb/>
recipirten Kirchengemeinschaften, und wenn es auch im Laufe der Zeiten an<lb/>
Angriffen von gegnerischer Seite nicht gefehlt hat, so war das die Rechts¬<lb/>
gleichheit gewährleistende Gesetz vom Jahre 1791 doch immer ein fester Damm<lb/>
gegen die drohende Ueberfluthung.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1431" next="#ID_1432"> Nicht ganz so günstig ist die Rechtslage der evangelischen Kirche in Un¬<lb/>
garn. Der schwer erkämpfte Wiener und Linzer Friede, das Fundamentalgesetz<lb/>
dieser Landeskirche beiderlei Bekenntnisses, gewährte zwar das Recht der freien<lb/>
Religionsübung, gleichwie der auf diesen Tractaten auferbaute 26. Gesetzartikel<lb/>
des Landtages 1791; auch enthielt namentlich der letztere neben bedingter Au¬<lb/>
tonomie bezüglich der Schul- und Kirchenverfassung manche aus dem Grund¬<lb/>
satz der Rechtsgleichheit fließende Bestimmungen; allein die volle Rechts¬<lb/>
gleichheit gewährte derselbe lange nicht. Dies galt insbesondre von der Er¬<lb/>
ziehung der Kinder aus gemischten Ehen. Nachgrade indeß brach sich das<lb/>
Recht des Protestantismus immer mehr Bahn. Auf den Landtagen traten<lb/>
selbst katholische Laien für die Sache der Evangelischen in die Schranken.<lb/>
So kam es, daß ein Landesgesetz vom Jahre 1844 den Uebertritt von einer</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0472] zweigt, von denen die erstere den deutsch-slavischen Provinzen, die zweite Ungarn und dessen Ncbenländcrn, die dritte aber Siebenbürgen angehört. Betrachten wir zunächst die meistberechtigte Landeskirche, jene i» Sieben¬ bürgen. In diesem Lande besaßen die Evangelischen, seitdem sächsische Kauf¬ leute lutherische Schriften von der Leipziger Messe in die Heimat mitgebracht und die Reformation unter Deutschen und Magyaren Eingang gefunden hatte, das Recht ungehinderter Religionsübung und die Freiheit, sich nach ihren eig¬ nen Grundsätzen kirchlich einzurichten. Die positiven Gesetze des Landes haben dies wiederholt anerkannt und als Siebenbürgen, nachdem es seit der Schlacht bei Mohacs 150 Jahre lang ein selbständiges Fürstenthum unter meist pro¬ testantischen Fürsten magyarischen Stammes gebildet hatte, unter östreichische Herrschaft kam, erhielt das sogenannte Leopoldinische Diplom vom Jahr 1691 die alten Neligivnsgesetze des Landes ausdrücklich aufrecht; ja das ein Jahr¬ hundert später erschienene Landtagsgesetz (1791) sprach im 53. Artikel aus, daß die gesetzliche Gleichberechtigung der Confessionen durch spätere Verordnungen nicht ausgehoben werden könne, und stellte in Beziehung auf die Erziehung der Kin¬ der aus gemischten Ehen die unabänderliche Regel fest, daß die Kinder der Religion der Aeltern nach dem Geschlechte folgen und die diesem Princip wider¬ sprechenden etwaigen Reverse keine Giltigkeit haben sollten. Und gewiß steht es einzig da, daß dem Staat auch das Obcraufsichtsrecht nur in Betreff der kirchlichen Stiftungen speciell vorbehalten ist, so daß die evang. Kirche Sieben¬ bürgens von demselben in einer Weise emcincipirt ist, wie kaum eine zweite auf unserem Kontinent. Unter dem Schutze solcher Gesetze hat sich diese Kirche frei und selbstthätig entwickeln können, in vollster Harmonie mit den übrigen recipirten Kirchengemeinschaften, und wenn es auch im Laufe der Zeiten an Angriffen von gegnerischer Seite nicht gefehlt hat, so war das die Rechts¬ gleichheit gewährleistende Gesetz vom Jahre 1791 doch immer ein fester Damm gegen die drohende Ueberfluthung. Nicht ganz so günstig ist die Rechtslage der evangelischen Kirche in Un¬ garn. Der schwer erkämpfte Wiener und Linzer Friede, das Fundamentalgesetz dieser Landeskirche beiderlei Bekenntnisses, gewährte zwar das Recht der freien Religionsübung, gleichwie der auf diesen Tractaten auferbaute 26. Gesetzartikel des Landtages 1791; auch enthielt namentlich der letztere neben bedingter Au¬ tonomie bezüglich der Schul- und Kirchenverfassung manche aus dem Grund¬ satz der Rechtsgleichheit fließende Bestimmungen; allein die volle Rechts¬ gleichheit gewährte derselbe lange nicht. Dies galt insbesondre von der Er¬ ziehung der Kinder aus gemischten Ehen. Nachgrade indeß brach sich das Recht des Protestantismus immer mehr Bahn. Auf den Landtagen traten selbst katholische Laien für die Sache der Evangelischen in die Schranken. So kam es, daß ein Landesgesetz vom Jahre 1844 den Uebertritt von einer

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341594_110347
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341594_110347/472
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341594_110347/472>, abgerufen am 15.01.2025.