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Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, II. Semester. IV. Band.

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kehrt ist. Und unter diesen Umstünden bat Preußen vorlnnfig nichts weiter
gethan, als sein Heer zu verstärken, und auch dieses in einer höchst unpopu¬
lären Form und auf Kosten anderer höchst wichtiger Staatszwecke. Es ist
nicht unbedenklich, daß im Geist vieler höheren Offiziere die preußische Armee
zum preußischen Volke eine ähnliche Stellung einnimmt wie 1805. und daß
dieser Geist von obenher nicht gebrochen wird. -- Man spricht von moralischen
Eroberungen in Deutschland, und das ist insofern richtig, als in verschiedenen
deutschen Ländern die unterdrückte Partei ihre Hoffnungen auf Preußen richtet.
Entsprungen ist diese Hoffnung aus dem Bewußtsein des guten Willens von
jener Seite, aber aufrecht halten kann sie mir das Gefühl der Stärke. Sind
wir in dieser Beziehung fortgeschritten? Vor drei Jahren sagte man sich noch,
wenn nur das gegenwärtige Ministerium beseitigt ist. so werden schon die
Männer hervortreten, die Preußens physische Kraft auch moralisch zu ver¬
werthen im Stande sind. Jetzt ist das Ministerium beseitigt und schon fragt
man sich ängstlich, wo sind denn diese Männer? Man bemerkt nur ein un¬
ruhiges Hin- und Hertappen- bald wird Frankreich bedroht, bald Dänemark,
bald Italien, bald Oestreich, bald die Mittelstaaten. Das Ministerium scheint
liberal zu sein; die meisten Bevollmächtigten aber desselben an den verschie¬
denen Höfen gehören der Kreuzzeitung an und wirken im Sinne derselben.
Man nimmt gegen die einzelnen deutschen Regierungen eine bedrohliche, we¬
nigstens verdrießliche Stellung ein. und dann bekennt man wieder eine un¬
bedingte Verehrung vor der abstracten Legalität d. b. man versagt sich jedes
Mittel, einen factischen Druck auszuüben.

Noch schlimmer ist es mit der Gesetzgebung. Wir wollen moralische Er¬
oberungen in Deutschland machen: das heißt doch nur. wir wollen uusern
deutschen Brüdern Veranlassung geben, uns zu beneiden. Nun steht es in
manchen Ländern freilich viel schlimmer als bei uns, aber wir selber sind in
der höchst bedenklichen Lage, daß unsere ganze Staatsmaschine stockt. Eine
Reihe von Zuständen bedarf nothwendig einer schleunigen gesetzlichen Abhilfe,
wir nennen nur die Kreisordnung, die Provinzinlvcrfassung. die Ausgleichung
der Grundsteuer. Alle diese Gesetze werden im nächsten Jahr voraussichtlich
im Herrenhaus ebenso verworfen werden als im vorigen. Es ist allgemein
anerkannt,, daß das Herrenhaus in seiner jetzigen Zusammensetzung mit nnserm
Staatsleben im schreiendsten Widerspruch steht, daß seine Zusammensetzung das
Resultat einer wüste" Neactionsperiode war. in der man künstlich alle Elemente
zusammenraffte, die dem Liberalismus d. h. dem Lebensnerv Preußens feind¬
lich sind. Die Regierung hat das gesetzliche Mittel in der Hand, im Ein¬
Verständniß mit den Abgeordneten des Landtags eine Reform dieses politischen
Körpers anzubahnen, indem sie durch Ernennung neuer Pairs die bisherige
Minorität in eine Majorität verwandelt. Sie kann dies in offener würdiger


kehrt ist. Und unter diesen Umstünden bat Preußen vorlnnfig nichts weiter
gethan, als sein Heer zu verstärken, und auch dieses in einer höchst unpopu¬
lären Form und auf Kosten anderer höchst wichtiger Staatszwecke. Es ist
nicht unbedenklich, daß im Geist vieler höheren Offiziere die preußische Armee
zum preußischen Volke eine ähnliche Stellung einnimmt wie 1805. und daß
dieser Geist von obenher nicht gebrochen wird. — Man spricht von moralischen
Eroberungen in Deutschland, und das ist insofern richtig, als in verschiedenen
deutschen Ländern die unterdrückte Partei ihre Hoffnungen auf Preußen richtet.
Entsprungen ist diese Hoffnung aus dem Bewußtsein des guten Willens von
jener Seite, aber aufrecht halten kann sie mir das Gefühl der Stärke. Sind
wir in dieser Beziehung fortgeschritten? Vor drei Jahren sagte man sich noch,
wenn nur das gegenwärtige Ministerium beseitigt ist. so werden schon die
Männer hervortreten, die Preußens physische Kraft auch moralisch zu ver¬
werthen im Stande sind. Jetzt ist das Ministerium beseitigt und schon fragt
man sich ängstlich, wo sind denn diese Männer? Man bemerkt nur ein un¬
ruhiges Hin- und Hertappen- bald wird Frankreich bedroht, bald Dänemark,
bald Italien, bald Oestreich, bald die Mittelstaaten. Das Ministerium scheint
liberal zu sein; die meisten Bevollmächtigten aber desselben an den verschie¬
denen Höfen gehören der Kreuzzeitung an und wirken im Sinne derselben.
Man nimmt gegen die einzelnen deutschen Regierungen eine bedrohliche, we¬
nigstens verdrießliche Stellung ein. und dann bekennt man wieder eine un¬
bedingte Verehrung vor der abstracten Legalität d. b. man versagt sich jedes
Mittel, einen factischen Druck auszuüben.

