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Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, II. Semester. IV. Band.

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wie in Wien; denn ein Fahren ohne haarscharfes Abzielen des Wegs ist dort
unmöglich. Auch die Plätze der innern Stadt, die zum Theil als Märkte
dienen müssen, gewähren entfernt nicht den Raum, wie er dem Bedürfnis? ent¬
spricht. Fast kann man es bedauern, daß der Stephansplatz, der Graben,
der Kohlmarkt, am Hof und Freiung so prachtvolle Bauten besitzen, und in
den Schaufenstern ihrer Kaufläden und Gewölbe einen Luxus entfalten, wie
in wenig andern Städten Europas, da ihre Herrlichkeiten in dieser Enge
großentheils der rechten Wirkung entbehren. Aber nicht blos auf diesen
Plätzen und in den Hauptstraßen, anch in ganz dunkeln Nebengassen trifft man
die größten Paläste, welche in die Häuserreihen eingezwängt stehen, als ob
sie ersticken müßten. Die Verwendung des Glacis zu neuen, behaglich aus¬
gedehnten Stadtquarticrcn ist daher sicher ein sehr zeitgemäßes Unternehmen.

Tritt uns in den Bauten und öffentlichen Denkmälern Berlins eine be¬
deutende Geschichte entgegen, so daß wir uns in den breiten Straßen jener
wahrhaft königlichen Stadt gleichsam von den Helden der Borzeit begleitet
wähnen; fühlen wir uns in München unter Palästen, Kirchen und Tempeln
der Kunst von dem Hauche der Schönheit angeweht: so verspüren wir in
Wien nur wenig von diesen beiden höheren Mächten. Daß man der Ge¬
schichte geflissentlich ans dem Wege geht, beweisen die öffentlichen Denkmäler,
welche allein die Madonna und die Heiligen zum Gegenstande haben, oder
harmlos langweilige Allegorien darstellen. Indessen hat man seit 180K an¬
gefangen, neben den Heiligen auch der Kaiser zu gedenken. Den auf der
Nordostseite der Burg gelegenen Platz schmückt seit jenem Jahre die/schöne,
ihres Gegenstandes vollkommen würdige Reiterstatue Josephs II. Dann er¬
hebt sich auf dem Burghof ein Denkmal Franzens -- ein gut gearbeiteter
Kopf aus einer lächerlich breiten Gestalt, die mit dein schmächtigen Kör¬
per, den jener Fürst bekanntlich hatte, in schreienden Widerspruche steht --
mit der aus dem Testament des Kaisers genommenen Inschrift: l'oMis moi"
"moioiu mLum. Weder Rudolf I.. der hochverdiente Stammvater der Habs¬
burger, noch Maria Theresia, die vielgeliebte, vielgeprüfte Landesmutter,
haben öfftiuliche Denkmäler! Vergebens sucht man nach den Standbildern
eines Prinzen Eugen. Laudvn, Rudctzky und so manches andern ruhmgekrön-
ten Feldherrn des Kaiserreichs, vergebens nach den Statuen Haydn's, Gluck's,
Mozart's. Beethoven's, welche Oesterreichs und Deutschlands Ruf durch alle
Welt tragen -- hat doch der Schöpfer des "Don Juan" kaum ein Grab!

Personen, welche nicht das Glück besitzen, Heilige oder Kaiser zu sein,
scheinen demnach in Wien von der Ehre ausgeschlossen. Denkmäler zu erhal¬
ten, so tief ihre Namen auch in die Herzen der Völker eingegraben sein mögen.
Nur mit dem Erzherzog Karl, freilich einem Prinzen aus dem Kaiserhause,
hat man -- nach langem Widerstreben, wie mir ein Wiener sagte -- ganz


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wie in Wien; denn ein Fahren ohne haarscharfes Abzielen des Wegs ist dort
unmöglich. Auch die Plätze der innern Stadt, die zum Theil als Märkte
dienen müssen, gewähren entfernt nicht den Raum, wie er dem Bedürfnis? ent¬
spricht. Fast kann man es bedauern, daß der Stephansplatz, der Graben,
der Kohlmarkt, am Hof und Freiung so prachtvolle Bauten besitzen, und in
den Schaufenstern ihrer Kaufläden und Gewölbe einen Luxus entfalten, wie
in wenig andern Städten Europas, da ihre Herrlichkeiten in dieser Enge
großentheils der rechten Wirkung entbehren. Aber nicht blos auf diesen
Plätzen und in den Hauptstraßen, anch in ganz dunkeln Nebengassen trifft man
die größten Paläste, welche in die Häuserreihen eingezwängt stehen, als ob
sie ersticken müßten. Die Verwendung des Glacis zu neuen, behaglich aus¬
gedehnten Stadtquarticrcn ist daher sicher ein sehr zeitgemäßes Unternehmen.

