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Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, II. Semester. IV. Band.

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eine Gefahr, die nicht minder hoch anzuschlagen ist: die Gefahr der allmäligen
innern Abschwächung, die bei der bedrohlichen Konstellation der europäischen
Politik mit Preußens Ausscheiden aus der Reihe der Großmächte endigen
kann.

Wenn der Stieber'sche Prozeß und was damit zusammenhängt Einfluß
genug besitzt, im Volk so viel Aufregung hervorzubringen, daß aus dem
schleichenden Fieber, welches unsere Kräfte abnutzt, sich eine bestimmte heil¬
bare Krankheit entwickelt, so wollen wir dies Ereigniß preisen, trotz der bren¬
nenden Schcunröthe, die es uns ins Gesicht getrieben hat.

Was hat uns der Stiebersche Prozeß enthüllt? Etwa das Mißregiment,
das in den Jahren 1850--1858 im Ministerium des Innern seinen Mittel¬
punkt, in der Berliner Polizei sein mächtigstes Werkzeug, im Justizministerium, ge¬
linde gesagt, seine stillschweigende Unterstützung fand? jenes Mißregiment, in
welchen, jeder freche verruchte Angeber eine mächtige Person wurde, in dem
die Ohm, die Gvdsche, die Lindenberg eine ansehnliche Rolle spielten? --
Ueber dieses Mißrcgiment brauchen wir keine Enthüllungen, wir wissen tausend¬
mal mehr als die Herren Schwart und SUcber ausgesagt haben, zehnmal mehr,
als sie auch in der größten Hitze aussage" konnten. Ja wir sind fest über¬
zeugt, daß, so grnvirt auch die Einzelnen sein mögen, es doch in.der ganzen
Monarchie keinen einzigen gibt, der den ganzen Umfang der Zustände, bei
denen er hilfreiche Hand leistete, vollständig übersah. Wenn man das Lebens
blut eines organischen Körpers vergiftet, so bleibt der Schaden nicht local, er
theilt sich jedem einzelnen Gliede mit, und nur die Section würde im Stande
sein, allen seinen Wirkungen un Einzelnen nachzuspüren.

Aber etwas anderes hat uns der Prozeß enthüllt: daß das Ministerium
die Krankheit am besten dadurch zu heilen glaubt, daß es sie vertuscht, daß es
ihre Symptome den Augen der Welt entzieht. Der Oberstaatsanwalt Schwark
ist zur Disposition gestellt worden, nicht weil sich aus den Verhandlungen et¬
wa ergeben hätte, daß er seiner Zeit jenem Mißregiment nicht den gehörigen
Widerstand geleistet, sondern weil er es, wenn auch spät, endlich an den Tag
bringt. -- An den Tag bringt? So wie der verstärkte Reichsrath in Oestreich
die östreichischen Zustände an den Tag gebracht hat! Er hat öffentlich aus-
gesprochen, was Alle, von den höchsten Sphären des Staats bis zu den nied¬
rigsten hinunter mehr als genug wußten.

Oder wußten es vielleicht die Minister nicht? Einige von ihnen gehörten
doch zu den Führern der parlamentarischen Opposition und hatten im Lauf
ihres Wirkens hinreichende Gelegenheit, sich über alles, was in Berlin und
den Provinzen vorging, genau zu unterrichten. -- Oder haben sie vielleicht
geglaubt, daß durch die Ersetzung einiger übelgesinnter Beamten durch einige
gutgesinnte allem Uebel auf einmal abgeholfen wäre? -- Sie scheinen es


eine Gefahr, die nicht minder hoch anzuschlagen ist: die Gefahr der allmäligen
innern Abschwächung, die bei der bedrohlichen Konstellation der europäischen
Politik mit Preußens Ausscheiden aus der Reihe der Großmächte endigen
kann.

Wenn der Stieber'sche Prozeß und was damit zusammenhängt Einfluß
genug besitzt, im Volk so viel Aufregung hervorzubringen, daß aus dem
schleichenden Fieber, welches unsere Kräfte abnutzt, sich eine bestimmte heil¬
bare Krankheit entwickelt, so wollen wir dies Ereigniß preisen, trotz der bren¬
nenden Schcunröthe, die es uns ins Gesicht getrieben hat.

Was hat uns der Stiebersche Prozeß enthüllt? Etwa das Mißregiment,
das in den Jahren 1850—1858 im Ministerium des Innern seinen Mittel¬
punkt, in der Berliner Polizei sein mächtigstes Werkzeug, im Justizministerium, ge¬
linde gesagt, seine stillschweigende Unterstützung fand? jenes Mißregiment, in
welchen, jeder freche verruchte Angeber eine mächtige Person wurde, in dem
die Ohm, die Gvdsche, die Lindenberg eine ansehnliche Rolle spielten? —
Ueber dieses Mißrcgiment brauchen wir keine Enthüllungen, wir wissen tausend¬
mal mehr als die Herren Schwart und SUcber ausgesagt haben, zehnmal mehr,
als sie auch in der größten Hitze aussage» konnten. Ja wir sind fest über¬
zeugt, daß, so grnvirt auch die Einzelnen sein mögen, es doch in.der ganzen
Monarchie keinen einzigen gibt, der den ganzen Umfang der Zustände, bei
denen er hilfreiche Hand leistete, vollständig übersah. Wenn man das Lebens
blut eines organischen Körpers vergiftet, so bleibt der Schaden nicht local, er
theilt sich jedem einzelnen Gliede mit, und nur die Section würde im Stande
sein, allen seinen Wirkungen un Einzelnen nachzuspüren.

