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Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, II. Semester. IV. Band.

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der Niederländer Tilly, der Magdeburg verbrannte, und Wrede, der die
Schlacht bei Hanau verlor, und aus dem Wiener Congreß antideutsche Politik
machte. Wie ganz anders sind doch die Empfindungen, welche durch die
öffentlichen Denkmäler Berlins hervorgerufen werden! Dieser Kurfürst Friedrich
Wilhelm und da der alte Fritz, welche Deutschlands Waffenehre gegen Schweden
und Frankreich wiederhergestellt und in den morschen Baum des heiligen rö¬
mischen Reichs deutscher Nation das neue gesunde Pfropfreis Preußen einge¬
pflanzt haben; diese Helden Friedrichs des Großen, die mit halb Europa den
Kampf bestanden; diese von der edelsten Begeisterung getragenen Generale der
Freiheitskriege, von denen jeder zwölf Wredes aufwog, es sind Männer, welche
Geschichte gemacht haben und von ganz Deutschland verstanden werden. Wenn
die Victoria auf dem brandenburger Thore ihre feurigen Rosse spornt, so wissen
wir, was das zu bedeuten hat; die Bavaria auf dem Siegesthor mit ihren
vier Löwen ist ein Bild ohne Inhalt.

Große Heiterkeit erregte es bei uns Fremden, als der Schlohdiener, der
uns durch den Festsaalbau geleitete, die Fresken, welche die Thaten Karl des
Großen, Barbarossas und Rudolfs von Habsburg darstellen, im Allgemeinen
als "bayrische Geschichte" charakterisirte. Ich erlaube mir, dies hier zu notiren;
denn in dem Festsaalbau selber Noten zu nehmen, war laut einer Notiz auf
unserer Eintrittskarte untersagt.

Unter solchen Eindrücken erschien uns freilich die kolossale Bavaria auf
der Theresienwicse als der Frosch Bayern, der sich aufbläst.

Zum Schluß noch ein Wort über die Stimmung und politische Entwick¬
lung in Altbayern. Ich habe mich in München längere Zeit aufgehalten
und das Land in verschiedenen Richtungen durchstreift. Der Menschenschlag
ist im Allgemeinen kräftig, von derber Naivetät, gesundem Verstand, gemüth¬
lich, offen und heiter. Bei sehr beschränkten Religionsansichten ist das Volk
doch nicht pfäffisch; es lebt aus dem besten Fuße mit seinen Geistlichen, die
sich ihrerseits dem geselligen Verkehr durchaus nicht entziehen und gar keinen
Anstand nehmen, auch in München sich im Theater und in den Concerten zu
zeigen und den heidnischen Göttern der Glyptothek ihren Besuch abzustatten.
Mit seinen Zuständen ist der Bayer im Allgemeinen zufrieden, besonders seit
die Schwurgerichte Ordnung im Lande schaffen und seit in Folge der letzten
Umgestaltung des Ministeriums etwas mehr Ernst mit dem Constitutionalismus ge¬
macht wird. Im Uebrigen würde sich, wenn die Zeitungen den Maßstab der
Politischen Bildung eines Volkes abgeben, in Bezug auf diesen Punkt das
Urtheil über die Bewohner der alten Provinzen sehr niedrig stellen. Die Münch¬
ner Blätter stehen unter pfäffischen Einfluß und sind ebenso bornirt in ihrem
Urtheil als gemein in ihrer Sprache. Sehr stark verbreitet ist der Punsch,
ein wohlfeiles Witzblatt, das stets auf das eifrigste bestrebt ist, die Vorurtheile


der Niederländer Tilly, der Magdeburg verbrannte, und Wrede, der die
Schlacht bei Hanau verlor, und aus dem Wiener Congreß antideutsche Politik
machte. Wie ganz anders sind doch die Empfindungen, welche durch die
öffentlichen Denkmäler Berlins hervorgerufen werden! Dieser Kurfürst Friedrich
Wilhelm und da der alte Fritz, welche Deutschlands Waffenehre gegen Schweden
und Frankreich wiederhergestellt und in den morschen Baum des heiligen rö¬
mischen Reichs deutscher Nation das neue gesunde Pfropfreis Preußen einge¬
pflanzt haben; diese Helden Friedrichs des Großen, die mit halb Europa den
Kampf bestanden; diese von der edelsten Begeisterung getragenen Generale der
Freiheitskriege, von denen jeder zwölf Wredes aufwog, es sind Männer, welche
Geschichte gemacht haben und von ganz Deutschland verstanden werden. Wenn
die Victoria auf dem brandenburger Thore ihre feurigen Rosse spornt, so wissen
wir, was das zu bedeuten hat; die Bavaria auf dem Siegesthor mit ihren
vier Löwen ist ein Bild ohne Inhalt.

Große Heiterkeit erregte es bei uns Fremden, als der Schlohdiener, der
uns durch den Festsaalbau geleitete, die Fresken, welche die Thaten Karl des
Großen, Barbarossas und Rudolfs von Habsburg darstellen, im Allgemeinen
als „bayrische Geschichte" charakterisirte. Ich erlaube mir, dies hier zu notiren;
denn in dem Festsaalbau selber Noten zu nehmen, war laut einer Notiz auf
unserer Eintrittskarte untersagt.

Unter solchen Eindrücken erschien uns freilich die kolossale Bavaria auf
der Theresienwicse als der Frosch Bayern, der sich aufbläst.

Zum Schluß noch ein Wort über die Stimmung und politische Entwick¬
lung in Altbayern. Ich habe mich in München längere Zeit aufgehalten
und das Land in verschiedenen Richtungen durchstreift. Der Menschenschlag
ist im Allgemeinen kräftig, von derber Naivetät, gesundem Verstand, gemüth¬
lich, offen und heiter. Bei sehr beschränkten Religionsansichten ist das Volk
doch nicht pfäffisch; es lebt aus dem besten Fuße mit seinen Geistlichen, die
sich ihrerseits dem geselligen Verkehr durchaus nicht entziehen und gar keinen
Anstand nehmen, auch in München sich im Theater und in den Concerten zu
zeigen und den heidnischen Göttern der Glyptothek ihren Besuch abzustatten.
Mit seinen Zuständen ist der Bayer im Allgemeinen zufrieden, besonders seit
die Schwurgerichte Ordnung im Lande schaffen und seit in Folge der letzten
Umgestaltung des Ministeriums etwas mehr Ernst mit dem Constitutionalismus ge¬
macht wird. Im Uebrigen würde sich, wenn die Zeitungen den Maßstab der
Politischen Bildung eines Volkes abgeben, in Bezug auf diesen Punkt das
Urtheil über die Bewohner der alten Provinzen sehr niedrig stellen. Die Münch¬
ner Blätter stehen unter pfäffischen Einfluß und sind ebenso bornirt in ihrem
Urtheil als gemein in ihrer Sprache. Sehr stark verbreitet ist der Punsch,
ein wohlfeiles Witzblatt, das stets auf das eifrigste bestrebt ist, die Vorurtheile


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341594_110347/315>, abgerufen am 15.01.2025.