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Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, II. Semester. IV. Band.

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beanspruchen dürfe, und doch erkennt er überall die größte Verkümmerung in
einem schwer erträglichen Philisterthum. Da er nun keinem der bestehenden
deutschen Staaten die Lebenskraft zutraut, solche verkrüppelte Zustände zu
überwinden, wo leben denn wohl die Männer des Volkes, vor deren Kraft
sich die Souveräne beugen sollen? In seinem Lande wenigstens scheinen
keine solchen vorhanden zu sein. So gleicht dieser Schatten eines Fürsten trotz
seiner demokratischen Vorliebe doch auf ein Haar andern Fürstengcstalten der
Wirklichkeit, welche mit ihrer Bildung auf einer jetzt untergehenden Zeit ruhen,
und welche voll romantischer Gelüste ihr Bedürfniß nach großen Empfindungen
dadurch befriedigen, daß sie Vermodertes aus dem Staube alter Jahrhun¬
derte wieder lebendig machen wollen.

Schon in dem, was der Fürst des Buches sagt, ist nicht immer dre wün-
schenswerthe Consequenz; er findet lächerlich, daß die deutschen Souveräne
durch das Schreckbild der Revolution sich borniren lassen, aber in der erwähn¬
ten Vision kann er doch nicht umhin, eine sehr unheimliche Perspective auf
ein Henkerbeil, zu eröffnen. Schmerzlicher aber wirkt der Umstand, daß er
selbst zu handeln gar nicht versteht. Ihm tritt ein fester, tüchtiger Offizier
gegenüber, der um Erlaubniß bittet, auswandern zu dürfen, weil ihm die
Luft im Lande zu enge wird. Zu gleicher Zeit haben ihm die Minister viel
von Gährungen und Aufsätziichkeiten in einzelnen Landestheilen geklagt. Der
Fürst will ihnen beweisen, daß er von seinem Volke nichts zu besorgen hat.
Er verfaßt also selbst eine aufregende Rede und trägt dem unabhängigen
Charakter auf, dieselbe auswendig zu lernen und in einer Volksversammlung
jener unruhigen Gegend zu halten. Der Charakter läßt sich auch zu diesem
unehrenhaften und kindischen Experiment gebrauchen u. s. w. Einigen unserer
Leser aber wird der Umstand wehe thun, daß der Fürst in eifriger Rede
gegen das Vielregieren der Polizei von seinem Fenster aus auf einen armen
Teufel von Bürger zeigt, der mit der Pfeife im Munde scheu und furchtsam
über die Straße geht, weil das Rauchen bei zwei Thalern Strafe verboten ist.
Nun beim Zeus! wenn er Fürst und Gebieter des Landes ist. warum hat
er nicht das Rauchen frei gegeben? Dies wenigstens stand doch in seiner
Macht. — Merkwürdig ist auch, wie er sein Volk allmälig zu freieren Lebens¬
formen erziehen will. Nicht zunächst durch bessere Gesetze, — sein Staat hat
bereits constitutionelle Formen — nein seine Minister sollen die neuen Frei¬
heiten erst „factisch eintreten und so durch den Gebrauch die alten Gesetze
aboliren lassen". — Was soll das für eine» Zustand geben, wenn wichtige
Gesetze unter der Hand außer Cours gesetzt werden? was soll die Justiz dazu
sagen? und wje können Minister neue Freiheiten factisch eintreten lassen, außer
aus dem Wege des Gesetzes?! —

So legt der Leser das Werk unbefriedigt aus der Hand. Er vermag


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341594_110347/400>, abgerufen am 24.01.2025.