Aber etwas anderes hat uns der Prozeß enthüllt: daß das Ministerium
die Krankheit am besten dadurch zu heilen glaubt, daß es sie vertuscht, daß es
ihre Symptome den Augen der Welt entzieht. Der Oberstaatsanwalt Schwark
ist zur Disposition gestellt worden, nicht weil sich aus den Verhandlungen et¬
wa ergeben hätte, daß er seiner Zeit jenem Mißregiment nicht den gehörigen
Widerstand geleistet, sondern weil er es, wenn auch spät, endlich an den Tag
bringt. — An den Tag bringt? So wie der verstärkte Reichsrath in Oestreich
die östreichischen Zustände an den Tag gebracht hat! Er hat öffentlich aus-
gesprochen, was Alle, von den höchsten Sphären des Staats bis zu den nied¬
rigsten hinunter mehr als genug wußten.

Oder wußten es vielleicht die Minister nicht? Einige von ihnen gehörten
doch zu den Führern der parlamentarischen Opposition und hatten im Lauf
ihres Wirkens hinreichende Gelegenheit, sich über alles, was in Berlin und
den Provinzen vorging, genau zu unterrichten. — Oder haben sie vielleicht
geglaubt, daß durch die Ersetzung einiger übelgesinnter Beamten durch einige
gutgesinnte allem Uebel auf einmal abgeholfen wäre? — Sie scheinen es


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[0446] eine Gefahr, die nicht minder hoch anzuschlagen ist: die Gefahr der allmäligen innern Abschwächung, die bei der bedrohlichen Konstellation der europäischen Politik mit Preußens Ausscheiden aus der Reihe der Großmächte endigen kann. Wenn der Stieber'sche Prozeß und was damit zusammenhängt Einfluß genug besitzt, im Volk so viel Aufregung hervorzubringen, daß aus dem schleichenden Fieber, welches unsere Kräfte abnutzt, sich eine bestimmte heil¬ bare Krankheit entwickelt, so wollen wir dies Ereigniß preisen, trotz der bren¬ nenden Schcunröthe, die es uns ins Gesicht getrieben hat. Was hat uns der Stiebersche Prozeß enthüllt? Etwa das Mißregiment, das in den Jahren 1850—1858 im Ministerium des Innern seinen Mittel¬ punkt, in der Berliner Polizei sein mächtigstes Werkzeug, im Justizministerium, ge¬ linde gesagt, seine stillschweigende Unterstützung fand? jenes Mißregiment, in welchen, jeder freche verruchte Angeber eine mächtige Person wurde, in dem die Ohm, die Gvdsche, die Lindenberg eine ansehnliche Rolle spielten? — Ueber dieses Mißrcgiment brauchen wir keine Enthüllungen, wir wissen tausend¬ mal mehr als die Herren Schwart und SUcber ausgesagt haben, zehnmal mehr, als sie auch in der größten Hitze aussage» konnten. Ja wir sind fest über¬ zeugt, daß, so grnvirt auch die Einzelnen sein mögen, es doch in.der ganzen Monarchie keinen einzigen gibt, der den ganzen Umfang der Zustände, bei denen er hilfreiche Hand leistete, vollständig übersah. Wenn man das Lebens blut eines organischen Körpers vergiftet, so bleibt der Schaden nicht local, er theilt sich jedem einzelnen Gliede mit, und nur die Section würde im Stande sein, allen seinen Wirkungen un Einzelnen nachzuspüren. Aber etwas anderes hat uns der Prozeß enthüllt: daß das Ministerium die Krankheit am besten dadurch zu heilen glaubt, daß es sie vertuscht, daß es ihre Symptome den Augen der Welt entzieht. Der Oberstaatsanwalt Schwark ist zur Disposition gestellt worden, nicht weil sich aus den Verhandlungen et¬ wa ergeben hätte, daß er seiner Zeit jenem Mißregiment nicht den gehörigen Widerstand geleistet, sondern weil er es, wenn auch spät, endlich an den Tag bringt. — An den Tag bringt? So wie der verstärkte Reichsrath in Oestreich die östreichischen Zustände an den Tag gebracht hat! Er hat öffentlich aus- gesprochen, was Alle, von den höchsten Sphären des Staats bis zu den nied¬ rigsten hinunter mehr als genug wußten. Oder wußten es vielleicht die Minister nicht? Einige von ihnen gehörten doch zu den Führern der parlamentarischen Opposition und hatten im Lauf ihres Wirkens hinreichende Gelegenheit, sich über alles, was in Berlin und den Provinzen vorging, genau zu unterrichten. — Oder haben sie vielleicht geglaubt, daß durch die Ersetzung einiger übelgesinnter Beamten durch einige gutgesinnte allem Uebel auf einmal abgeholfen wäre? — Sie scheinen es

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341594_110347/446>, abgerufen am 15.01.2025.