Noch schlimmer ist es mit der Gesetzgebung. Wir wollen moralische Er¬
oberungen in Deutschland machen: das heißt doch nur. wir wollen uusern
deutschen Brüdern Veranlassung geben, uns zu beneiden. Nun steht es in
manchen Ländern freilich viel schlimmer als bei uns, aber wir selber sind in
der höchst bedenklichen Lage, daß unsere ganze Staatsmaschine stockt. Eine
Reihe von Zuständen bedarf nothwendig einer schleunigen gesetzlichen Abhilfe,
wir nennen nur die Kreisordnung, die Provinzinlvcrfassung. die Ausgleichung
der Grundsteuer. Alle diese Gesetze werden im nächsten Jahr voraussichtlich
im Herrenhaus ebenso verworfen werden als im vorigen. Es ist allgemein
anerkannt,, daß das Herrenhaus in seiner jetzigen Zusammensetzung mit nnserm
Staatsleben im schreiendsten Widerspruch steht, daß seine Zusammensetzung das
Resultat einer wüste» Neactionsperiode war. in der man künstlich alle Elemente
zusammenraffte, die dem Liberalismus d. h. dem Lebensnerv Preußens feind¬
lich sind. Die Regierung hat das gesetzliche Mittel in der Hand, im Ein¬
Verständniß mit den Abgeordneten des Landtags eine Reform dieses politischen
Körpers anzubahnen, indem sie durch Ernennung neuer Pairs die bisherige
Minorität in eine Majorität verwandelt. Sie kann dies in offener würdiger


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[0449] kehrt ist. Und unter diesen Umstünden bat Preußen vorlnnfig nichts weiter gethan, als sein Heer zu verstärken, und auch dieses in einer höchst unpopu¬ lären Form und auf Kosten anderer höchst wichtiger Staatszwecke. Es ist nicht unbedenklich, daß im Geist vieler höheren Offiziere die preußische Armee zum preußischen Volke eine ähnliche Stellung einnimmt wie 1805. und daß dieser Geist von obenher nicht gebrochen wird. — Man spricht von moralischen Eroberungen in Deutschland, und das ist insofern richtig, als in verschiedenen deutschen Ländern die unterdrückte Partei ihre Hoffnungen auf Preußen richtet. Entsprungen ist diese Hoffnung aus dem Bewußtsein des guten Willens von jener Seite, aber aufrecht halten kann sie mir das Gefühl der Stärke. Sind wir in dieser Beziehung fortgeschritten? Vor drei Jahren sagte man sich noch, wenn nur das gegenwärtige Ministerium beseitigt ist. so werden schon die Männer hervortreten, die Preußens physische Kraft auch moralisch zu ver¬ werthen im Stande sind. Jetzt ist das Ministerium beseitigt und schon fragt man sich ängstlich, wo sind denn diese Männer? Man bemerkt nur ein un¬ ruhiges Hin- und Hertappen- bald wird Frankreich bedroht, bald Dänemark, bald Italien, bald Oestreich, bald die Mittelstaaten. Das Ministerium scheint liberal zu sein; die meisten Bevollmächtigten aber desselben an den verschie¬ denen Höfen gehören der Kreuzzeitung an und wirken im Sinne derselben. Man nimmt gegen die einzelnen deutschen Regierungen eine bedrohliche, we¬ nigstens verdrießliche Stellung ein. und dann bekennt man wieder eine un¬ bedingte Verehrung vor der abstracten Legalität d. b. man versagt sich jedes Mittel, einen factischen Druck auszuüben. Noch schlimmer ist es mit der Gesetzgebung. Wir wollen moralische Er¬ oberungen in Deutschland machen: das heißt doch nur. wir wollen uusern deutschen Brüdern Veranlassung geben, uns zu beneiden. Nun steht es in manchen Ländern freilich viel schlimmer als bei uns, aber wir selber sind in der höchst bedenklichen Lage, daß unsere ganze Staatsmaschine stockt. Eine Reihe von Zuständen bedarf nothwendig einer schleunigen gesetzlichen Abhilfe, wir nennen nur die Kreisordnung, die Provinzinlvcrfassung. die Ausgleichung der Grundsteuer. Alle diese Gesetze werden im nächsten Jahr voraussichtlich im Herrenhaus ebenso verworfen werden als im vorigen. Es ist allgemein anerkannt,, daß das Herrenhaus in seiner jetzigen Zusammensetzung mit nnserm Staatsleben im schreiendsten Widerspruch steht, daß seine Zusammensetzung das Resultat einer wüste» Neactionsperiode war. in der man künstlich alle Elemente zusammenraffte, die dem Liberalismus d. h. dem Lebensnerv Preußens feind¬ lich sind. Die Regierung hat das gesetzliche Mittel in der Hand, im Ein¬ Verständniß mit den Abgeordneten des Landtags eine Reform dieses politischen Körpers anzubahnen, indem sie durch Ernennung neuer Pairs die bisherige Minorität in eine Majorität verwandelt. Sie kann dies in offener würdiger

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341594_110347/449>, abgerufen am 15.01.2025.