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Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, II. Semester. IV. Band.

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Gestaltung Italiens, mit den Resultaten, wenn auch nicht grade mit dem Mo¬
dus occupandi einverstanden erklärte und für Eventualitäten seinen Einfluß
und seine Hilfe in Aussicht stellte, dann hatte es auch ein erhöhtes Recht zu
betonen, wie die Rücksicht auf Oestreich als Bundesstaat und die Verpflichtung
östreichisches Bundesgebiet schützen zu helfen, auch für Preußen höchst wün¬
schenswert!) mache, daß ein neuer Krieg zwischen Sardinien und Oestreich ver¬
mieden werde. Es durfte verlangen, daß Sardinien die Entscheidung über
Venetien der Zeit überlasse. Schwerlich ist in den Regierungskreisen Berlins
zweifelhaft, was aller Welt deutlich ist, daß auch Benetien von Oestreich auf
die Länge nicht behauptet werden kann? und daß die Dinge im Kaiserstaat
seit dem Frieden von Villafranca unaufhaltsam einer Krisis entgegengleitcn,
deren Eintritt sich vielleicht nach Jahren, vielleicht nach Monden bemißt, deren
letztes Resultat aber wenigstens für Venetien nicht zweifelhaft ist? Wenn von
Berlin aus eine solche Politik seit diesem Sommer vertreten wurde, so war
jetzt die Stellung Preußens eine gänzlich andere. Enges Zusqmmengchen mit
England, Sardinien von den beiden großen protestantischen Mächten gehalten.
Frankreich rsolirt, der deutsche Katholicismus i.n der Hoffnung, mit unserer
Hilfe von seinem ärgsten Feinde, der verkommenen Oligarchie seiner Cardinäle
befreit zu werden. Solche Politik war in der That das beste Mittel, Frankreichs
schwache Seite zu fassen, es warf den Kaiser Napoleon in ein Meer von neuen
Verlegenheiten; es hatte vielleicht die Folge, ihn zu einigen falschen Schritten
zu verleiten, den Ultramontanen zu nähern, zu bewirken, daß er offener gegen die
italienische Bewegung auftrat, als ihm bei seinem Volke und Heere nützlich
war. Aber auch wenn er diese Fälle vermied, wär er wirksamer gekreuzt, als
durch andere Coalitionsversuche.

Dem Berliner Kabinet lagen solche Erwägungen vielleicht nicht fern,
aber ihnen nachzugeben erschien unter anderem auch deshalb unmöglich, weil
man bei der Annäherung an Sardinien ein Bündniß zwischen Frankreich,
Oestreich und Nußland drohend aufsteigen sieht. Zuvörderst hätte eine Note
des preußischen Ministers, welche in anderem Tone zu Sardinien sprach,
eint kräftigere Wahrung der preußischen Interessen zu Turin, noch keine Coa-
l>lion erregt, sondern nur den Kabinetcu eine, wenn auch widerwillig?. Ach¬
tung vor der Selbständigkeit Preußens, den Deutschen die wärmsten Sym¬
pathien für denselben Staat gegeben. Ein kräftiger Wille vermag immer
Herr der Situation zu werden, während der, welcher nicht die Wärme eines
festen Entschlusses in der Brust trägt, in jeder politischen Veränderung nur die
Nähe der Gefahren empfindet. Aber die Möglichkeit solcher Allianzversuche soll
hier zugegeben werden. Sie bleibt ganz dieselbe, gleichviel ob Preußen seine
laue Temperatur im Interesse der Legitimität oder der italienischen Freiheit zu
erkennen gibt. Ja die Gefahr derselben wird nicht vermieden durch eine Vor-


Gestaltung Italiens, mit den Resultaten, wenn auch nicht grade mit dem Mo¬
dus occupandi einverstanden erklärte und für Eventualitäten seinen Einfluß
und seine Hilfe in Aussicht stellte, dann hatte es auch ein erhöhtes Recht zu
betonen, wie die Rücksicht auf Oestreich als Bundesstaat und die Verpflichtung
östreichisches Bundesgebiet schützen zu helfen, auch für Preußen höchst wün¬
schenswert!) mache, daß ein neuer Krieg zwischen Sardinien und Oestreich ver¬
mieden werde. Es durfte verlangen, daß Sardinien die Entscheidung über
Venetien der Zeit überlasse. Schwerlich ist in den Regierungskreisen Berlins
zweifelhaft, was aller Welt deutlich ist, daß auch Benetien von Oestreich auf
die Länge nicht behauptet werden kann? und daß die Dinge im Kaiserstaat
seit dem Frieden von Villafranca unaufhaltsam einer Krisis entgegengleitcn,
deren Eintritt sich vielleicht nach Jahren, vielleicht nach Monden bemißt, deren
letztes Resultat aber wenigstens für Venetien nicht zweifelhaft ist? Wenn von
Berlin aus eine solche Politik seit diesem Sommer vertreten wurde, so war
jetzt die Stellung Preußens eine gänzlich andere. Enges Zusqmmengchen mit
England, Sardinien von den beiden großen protestantischen Mächten gehalten.
Frankreich rsolirt, der deutsche Katholicismus i.n der Hoffnung, mit unserer
Hilfe von seinem ärgsten Feinde, der verkommenen Oligarchie seiner Cardinäle
befreit zu werden. Solche Politik war in der That das beste Mittel, Frankreichs
schwache Seite zu fassen, es warf den Kaiser Napoleon in ein Meer von neuen
Verlegenheiten; es hatte vielleicht die Folge, ihn zu einigen falschen Schritten
zu verleiten, den Ultramontanen zu nähern, zu bewirken, daß er offener gegen die
italienische Bewegung auftrat, als ihm bei seinem Volke und Heere nützlich
war. Aber auch wenn er diese Fälle vermied, wär er wirksamer gekreuzt, als
durch andere Coalitionsversuche.