Tritt uns in den Bauten und öffentlichen Denkmälern Berlins eine be¬
deutende Geschichte entgegen, so daß wir uns in den breiten Straßen jener
wahrhaft königlichen Stadt gleichsam von den Helden der Borzeit begleitet
wähnen; fühlen wir uns in München unter Palästen, Kirchen und Tempeln
der Kunst von dem Hauche der Schönheit angeweht: so verspüren wir in
Wien nur wenig von diesen beiden höheren Mächten. Daß man der Ge¬
schichte geflissentlich ans dem Wege geht, beweisen die öffentlichen Denkmäler,
welche allein die Madonna und die Heiligen zum Gegenstande haben, oder
harmlos langweilige Allegorien darstellen. Indessen hat man seit 180K an¬
gefangen, neben den Heiligen auch der Kaiser zu gedenken. Den auf der
Nordostseite der Burg gelegenen Platz schmückt seit jenem Jahre die/schöne,
ihres Gegenstandes vollkommen würdige Reiterstatue Josephs II. Dann er¬
hebt sich auf dem Burghof ein Denkmal Franzens — ein gut gearbeiteter
Kopf aus einer lächerlich breiten Gestalt, die mit dein schmächtigen Kör¬
per, den jener Fürst bekanntlich hatte, in schreienden Widerspruche steht —
mit der aus dem Testament des Kaisers genommenen Inschrift: l'oMis moi»
»moioiu mLum. Weder Rudolf I.. der hochverdiente Stammvater der Habs¬
burger, noch Maria Theresia, die vielgeliebte, vielgeprüfte Landesmutter,
haben öfftiuliche Denkmäler! Vergebens sucht man nach den Standbildern
eines Prinzen Eugen. Laudvn, Rudctzky und so manches andern ruhmgekrön-
ten Feldherrn des Kaiserreichs, vergebens nach den Statuen Haydn's, Gluck's,
Mozart's. Beethoven's, welche Oesterreichs und Deutschlands Ruf durch alle
Welt tragen — hat doch der Schöpfer des „Don Juan" kaum ein Grab!

Personen, welche nicht das Glück besitzen, Heilige oder Kaiser zu sein,
scheinen demnach in Wien von der Ehre ausgeschlossen. Denkmäler zu erhal¬
ten, so tief ihre Namen auch in die Herzen der Völker eingegraben sein mögen.
Nur mit dem Erzherzog Karl, freilich einem Prinzen aus dem Kaiserhause,
hat man — nach langem Widerstreben, wie mir ein Wiener sagte — ganz


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[0319] wie in Wien; denn ein Fahren ohne haarscharfes Abzielen des Wegs ist dort unmöglich. Auch die Plätze der innern Stadt, die zum Theil als Märkte dienen müssen, gewähren entfernt nicht den Raum, wie er dem Bedürfnis? ent¬ spricht. Fast kann man es bedauern, daß der Stephansplatz, der Graben, der Kohlmarkt, am Hof und Freiung so prachtvolle Bauten besitzen, und in den Schaufenstern ihrer Kaufläden und Gewölbe einen Luxus entfalten, wie in wenig andern Städten Europas, da ihre Herrlichkeiten in dieser Enge großentheils der rechten Wirkung entbehren. Aber nicht blos auf diesen Plätzen und in den Hauptstraßen, anch in ganz dunkeln Nebengassen trifft man die größten Paläste, welche in die Häuserreihen eingezwängt stehen, als ob sie ersticken müßten. Die Verwendung des Glacis zu neuen, behaglich aus¬ gedehnten Stadtquarticrcn ist daher sicher ein sehr zeitgemäßes Unternehmen. Tritt uns in den Bauten und öffentlichen Denkmälern Berlins eine be¬ deutende Geschichte entgegen, so daß wir uns in den breiten Straßen jener wahrhaft königlichen Stadt gleichsam von den Helden der Borzeit begleitet wähnen; fühlen wir uns in München unter Palästen, Kirchen und Tempeln der Kunst von dem Hauche der Schönheit angeweht: so verspüren wir in Wien nur wenig von diesen beiden höheren Mächten. Daß man der Ge¬ schichte geflissentlich ans dem Wege geht, beweisen die öffentlichen Denkmäler, welche allein die Madonna und die Heiligen zum Gegenstande haben, oder harmlos langweilige Allegorien darstellen. Indessen hat man seit 180K an¬ gefangen, neben den Heiligen auch der Kaiser zu gedenken. Den auf der Nordostseite der Burg gelegenen Platz schmückt seit jenem Jahre die/schöne, ihres Gegenstandes vollkommen würdige Reiterstatue Josephs II. Dann er¬ hebt sich auf dem Burghof ein Denkmal Franzens — ein gut gearbeiteter Kopf aus einer lächerlich breiten Gestalt, die mit dein schmächtigen Kör¬ per, den jener Fürst bekanntlich hatte, in schreienden Widerspruche steht — mit der aus dem Testament des Kaisers genommenen Inschrift: l'oMis moi» »moioiu mLum. Weder Rudolf I.. der hochverdiente Stammvater der Habs¬ burger, noch Maria Theresia, die vielgeliebte, vielgeprüfte Landesmutter, haben öfftiuliche Denkmäler! Vergebens sucht man nach den Standbildern eines Prinzen Eugen. Laudvn, Rudctzky und so manches andern ruhmgekrön- ten Feldherrn des Kaiserreichs, vergebens nach den Statuen Haydn's, Gluck's, Mozart's. Beethoven's, welche Oesterreichs und Deutschlands Ruf durch alle Welt tragen — hat doch der Schöpfer des „Don Juan" kaum ein Grab! Personen, welche nicht das Glück besitzen, Heilige oder Kaiser zu sein, scheinen demnach in Wien von der Ehre ausgeschlossen. Denkmäler zu erhal¬ ten, so tief ihre Namen auch in die Herzen der Völker eingegraben sein mögen. Nur mit dem Erzherzog Karl, freilich einem Prinzen aus dem Kaiserhause, hat man — nach langem Widerstreben, wie mir ein Wiener sagte — ganz 39 *

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341594_110347/319>, abgerufen am 15.01.2025.