Dem Berliner Kabinet lagen solche Erwägungen vielleicht nicht fern,
aber ihnen nachzugeben erschien unter anderem auch deshalb unmöglich, weil
man bei der Annäherung an Sardinien ein Bündniß zwischen Frankreich,
Oestreich und Nußland drohend aufsteigen sieht. Zuvörderst hätte eine Note
des preußischen Ministers, welche in anderem Tone zu Sardinien sprach,
eint kräftigere Wahrung der preußischen Interessen zu Turin, noch keine Coa-
l>lion erregt, sondern nur den Kabinetcu eine, wenn auch widerwillig?. Ach¬
tung vor der Selbständigkeit Preußens, den Deutschen die wärmsten Sym¬
pathien für denselben Staat gegeben. Ein kräftiger Wille vermag immer
Herr der Situation zu werden, während der, welcher nicht die Wärme eines
festen Entschlusses in der Brust trägt, in jeder politischen Veränderung nur die
Nähe der Gefahren empfindet. Aber die Möglichkeit solcher Allianzversuche soll
hier zugegeben werden. Sie bleibt ganz dieselbe, gleichviel ob Preußen seine
laue Temperatur im Interesse der Legitimität oder der italienischen Freiheit zu
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[0395] Gestaltung Italiens, mit den Resultaten, wenn auch nicht grade mit dem Mo¬ dus occupandi einverstanden erklärte und für Eventualitäten seinen Einfluß und seine Hilfe in Aussicht stellte, dann hatte es auch ein erhöhtes Recht zu betonen, wie die Rücksicht auf Oestreich als Bundesstaat und die Verpflichtung östreichisches Bundesgebiet schützen zu helfen, auch für Preußen höchst wün¬ schenswert!) mache, daß ein neuer Krieg zwischen Sardinien und Oestreich ver¬ mieden werde. Es durfte verlangen, daß Sardinien die Entscheidung über Venetien der Zeit überlasse. Schwerlich ist in den Regierungskreisen Berlins zweifelhaft, was aller Welt deutlich ist, daß auch Benetien von Oestreich auf die Länge nicht behauptet werden kann? und daß die Dinge im Kaiserstaat seit dem Frieden von Villafranca unaufhaltsam einer Krisis entgegengleitcn, deren Eintritt sich vielleicht nach Jahren, vielleicht nach Monden bemißt, deren letztes Resultat aber wenigstens für Venetien nicht zweifelhaft ist? Wenn von Berlin aus eine solche Politik seit diesem Sommer vertreten wurde, so war jetzt die Stellung Preußens eine gänzlich andere. Enges Zusqmmengchen mit England, Sardinien von den beiden großen protestantischen Mächten gehalten. Frankreich rsolirt, der deutsche Katholicismus i.n der Hoffnung, mit unserer Hilfe von seinem ärgsten Feinde, der verkommenen Oligarchie seiner Cardinäle befreit zu werden. Solche Politik war in der That das beste Mittel, Frankreichs schwache Seite zu fassen, es warf den Kaiser Napoleon in ein Meer von neuen Verlegenheiten; es hatte vielleicht die Folge, ihn zu einigen falschen Schritten zu verleiten, den Ultramontanen zu nähern, zu bewirken, daß er offener gegen die italienische Bewegung auftrat, als ihm bei seinem Volke und Heere nützlich war. Aber auch wenn er diese Fälle vermied, wär er wirksamer gekreuzt, als durch andere Coalitionsversuche. Dem Berliner Kabinet lagen solche Erwägungen vielleicht nicht fern, aber ihnen nachzugeben erschien unter anderem auch deshalb unmöglich, weil man bei der Annäherung an Sardinien ein Bündniß zwischen Frankreich, Oestreich und Nußland drohend aufsteigen sieht. Zuvörderst hätte eine Note des preußischen Ministers, welche in anderem Tone zu Sardinien sprach, eint kräftigere Wahrung der preußischen Interessen zu Turin, noch keine Coa- l>lion erregt, sondern nur den Kabinetcu eine, wenn auch widerwillig?. Ach¬ tung vor der Selbständigkeit Preußens, den Deutschen die wärmsten Sym¬ pathien für denselben Staat gegeben. Ein kräftiger Wille vermag immer Herr der Situation zu werden, während der, welcher nicht die Wärme eines festen Entschlusses in der Brust trägt, in jeder politischen Veränderung nur die Nähe der Gefahren empfindet. Aber die Möglichkeit solcher Allianzversuche soll hier zugegeben werden. Sie bleibt ganz dieselbe, gleichviel ob Preußen seine laue Temperatur im Interesse der Legitimität oder der italienischen Freiheit zu erkennen gibt. Ja die Gefahr derselben wird nicht vermieden durch eine Vor-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341594_110347/395>, abgerufen am 15.01.2025.